Sehr schnell nach dem Sieg des Rechtspopulisten Karol Nawrocki hat Tusk angekündigt, die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen. Was will er erreichen?
Die Wahl von Karol Nawrocki ist ein Schlag für Donald Tusk. Er kann jetzt nicht so tun, als sei nichts passiert. Er muss zeigen, dass er weiter handlungsfähig ist und dafür eine neue Legitimation seiner Autorität finden. Diese Legitimation sieht er in der Vertrauensfrage.
Was geschieht, wenn er verliert?
Dann ist die Regierung wahrscheinlich nicht zu retten. Das wäre dann schon die zweite Niederlage, und die würde er politisch vermutlich nicht überstehen. Aber ich halte es für ziemlich unwahrscheinlich, dass er die Abstimmung verliert. Natürlich kann man nie etwas völlig ausschließen, aber ich meine, er wird die Mehrheit bekommen.
Mit einer Mehrheit wäre er gestärkt, um weiter zu regieren?
Er wäre gestärkt, aber ihn erwartet eine sehr schwierige Zeit. Der zermürbende Präsidenten-Wahlkampf ist zu Ende, aber es ist durchaus möglich, dass relativ schnell ein neuer unerklärter Wahlkampf beginnt – der Kampf um die Parlamentswahlen im Herbst 2027. Das ist das große Problem. Wenn das geschieht, kommt Polen nicht zur Ruhe. Man muss damit rechnen, dass die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) den Erfolg Nawrockis nutzt, um die Regierung Tusk offen herauszufordern. Allerdings muss man auch klar sagen: Tusk kennt das Geschäft. Er hat auch in den vergangenen zwei Jahren – mit dem von der PiS unterstützen Präsidenten Andrzej Duda – nicht den Luxus gehabt, in Ruhe zu regieren. Er weiß, wie man in einer solchen Situation weitermacht.
Was bedeutet es dann, für die Handlungsfähigkeit Polens, vor allem in Bezug auf die Außen- und Europapolitik?
Es würde bedeuten, dass Außenpolitik im Schatten des Wahlkampfes gemacht wird und das wäre sehr schlecht für die Außen- und die Europapolitik. Das könnte vermieden werden, wenn sich Karol Nawrocki und die Regierung Tusk zumindest in den Grundfragen der Außenpolitik einigten. Nawrocki könnte zeigen, dass er an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit Tusk interessiert ist. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht. Auch die PiS müsste so einem Deal zustimmen und das sehe ich nicht. Die PiS will die neue Dynamik, die durch den Sieg Nawrockis entstanden ist, nutzen. Das sind die Spielregeln der Politik. Allerdings muss man auch festhalten, dass die polnische Außenpolitik von der Regierung bestimmt wird und nicht vom Präsidenten oder der Opposition. Insofern bedeutet das jetzt nicht, dass Polen völlig aus dem Spiel ist. Es bedeutet nur, dass die Regierung unter Druck agieren wird, so wie in den vergangenen zwei Jahren.
Was wird sich für die Bundesrepublik ändern, also für das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland?
Zunächst bedeutet das für Polen, dass Außenpolitik ein Teil des innenpolitischen Konfliktes bleibt, und davon sind vor allem die Beziehungen zu Deutschland betroffen. Das ist so, weil diese Beziehungen emotional am stärksten aufgeladen sind. Amerika interessiert zwar auch alle Parteien, aber die USA bieten relativ wenig Raum für große Konflikte. Mit Deutschland ist das anders. Die PiS hat diese Karte entdeckt und wird sie weiterspielen. Sie werden der Regierung und vor allem Tusk als einen brandmarken, der von Deutschland abhängig ist. Auch wenn die Mehrheit der Polen das nicht glauben, mobilisiert dieses Denken eine Minderheit. Es ist eine Art Pfeffer mit dem man den Wahlkampf gut würzen kann.
Welches Konfliktpotential bergen die Zurückweisungen von Flüchtlingen an der deutsch-polnischen Grenze für das Verhältnis beider Länder?
Sie sind kein so großes Problem. Wir reden hier ja nicht über Hunderttausende oder Zehntausende Zurückgewiesene, sondern eher über Hunderte. Eigentlich sollten beide Seiten eine Lösung finden. Der wahre Brennpunkt aber liegt an der polnischen Ostgrenze. Polen schützt seine Ostgrenze auch für Deutschland. Es ist schade, dass das in Berlin nicht ausreichend anerkannt wird. Die Wahrnehmung in Polen ist ungefähr die: 2015 hat Deutschland seine Grenzen für Migranten geöffnet, ohne sich darum zu kümmern, was das für die Nachbarn bedeutete. Jetzt will die Bundesrepublik Migranten zurückweisen, aber wieder ohne Abstimmung mit den Nachbarn. Und dabei muss man bedenken: Migration ist in Polen, wie schon 2015 war, eine heikle politische Frage. 2015 war Wahlkampf in Polen, 2025 auch. Ich verstehe das Bedürfnis nach klarer, harter Sprache. Aber eine Lösung könnte man auch im Einvernehmen mit den Nachbarn erreichen. So wie früher. In den 90er Jahren, zum Beispiel, als in Deutschland viele Flüchtlinge aus den Balkanstaaten ankamen, haben Polen und Deutschland ein Rückführungsabkommen unterzeichnet.
Was sollte Deutschland anderes machen?
Zum Beispiel einen Beitrag zur Sicherung der polnischen Ostgrenze leisten. Da geht es um Sicherheit im doppelten Sinne: innere Sicherheit, also Migrationsströme und äußere Sicherheit, als Grenze der NATO und der Europäischen Union. Mit deutscher Unterstützung hätte die polnische Regierung dann etwas zum Vorzeigen: „Seht her, wir helfen den Deutschen und die Deutschen helfen uns bei der Sicherung der Ostgrenze“. Das hätte die Regierung Tusk vor einiger Zeit gut vermitteln können. Ob das heute noch möglich ist, kann ich nicht sagen.
Warum ist das bis jetzt nicht geschehen?
In Deutschland haben alle die Präsidentschaftswahl in Polen abgewartet und auf einen Neubeginn gehofft. Sie dachten, am 1. Juni wird alles einfacher. Ich war da skeptisch. Ich bin auch immer skeptisch, wenn in Deutschland Polen so hochgelobt wurde – als der neue große Freund und Partner. Das ist natürlich nicht falsch. Aber das beruht nicht immer auf einem realistischen Bild von Polens Situation. Man kann politisches Geschäft nur mit einem Partner machen, den man wirklich gut versteht, auch mit seinen Problemen, mit seinen Empfindlichkeiten.
Sie sagen, dass in Polen die Regierung für die Außenpolitik zuständig ist. Allerdings hat sich Nawrocki abweisend gegenüber der Ukraine geäußert. Er ist gegen einen Nato- und gegen einen EU-Beitritt des Landes. War das nur Wahlkampf-Rhetorik?
Ich hoffe, dass er diese Position aus dem Wahlkampf nicht in seine politische Arbeit als Präsident übernehmen wird. Ich glaube auch nicht, dass er aus strategischen Gründen gegen den NATO-Beitritt oder den EU-Beitritt der Ukraine war. Er hat Zweifel gesät, weil das innenpolitisch ein nicht ganz einfaches Thema in Polen ist. Aber das hat mit Sicherheitspolitik nichts zu tun, es geht viel mehr um die Konkurrenz in der Landwirtschaft und um Fragen der Akzeptanz für ukrainische Flüchtlinge, vor allem deren Integration in die sozialen Systeme. Die Oppositionsparteien haben darin ein Wahlkampfthema erkannt. Aber es war nur ein Nebenthema. Als Präsident wird sich Nawrocki zu diesem Thema möglicherweise zurückhaltender äußern.
In Deutschland haben wir noch die Bilder vor Augen, wie die Polen die ukrainischen Flüchtlinge mit offenen Armen aufnehmen und sich mit ihrem angegriffenen Nachbarland solidarisch zeigen. Da wirken die Aussagen Nawrockis doch überraschend.
Das sind die sogenannten Mühen der Ebene. Eine gewisse Ernüchterung war wohl unvermeidlich. Generell unterstützen die Polen die Ukrainer, wobei es mittlerweile im Alltag auch Reibungen gibt. Ich glaube also, dass Polen weder innenpolitisch noch außenpolitisch ein anderes Land geworden ist. Die pro-ukrainische Politik ist nicht gescheitert, auch wenn die Akzeptanz für sie keine Selbstverständlichkeit ist. Damit kann man leben.
Donald Trump hat persönlich in den polnischen Wahlkampf eingegriffen. Er hat Nawrocki in Washington empfangen, er hat eine Ministerin nach Warschau geschickt, die dezidiert für Nawrocki Wahlkampf gemacht hat. Erschwert das die Beziehungen der Tusk-Regierung zu Washington?
Die Tusk-Regierung kann sich da nicht provozieren lassen. Sie macht die polnische Politik, das wissen die Leute in Washington auch. Der neue Präsident wird überlegen müssen, wie er damit umgeht. Ich glaube nicht, dass diese Intervention aus den USA in der polnischen Bevölkerung sehr populär ist. Grundsätzlich glaube ich, das war kein guter Dienst an dem polnisch-amerikanischen Verhältnis.
In seiner ersten Amtszeit versuchte Trump Polen aus der EU-Solidarität heraus zu eisen und damit die EU zu spalten. Hätte er künftig mit dieser Politik Erfolg?
Das glaube ich nicht, auch wenn die Gefahr da ist. In Washington mag man versucht sein Polen gegen andere europäische Staaten auszuspielen. Ich glaube nicht, dass Polen sich darauf einlässt. Nicht einmal die PiS-Regierung hat sich darauf wirklich eingelassen. Der scheidende Präsident Andrzej Duda war sehr pro-amerikanisch, sehr pro-Trump, aber er hat sich nie einspannen lassen für eine anti-europäische Aktion. Das war die rote Linie. Und ich hoffe, dass diese rote Linie auch jetzt respektiert wird.