Interview
Erscheinungsdatum: 29. Mai 2025

Jessica Gienow-Hecht: „Tun uns schwer, darüber zu sprechen, was wir zu bieten haben"

Die Professorin arbeitet am Institut für Nordamerikastudien der FU Berlin. Sie sagt, wie es um die „Marke Deutschland“ steht und was Autokratien besser machen als Demokratien.

Friedrich Merz sagte bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags: „Germany is back.“ Wie steht es um die Marke Deutschland?

Es gibt einen Nation Brands Index, der seit etwa knapp 20 Jahren besteht. Deutschland war sechsmal auf dem ersten Platz, jetzt ist es seit etwa zwei Jahren auf dem zweiten hinter Japan. Um die Marke selbst ist es also gar nicht so schlecht bestellt.

Sie wirkt aber ramponiert: Bei der EM beschwerten sich ausländische Fans über die Bahn, zwei Korrespondenten schrieben ein Buch mit dem Titel Totally kaputt? Wie Deutschland sich selbst zerlegt.

Ich finde diesen Titel – ehrlich gesagt – ein bisschen reißerisch. Aber in einem Punkt haben die Autoren tatsächlich recht: Es gibt in jedem Land bestimmte Signifier: Zeichensätze, die die Wahrnehmung eines Staates maßgeblich mitbestimmen. Für Deutschland ist die Bahn so eines, wie Currywurst oder Dirndl. Niemand regt sich über die Verspätung von französischen oder belgischen Zügen auf.

Wie meinen Sie das?

Die Bahn hat eine große Ausstrahlungskraft, auch wenn wir sie nicht nutzen, auch wenn wir über sie lachen. Es kommt nur darauf an, ob eine Regierung oder eine Zivilgesellschaft die Marke verbessern will oder nicht. In Deutschland findet auf keiner Ebene eine wirkliche Auseinandersetzung damit statt.

Inwiefern?

Es fällt uns schwer, zu glauben und zu verstehen, dass das, was „immer da war und immer funktioniert hat“ – Technologie, Fortschritt, liberale Demokratie –, erstens überhaupt mal erklärt werden muss und zweitens womöglich volatil ist, also nicht beständig.

Und wie kann man die Lage verbessern?

Jede erfolgreiche Ländermarke braucht den Input aller Bürgerinnen und Bürger. Das heißt, die Zivilgesellschaft muss sich viel mehr an diesen Diskussionen beteiligen können und dürfen: Wer sind wir, wo wollen wir hin? Das ist das eine. Das andere sind Investitionen in Austauschprogramme für Kultur und gesellschaftliche Beziehungen. Überall, wo Kommunikation mit dem Ausland und der eigenen Zivilgesellschaft stattfindet, muss viel mehr investiert werden. Und das tun wir nicht. Stattdessen streichen wir überall.

Kommunikation allein reicht aber nicht, oder? Bei der Anwerbung von Fachkräften etwa gibt es konkrete Probleme wie Rassismus und Bürokratie.

Im Koalitionsvertrag steht ja die Einrichtung einer digitalen Agentur für Fachkräfteeinwanderung. Die Idee ist gut, aber auch wieder sehr bürokratisch. Da entstehen Arbeitsbereiche und Sachbearbeitungsstellen, Beamte werden eingestellt. Man müsste Menschen einladen, dass sie eine bestimmte Zeit in Deutschland verbringen – sozusagen ein Probeabo – und dann die Möglichkeit haben, wieder zurückzukehren. Das ist jetzt kein Argument gegen die geplante „Work-and-Stay-Agentur“.

Aber?

So eine Maßnahme ist unvollständig ohne eine zentrale Abteilung, die sich darum kümmert, wie man Fachkräfte emotional und kulturell erreichen beziehungsweise zurückholen kann. Darüber müssen wir sehr viel aktiver nachdenken.

Was ist mit der EU? Im Koalitionsvertrag steht, Made in Europe solle eine „globale Marke für digitale Sicherheit, Datensouveränität, Innovation und Fairness“ sein.

Die EU kann da ganz bestimmt was machen – wenn die Marke inhaltlich kohärent und im Austausch mit der Zivilgesellschaft beworben wird, statt einfach nur durch das Vorgeben von irgendwelchen platten Argumenten. Dafür braucht es langfristige Maßnahmen, die dann natürlich auch ein bisschen Geld kosten werden.

Woran denken Sie da zum Beispiel?

Man könnte auswärtige Kunden oder Verbraucherorganisationen einladen, um Firmen zu besuchen und dazu dann einen Dialog stiften – den man dann auch bewirbt.

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, autoritäre Staaten würden sich des Nation Brandings besser bedienen als demokratische. Was müssten Demokratien anders machen?

Liberale Staaten investieren zu wenig in ihre auswärtigen Kulturprogramme. Das Goethe-Institut musste zuletzt zehn Prozent seines Etats streichen. Das entsprach 80 Prozent im operativen Geschäft, denn Sie können keine Gehälter streichen und keine Mieten. Solche Probleme haben Sie in einer Diktatur oder einem autoritären Staat nicht: Die können Top-down machen, was sie wollen und den Markeninhalt relativ kurzfristig verändern.

Was folgern Sie daraus?

Was wir lernen müssen, ist: Wir leben in einer Welt von Marken – das ist die Sprache, die wir sprechen. In liberalen Staaten tun wir uns sehr schwer, offensiv darüber zu sprechen, was wir eigentlich zu bieten haben. Das muss sich ändern.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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