Wir wollen bis 2045 weg vom fossilen Gas. Aber im letzten Jahr sind mehr neue Gasheizungen eingebaut worden als je zuvor. Was läuft da schief?
Es gab viel Verunsicherung über das Gebäudeenergiegesetz und die Wärmeplanung. Da haben viele gedacht, sie investieren noch schnell in eine neue Gasheizung, um die Neuregelungen zu umgehen.
Wer war schuld an dieser Verunsicherung?
Die Bundesregierung war zunächst verkehrt herum unterwegs. Wir haben von Beginn an angemahnt: Erst muss über die Infrastruktur gesprochen werden – die Wärme muss ja zum Haus kommen – dann können Hauseigentümerinnen und Mieter fundierte Entscheidungen treffen. Das wurde dann richtigerweise mit dem Wärmeplanungsgesetz umgesetzt.
Der steigende CO2 Preis spielt für die Menschen keine Rolle?
Beim Gas wirkt sich der CO2-Preis derzeit noch nicht so relevant aus. Aber es gibt viele andere Faktoren, die man berücksichtigen muss, etwa die Förderung beim Heizungstausch. Das haben viele nicht einkalkuliert. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich vorher beraten zu lassen, welches Heizsystem individuell am besten für das eigene Haus geeignet ist, auch mit Blick auf die langfristigen Kosten. Hierzu kann man sich an den Installateur oder das Stadtwerk vor Ort wenden.
Aber sind die Stadtwerke, von denen ja viele bei Ihnen Mitglied sind, denn wirklich eine neutrale Informationsquelle, oder haben die teilweise auch zur Verunsicherung beigetragen? Die haben ja durchaus ein Interesse daran, ihr Gasnetz zu erhalten, und entsprechend f ä llt dann die Beratung aus.
An unkluger Beratung hat niemand Interesse. Die allermeisten Unternehmen gehen klar den Weg zur Klimaneutralität. Dafür wird man auch Teile der Gasnetz-Infrastruktur nutzen. Manche Gasnetze werden weitergenutzt, entweder für Wasserstoff oder für Biogas, während an anderer Stelle Gasnetze stillgelegt werden.
Aber Wasserstoff kommt doch allenfalls für einen sehr kleinen Teil der Bevölkerung infrage.
Beim Heizen werden Wärmepumpen und Fernwärme mit die relevantesten Optionen sein. Aber ich bin überzeugt, dass es auch Regionen geben wird, die weiterhin auf Gas – und damit perspektivisch auf Wasserstoff – setzen müssen, gerade dort, wo der Baubestand oder die regionalen Gegebenheiten keine andere Option ermöglichen – oder wo für die Industrie ohnehin ein Wasserstoffnetz benötigt wird.
Dann mal konkret: Welcher Anteil der heutigen Gasnutzer kann k ü nftig mit Wasserstoff heizen?
Es ist Aufgabe der Kommunen, dies im Rahmen ihrer Wärmeplanung zu entscheiden. Und das ist auch gut so, denn sie kennen die Situation vor Ort am besten.
Wichtigste Alternative zur W ä rmepumpe ist die Fernw ä rme. Aber die wird bisher ganz ü berwiegend fossil erzeugt, und bei bestehenden W ä rmenetzen d ü rfen auch 2035 in vielen F ä llen noch 70 Prozent fossile Energien nutzen. Warum wird die Fernw ä rme nicht schneller klimaneutral?
Wir haben heute im Schnitt 20 Prozent erneuerbare Energien bei der Fernwärme, da ist es eine lange Wegstrecke bis zur Klimaneutralität 2045. Hier muss viel passieren. Natürlich wünschen wir uns alle, dass es noch schneller geht, aber das hängt immer von den individuellen Gegebenheiten ab, beispielsweise ob industrielle Abwärme, thermische Abfallbehandlung oder Geothermie verfügbar ist.
Ein anderes Problem bei der Fernw ä rme sind die intransparenten und teilweise sehr hohen Preise. Und als Kunde kann man da wenig machen, weil man den Anbieter nicht wechseln kann. Machen die Stadtwerke das Modell Fernw ä rme mit ü berh ö hten Preisen kaputt?
Den Anbieter zu wechseln, ist bei der Fernwärme tatsächlich nicht möglich, da Fernwärme anders als beim Gas abgeschlossene Netze nutzt. Wir wissen, dass bei der Transparenz der Preise Verbesserungen gefordert werden. Die Vergleichbarkeit ist schwierig. Das wird die Branche jetzt angehen.
Wie genau?
Bis April werden die drei Verbände, AGFW, BDEW und VKU eine gemeinsame Plattform starten, auf der die Fernwärme-Unternehmen ihre Preise veröffentlichen - und zwar in standardisierter Form, damit die jeder vergleichen kann. Da werden etwa 150 Fernwärme-Unternehmen mitmachen, damit decken wir nahezu den ganzen Markt ab.
Damit sind die Preise dann transparenter, aber nicht unbedingt g ü nstiger. Was n ü tzt es mir als Kunde, wenn ich wei ß, dass ich besonders viel zahle?
Transparenz und Vergleichbarkeit sind auf jeden Fall hilfreich. Und wer glaubt, zu viel zu zahlen, kann auch Einspruch erheben. Die Versorger sind an eine angemessene Preissetzung gebunden. Sie können Preise nicht beliebig setzen, da sie einer kartellrechtlichen Preiskontrolle unterliegen. Die Kunden werden durch das bestehende Kartellrecht an der Stelle umfassend geschützt.
Oder kann es sein, dass Fernw ä rme teilweise einfach nicht mehr konkurrenzf ä hig ist? Wenn W ä rmepumpen sowohl klimafreundlicher als auch im Betrieb preiswerter sind, sind sie vielleicht schlicht die ü berlegene Technik.
Beide Technologien sind zentrale Zukunftstechnologien im Wärmemarkt. Aber welche Technologie vor Ort die geeignete ist, kommt sehr auf die jeweiligen Voraussetzungen an. Insbesondere im dicht besiedelten urbanen Raum können Wärmenetze sinnvoller und praktikabler sein als Wärmepumpen. Jede leitungsgebundene Heizungsform braucht eine entsprechende Infrastruktur: Stromnetze für die Wärmepumpen, Wärmenetze für die Fernwärme. Insofern ist es gut, dass jetzt zunächst die kommunale Wärmeplanung gemacht wird, um zu schauen, was vor Ort jeweils die beste Lösung ist.
Fernw ä rmenetze auszubauen und Fernw ä rme klimafreundlich zu erzeugen, etwa mit Gro ß -W ä rmepumpen, erfordert hohe Investitionen. Wo soll das Geld daf ü r herkommen?
Sämtliche energiewirtschaftlichen Ziele der Bundesregierung zu realisieren, erfordert bis 2030 Investitionen von über 600 Milliarden Euro. Das kann natürlich kein öffentlicher Haushalt stemmen. Darum muss es gelingen, mehr privates Kapital zu mobilisieren. Dazu werden wir in diesem Jahr Foren organisieren, wo wir Kapitalgeber und Stadtwerke zusammenbringen, um zu klären, was man jeweils voneinander braucht. Zudem konkurriert die Energiewirtschaft mit anderen Investitionsvorhaben. Für den Kapitalmarkt ist am Ende die Renditeerwartung entscheidend.
Um die Versorgungssicherheit auch ohne Kohle zu gew ä hrleisten, sind neue Gaskraftwerke erforderlich. Die Bundesregierung setzt darauf, diese sp ä ter mit Wasserstoff zu betreiben. Aus der Union gibt es dagegen die Forderung, dabei auch auf CCS, also die Abscheidung und Speicherung von CO2. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Die Bundesregierung hat mit Unterstützung der Branche eine Grundsatzentscheidung für ein Wasserstoff-Kernnetz getroffen, da stehen die Investoren in den Startlöchern. Insofern begrüßen wir, dass jetzt mit der Kraftwerksstrategie die Entscheidung für den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken gefallen ist. Ein grundlegender Systemwechsel hin zu CCS steht seit der politischen Einigung zur Kraftwerksstrategie nicht mehr im Raum. Was wir jetzt brauchen, ist langfristige Planungssicherheit für Investoren, die in klimafreundliche steuerbare Kraftwerksleistung investieren wollen. Ob und wo der Einsatz von CCS sinnvoll ist, sollte im Rahmen der Carbon Management Strategie besprochen werden.
Probleme gibt es auch beim Stromnetz: Der Ausbau der Erneuerbaren boomt, aber es wird zunehmend schwieriger, neue Anlagen ans Netz zu bringen, weil die Kapazit ä ten im Verteilnetz nicht langen. Warum geht es da nicht schneller voran?
Bei PV-Anlagen hatten wir von 2021 bis 2023 einen Zuwachs von 240 Prozent, bei Wärmepumpen von 225 Prozent. Darum gibt es natürlich eine enorme Nachfrage nach Anschlüssen, und wenn es in Einzelfällen Probleme gibt, dann muss man das lösen. Aber es ist mitnichten so, dass flächendeckend die Anschlüsse nicht klappen. Ich würde das glatt andersherum formulieren: Es ist eine enorme Leistung, wie schnell die Erneuerbaren angesichts der Nachfrage ans Netz angeschlossen werden.
Es gibt oft monatelange Wartezeiten.
Selten. Nicht oft. Aber die Netzbetreiber sind sensibilisiert. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass es auch in solchen Fällen besser wird. Schwer zu lösen sind auch für uns Lieferschwierigkeiten, insbesondere bei Trafos. Und bei den Verteilnetzen war eine vorausschauende Planung bisher schwierig und am ehesten noch auf der Hochspannungsebene möglich. Aber inzwischen sind hier die Möglichkeiten über die gemeinsamen Bedarfsprognosen der Netzbetreiber deutlich erweitert worden. In den letzten drei Jahren ist rund um das Thema Netzanschlüsse, Netzkapazitäten und Netzausbau viel passiert.
Die Redispatch-Kosten, die vor allem durch das Abregeln von Windr ä dern im Norden entstehen, sind 2022 auf fast drei Milliarden Euro pro Jahr gestiegen. Wie kriegen wir das wieder in den Griff?
Der entscheidende Hebel ist der Ausbau der Übertragungsnetze, weil der Strom nun mal stärker im windreichen und küstennahen Norden produziert und viel im Süden verbraucht wird. Aber es geht beim Ausbau wirklich voran. Die Zahl der Genehmigungen nimmt stark zu.
Es ist sinnvoll, Strom vor allem dann zu verbrauchen, wenn er reichlich vorhanden und damit g ü nstig ist. Das geht aber in der Regel nur mit einem intelligenten Stromz ä hler. Und den gibt es in den allermeisten Haushalten noch nicht. Warum dauert auch das so lange?
Sie können einen solchen Zähler ab 2025 verlangen, der Messstellenbetreiber muss ihn dann innerhalb von vier Monaten einbauen. Für die Netzbetreiber ist es aber ein Problem, viele Einzelfälle abzuarbeiten. Es wäre viel effizienter, ganze Straßenzüge am Stück umzustellen.
Aber die Nachfrage ist gering. Sind die Verbraucher nicht preissensibel genug?
Ich würde die Verbraucherinnen und Verbraucher an dieser Stelle nicht unterschätzen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass gerade die Generation, die jetzt digital heranwächst, Angebote wie digitale Stromzähler nutzen wird: Die leben mit Apps und mit Echtzeitmessungen. Deswegen bin ich auch sicher, dass intelligente Messsysteme in Kombination mit dynamischen Tarifen im Wettbewerb eine große Rolle spielen werden. Allerdings muss die Wirtschaftlichkeit für den Kunden klar erkennbar sein. Dies ist vor allem der Fall, wenn Kunden große Flexibilitätspotentiale, etwa bei der Nutzung von Wärmepumpen oder E-Ladesäulen, haben. Ich habe den Eindruck, es besteht an dieser Stelle derzeit nicht genug Vertrauen in den Wettbewerb.
Warum nicht?
Gute Frage! Fakt ist: Es wird jedem Stromanbieter bürokratisch verordnet, einen dynamischen Tarif anzubieten. Warum wird es nicht als sinnvoll angesehen, dass sich einzelne Unternehmen auf diese Tarife spezialisieren und hier bundesweit einen intensiven Wettbewerb führen? Das leuchtet mir nicht ein. Dynamische Tarife sind ein wichtiges Element, um Potenziale und Bedarfe an Flexibilität zusammenzuführen. Der BDEW setzt sich daher dafür ein, dass an dieser Stelle passende Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Wettbewerb geschaffen werden.
Vor Ihrer Zeit beim BDEW sa ß en Sie 17 Jahre f ü r die Gr ü nen im Bundestag. Vermissen Sie eigentlich die Politik, wenn Sie sehen, wie scharf die Regierung derzeit kritisiert wird?
Nein. Die Entgrenzung, die in der Politik derzeit zu erleben ist, finde ich erschreckend. Da gibt es ja teilweise kein Halten mehr. Ich habe darum einen hohen Respekt vor denen, die derzeit Energiepolitik machen. Angesichts der Herausforderung, zu einem nachhaltigen und bezahlbaren Energiesystem zu kommen, ist das eine Herkulesaufgabe.