Interview | Kommunen
Erscheinungsdatum: 22. September 2025

Karlsruher OB: „Die Lage ist einfach dramatisch"

Frank Mentrup, OB Karlsruhe
Karlsruhes Oberbürgermeister Frank Mentrup (Monika Müller-Gmelin, Stadt Karlsruhe)

Bundesweit stöhnen Oberbürgermeister über die rapide wachsenden Ausgaben in ihren Kommunen. Selbst einst wohlhabende Städte sind ins Minus geraten. Der Karlsruher OB Frank Mentrup über Kostentreiber, Sparversuche und ein gewachsenes Anspruchsdenken.

Herr Mentrup, Karlsruhe hatte zuletzt Rekordeinnahmen bei der Gewerbesteuer und trotzdem haben Sie eine Haushaltssperre verhängt und müssen Reserven anzapfen. Wie ist das möglich?

Seit Jahren driften die Einnahmen und die Ausgaben immer weiter auseinander. In markanten Zahlen: Die Kommunen übernehmen 25 Prozent der staatlichen Ausgaben, bekommen aber nur etwa 14 Prozent der Steuereinnahmen. Lange konnten wir das wegen einer niedrigen Inflation, niedrigen Zinsen und einer guten Konjunktur ausgleichen. Aber jetzt haben sich innerhalb weniger Jahre die Parameter so verändert, dass die Lage einfach dramatisch ist. Gleichzeitig führen Bund und Länder zusätzliche Aufgaben für uns ein, ohne es finanziell angemessen auszugleichen.

Und das, obwohl Karlsruhe mit die höchsten Gewerbesteuersätze in Deutschland hat?

Das stimmt, zumindest in Baden-Württemberg.

Sie sind auch Präsident des baden-württembergischen Städtetages. Wie geht es den Kollegen?

Durchweg ähnlich. Betroffen sind vor allem auch die Landkreise, die durch die Kreisumlage lange ausgeglichene Haushalte hinbekommen haben. Doch jetzt wären die Kommunen teilweise gar nicht mehr in der Lage, eine kostendeckende Umlage zu erbringen, so dass auch die Landkreise ins Defizit rutschen. Über 80 Prozent der Kommunen und Landkreise bei uns haben keinen ausgeglichenen Haushalt mehr. Das ist nur die strukturelle Unterfinanzierung. Und dann kommen noch Sonderentwicklungen dazu.

Und das alles im wohlhabenden Baden-Württemberg?

Es gibt ein strukturelles Problem, und davor ist kein Bundesland mehr gefeit. In Baden-Württemberg kommt jetzt noch die Krise der Automobilindustrie dazu, so dass etwa die Stadt Stuttgart, die letztes Jahr noch ein ausgeglichenes Ergebnis hatte, jetzt 2025 voraussichtlich mit einem Defizit von 890 Millionen Euro dasteht, einmalig in der Geschichte.

Gleichzeitig sind die Steuereinnahmen von Bund, Länder und Gemeinden zuletzt um fünf bis zehn Prozent jährlich gestiegen. Haben wir nicht eher ein Ausgaben- als ein Einnahmeproblem?

Natürlich wird ein ungelöstes Einnahmeproblem auch zum Ausgabeproblem. Aber wir steigern ja nicht den Luxus, sondern es wird zunehmend schwieriger, die Pflichtaufgaben zu erfüllen. Deshalb ist es eine gesamtstaatliche, nicht nur einer kommunale Krise.

Die Ampel ist am Dissens über den Haushalt zerbrochen. Woher soll das Geld kommen, das Sie gerne hätten?

Wir brauchen als Kommunen einfach einen höheren, verbindlichen Anteil an den Steuereinnahmen. Auch die Innenministerkonferenz der Länder fordert ja, den Anteil an der Umsatzsteuer zu erhöhen. Wobei nicht einmal das ausreichen würde. Wir werden noch ein paar Spezialthemen anschauen müssen. Nur aus der Kombination aus struktureller Besserfinanzierung und einer Klärung von Aufgaben, die wir aus unserer Sicht zu Unrecht bezahlen, wird am Ende ein Schuh.

Das ginge zu Lasten des Bundes?

Ja, aber die Finanzsituation von Bund und Ländern ist im Vergleich dazu, was gerade kommunal passiert, immer noch deutlich besser. Zumal es dort sehr viel mehr Stellschrauben gibt. So viele Möglichkeiten haben wir als Kommunen ja nicht. Wir können ja nur Grund-, Gewerbe- und Vergnügungssteuer festlegen. Und gegen Zusatzaufgaben des Bundes können wir uns nicht wehren.

Worin bestehen zusätzliche, einzelne Strukturprobleme?

Wir haben in Karlsruhe ein Klinikum der Maximalversorgung, für das wir 2019 noch ein ausgeglichenes Ergebnis hatten. Dadurch, dass die Krankenkassen die Entwicklung bei Inflation und Löhnen in ihren Sätzen nicht mehr ausgeglichen haben und auch durch Corona-Spätfolgen haben wir jetzt ein jährliches Defizit von 25 bis 40 Millionen Euro. Das geht allen Krankenhausträgern so, vor allem denen in der Maximalversorgung.

Aber auch Sie haben sicher noch Optimierungsreserven. Sind die wirklich ausgeschöpft?

Die wirtschaftlichen Reserven, die wir durch Optimierung der OP-Abläufe oder bauliche Maßnahmen vorgenommen haben, sind weitgehend ausgeschöpft. Dazu kommt: Wir können gar nicht alle neuen OP-Säle nutzen, weil wir das Personal dafür nicht haben.

Die stehen leer?

Die stehen leer.

Das Klinikum bleibt ein dauerhaftes Zuschussgeschäft?

Solange die nicht refinanzierbare Infrastruktur nicht anderweitig finanziert wird und solange die Vergütungen, die früher Fallpauschalen hießen, nicht kostendeckend sind, bleibt es defizitär. Vom Personalmangel gar nicht zu reden: auf dem flachen Land fehlen die Ärzte, in den Großstädten die Pflegekräfte.

Karlsruhe hat auch ein teures Dreispartentheater. Stuttgart und Mannheim sind nicht weit. Braucht es das wirklich?

Richtig ist, dass wir in Deutschland die weltweit höchste Dichte an Musiktheatern haben. Dennoch ist es natürlich Teil der Tradition und des Selbstverständnisses dieser Stadt, und es wird ja auch zur Hälfte vom Land finanziert.

Die Einrichtung kostet auch Karlsruhe Millionen pro Jahr.

Stimmt. Von daher ist es eine Grundsatzfrage, ob die Hochkultur zur Lebensqualität dazu gehört. Aus Karlsruher Perspektive sage ich natürlich ja.

Aber Ihre Zweifel sind hörbar.

Die Frage ist tatsächlich, ob das in dieser Größe von einem kommunalen Haushalt noch zu stemmen ist. Aber da es um Beträge geht, die im Vergleich zum Gesamtdefizit sehr überschaubar sind, wäre das Problem damit nicht gelöst. Außerdem ist für uns die Entscheidung längst gefallen: Wir sanieren und bauen das Schauspielhaus gerade neu. 

Auch in Karlsruhe ist der ÖPNV ein maßgeblicher Kostentreiber. Haben Sie sich verhoben, als Sie die Bahn vor 20 Jahren In der Innenstadt unter die Erde verlegt haben?

Als ich 2013 ins Amt kam, lag das jährliche Defizit unserer Busse und Bahnen bei 35 Millionen Euro, heute sind wir bei 120 Millionen. Und davon gehen rund 36 Millionen auf das Konto der sogenannten U-Strab. Das größere Problem ist also die Entwicklung in den anderen Bereichen. Und hätten wir keine U-Strab, hätten wir auch so oberirdisch einiges sanieren müssen. Ja, es ist ein Kostenfaktor, und Fragezeichen sind erlaubt. Auf der anderen Seite stehen ein Plus an Lebens- und Angebotsqualität in der Innenstadt und enorme positive Auswirkungen auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit unseres Systems. So gesehen hat die U-Strab die Erwartungen sogar übertroffen.

Was tun Sie jetzt konkret gegen das Defizit?

Wir erwägen, in einer ersten Stufe durch reduzierte Takte und Linien sechs Millionen Euro einzusparen – in den Randzeiten den 20-Minuten-Takt auszuweiten oder schwach frequentierte Buslinien ganz einzustellen.

Das heißt, Sie sparen vor allem Personal?

Im Nahverkehr sind die Personalkosten in den letzten Jahren rasant gestiegen. Die Gewerkschaften haben erhebliche Lohnsteigerungen durchgesetzt, was ich allen Beschäftigten gönne, was uns aber schwer belastet. Auch Energiekosten und Betriebsmittel haben sehr zugelegt. Und dann die Instandsetzung im Schienenbereich: Das sind immer auch Baukosten – und bei den Baumaterialien gab es bekanntlich exorbitante Preissteigerungen.

Ist ein solches Defizit also unvermeidbar?

Wenn wir die Betriebskosten im ÖPNV ersetzt bekämen, wenn es die Klinikkosten nicht gäbe und wenn uns das Bundesteilhabegesetz nicht massiv zusätzliche Kosten aufbürden würde, wenn Bund und Land die Unterbringung der Geflüchteten übernehmen würden und wenn das Land anerkennen würde, dass Kitas Bildungs- und keine Betreuungseinrichtungen sind, und sich damit zu seinem Bildungsauftrag bekennen würde, könnte ich mir auch ein Staatstheater und eine U-Strab leisten. Aber an zu vielen Stellen ist da einfach etwas aus dem Lot geraten.

Das Land beteiligt sich an den Kitakosten nicht?

Doch, aber zunehmend begrenzt. Es ist doch paradox, wenn das Land einen verpflichtenden Sprachunterricht an Kitas einführt für die Kinder, die ein Jahr vor der Einschulung Sprachdefizite haben, es aber gar kein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr gibt, weil das Land dann die Kosten voll übernehmen müsste. Womit ich nur die erreiche, die ohnehin schon da sind. Da merkt man, dass sich das Land um den verpflichtenden Bildungsauftrag herumdrückt, weil es dann auch für eine Vollfinanzierung sorgen müsste. Über eine Beteiligung von Kommunen und Eltern kann man dann immer noch reden. Aber im Moment haben wir eine Entwicklung bei den Kindergartenkosten, bei denen der Landesanteil einfach nicht adäquat mitwächst.

Viele Kommunen stöhnen über das Bundesteilhabegesetz. Sie auch?

Unbedingt! Eigentlich ist es ja ein richtiger Ansatz, jedem, der ein Handicap hat, durch individuelle Förderung ein Leben ohne Nachteile zu ermöglichen. Aber es erhöht die Ansprüche, und es erhöht die Kosten. In manchen Landkreisen im Land haben sich die Kosten innerhalb von zwei Jahren fast verdreifacht, bei uns etwa verdoppelt.

Was ist daran so teuer?

Es ist der Anspruch, die Menschen nicht mehr standardisiert, sondern individuell unterzubringen, selbst, wenn sie schwerst körperbehindert sind, und ihnen ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Aber das ist zum Beispiel bei einer individuellen 24-Stunden-Betreuung sehr teuer. Das Gesetz ist im Grundsatz ja zu begrüßen, aber der Bund hat uns nicht die Mittel gegeben, um das aufzufangen. Und das belastet uns neben vielen anderen Kostensteigerungen im Sozialbereich enorm. Unabhängig davon muss man mit Blick auf die Kosten bei so manchem Anspruch inzwischen doch fragen, ob er eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Liegen nicht auch in der Digitalisierung erhebliche Einsparpotenziale, gerade in den Kommunen?

Absolut! Man hat nur damals das Onlinezugangsgesetz unzureichend umgesetzt. Die Kommunen haben sich nicht verweigert, aber die Länder haben sich viel zu spät um entsprechende Konzepte bemüht und sind teilweise untereinander in Konkurrenz gegangen. Und Vieles war nicht aufeinander abgestimmt. Hier stehen uns auch der Föderalismus und der Datenschutz im Weg. Und manches, was der Bund in Angriff genommen hat, scheitert einfach im Alltag. Manches wurde digitalisiert, für viele Prozesse musste der Antragsteller aber zum Abschluss weiter persönlich zum Amt kommen. Oder wenn Passdokumente digitalisiert werden sollen, die Geräte zum Ausdruck aber nicht zur Verfügung stehen, nutzt mir die Digitalisierung auch nichts.

Gerade das Ausdrucken sollte sich doch durch die Digitalisierung doch erübrigen.

Das war das Ziel. Aber der Alltag ist doch immer noch, dass man den Antrag online stellen kann, er dann aber im Hinterzimmer ausgedruckt und durchs Amt getragen wird. Im Grunde hat man diese end-to-end-Digitalisierung nie konsequent umgesetzt. Und so gibt es viele solcher unabgestimmten Prozesse, zu viele, und dann entlastet und beschleunigt die Digitalisierung diese nicht.

Vom Investitionsbooster der Bundesregierung bekommen Länder und Kommunen 100 Milliarden Euro. Wissen Sie schon, wieviel davon auf Karlsruhe abfällt?

Wir kämpfen darum, dass mindestens 75 Prozent zu den Kommunen durchgereicht werden. Unter 70 Prozent wird es wohl in Baden-Württemberg nicht werden. Wenn Baden-Württemberg dreizehn Milliarden bekommt, verteilt auf zehn Jahre, sind das für Karlsruhe vielleicht 24 Millionen pro Jahr über diese Zeit. Das sind etwa zehn Prozent unserer jährlichen Investitionen, für die wir bereits 200 Millionen pro Jahr an Krediten aufnehmen müssen und bald die mögliche Verschuldungsobergrenze erreicht haben. Es ist toll, entlastet uns natürlich, löst aber unser Grundproblem nicht.

Wo liegt also die Lösung, außer mehr Geld von Land und Bund zu fordern?

Eine Lösung wird kurzfristig darin liegen, dass wir uns stärker bescheiden und mit der Bürgerschaft ins Gespräch kommen, welche freiwilligen Leistungen wir noch anbieten können und wollen. Und wie wir auch Wirtschaft und andere Interessengruppen an den Kosten stärker beteiligen können. Wir brauchen einfach höhere Kostendeckungsgrade.

Sie wollen kürzen – rechnen Sie mit Verständnis bei den Ihren Bürgern?

Wenn es ein persönliches Interesse an spezifischen Angeboten gibt, die nicht zum staatlichen Pflicht-Leistungskatalog gehören, gibt es schon eine gewisse Bereitschaft zu höherer Eigenbeteiligung. Die Stimmung kann aber auch schnell kippen, weil es hier ein langjährig erfülltes Anspruchsdenken gibt. Schwierig ist, wenn selbst die Pflichtaufgaben nur noch ungenügend erfüllt werden können, sie etwa beim Bürgerdienst wieder mit monatelangen Warte- und Bearbeitungszeiten rechnen müssen. 

Sind wir zu verwöhnt?

Möglicherweise in Teilen. Vielleicht haben wir uns zu lange daran gewöhnt, dass es für alles eine staatliche Unterstützung gibt. Ja, manchmal ist in Teilen das Anspruchsdenken schon sehr ausgeprägt. Es wird oft ja auch so gesprochen, als hätte die Gesellschaft immer weniger Geld. Was ja nicht wirklich stimmt, je nachdem, in welche gesellschaftliche Ecke man schaut.

Wie zapfen Sie diese Mittel an?

Das ist ein schwieriges Terrain. Ich kann für manches Spezialinteresse durchaus Sponsoren oder Mäzene gewinnen. Aber generell droht durch die kommunale Finanzkrise die Akzeptanz des Staates in eine Schieflage zu geraten. Das ist in Karlsruhe vielleicht noch nicht so ausgeprägt, weil wir von einem hohen Niveau kommen, aber anderswo ist der Akzeptanzverlust doch längst da. Das macht uns große Sorgen – es wird nur auf Landes- und Bundesebene noch nicht so richtig wahrgenommen.

Braucht es eine Aufwertung des Ehrenamtes?

Ich glaube ja. Aber auch das ist ein zweischneidiges Schwert. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass sich der Staat seiner Verpflichtungen entledigt. Auf der anderen Seite hat das Ehrenamt den großen Vorteil, dass die Identifikation mit der Gemeinschaft durch das Engagement zunimmt. Und das ist etwas, das wir als Gesellschaft, unabhängig von der Finanzfrage, unbedingt brauchen. Deshalb sollten wir versuchen, gemeinsam mit interessierten Gruppen die Kultur- und Sozialangebote weiter zu entwickeln.

Was machen Sie konkret in Karlsruhe?

Wir unterstützen selbstverwaltete Bürgerzentren oder auch Nachbarschaftsprojekte in den Stadtteilen etwa durch Mietzuschüsse. Am Ende hängt es dann vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger im Ehrenamt ab, ob etwas funktioniert oder nicht. Das Gemeinschaftsgefühl im Stadtteil oder Quartier wächst dabei.

 Gibt es noch andere unkonventionelle Ansätze?

Es gibt ja eine Menge privates Geld, das zirkuliert. Ich glaube, wir müssen die Menschen anleiten, dass sie mit ihren Projekten nicht nur Gutes tun, sondern durch den unmittelbaren Kontakt auch noch mal andere Lebenserfahrungen machen. Nachbarschaften, Netzwerke, Kontakte – das hat neben dem finanziellen Aspekt immer auch einen sozialen Lerneffekt. Und das ist etwas, was wir der zunehmenden Individualisierung und etwa auch der Vereinsamung im Alter entgegensetzen können. Wieviele Menschen gehen demnächst in den Ruhestand, die noch in der Lage wären, weiter zu arbeiten? Viele von ihnen sind alleinstehend oder getrennt. Und wenn ich diese in solche neuen Netzwerke einbinden kann, in denen sie sich engagieren und auch ihre finanziellen Möglichkeiten einbringen können, habe ich doch für alle Bereiche etwas Gutes getan.

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Letzte Aktualisierung: 22. September 2025

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