Berlin.Table Interview Transformation

Christiane Benner: „Wir dürfen Probleme nicht herbeireden“

Die IG-Metall-Chefin wünscht sich mehr Fokus auf die Dinge, die „wirklich existenziell“ sind. Eine Senkung der Lohnnebenkosten bringe nichts, wenn es keine Industrie mehr gebe.

17. Dezember 2025
Seit 2023 Erste Vorsitzende der IG Metall: Christiane Benner (picture alliance/dpa/Moritz Frankenberg)

Sie sind seit November Präsidentin der Gewerkschaftsföderation IndustriALL Global Union, IGBCE-Chef Michael Vassiliadis ist Präsident von IndustriALL Europe. Wie steht es um Deutschlands Einfluss in Sachen Transformation?

Made in Germany ist immer noch ein Begriff, auf Deutschland wird geschaut. Die IG Metall ist die größte freie Gewerkschaft der Welt. Wenn bei VW oder Mercedes in den USA Union Busting betrieben wird oder es ein Streikverbot in der türkischen Niederlassung einer deutschen Firma gibt, werden wir kontaktiert. Gleichzeitig geht es für uns um die Frage, wie wir in Deutschland unsere Position als Leitmarkt halten können inmitten der Wirtschaftskrise mit Abbau und Verlagerung von Arbeitsplätzen. Wir müssen zwingend die Wertschöpfung hier im Land halten, um Arbeit und Wohlstand zu sichern.

Ist in Politik und Wirtschaft angekommen, dass man sich bewegen muss beim Thema Resilienz?

Die EU-Kommission hat gerade den Battery Booster beschlossen. Der boostet mit 1,8 Milliarden zu wenig. In Deutschland gibt es einen Panikmodus. Statt zu sagen „Wir setzen uns jetzt zusammen und schauen, wie wir die Probleme lösen“ – etwa bei Batterien, Beschaffung seltener Erden oder einer echten Kreislaufwirtschaft – kommt man mit Sozialstaats- und Rentendebatten. Das ärgert mich. Ich würde mir mehr Fokus wünschen auf die Dinge, die wirklich existenziell für die deutsche Industrie sind. Eine Senkung der Lohnnebenkosten bringt beispielsweise nichts, wenn wir irgendwann keine Industrie mehr haben.

Welche Dinge wären das?

Es geht um Fragen wie: Wie werden wir innovativer, wie kommen wir in der Digitalisierung weiter, können wir mit Kurzarbeit Zeiten des Umbaus überbrücken? Auf der einzelbetrieblichen Ebene versuchen wir das schon. Außerdem gibt es Bereiche, die gut laufen. Mich nervt diese öffentlich geschürte Stimmung, wonach alles noch viel schlimmer sei als gedacht. Ich habe neulich Kolleginnen und Kollegen mit Aufsichtsratsmandaten gefragt, wie sie die Situation in den Unternehmen einschätzen. Ihre Antwort: stabil. Das gibt es also auch. Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken und Probleme herbeireden.

Wie steht es um die Abhängigkeit von China?

Der Fall Nexperia hat gezeigt, wie stark unsere Industrie von Lieferketten abhängt und wie fragil diese sind. Sobald eine Komponente fehlt, geraten bei uns die Produktionsabläufe massiv ins Stocken. Deswegen müssen wir in Deutschland und Europa resilienter werden – der beim Wirtschaftsministerium angesiedelte Rohstofffonds ist ein guter Schritt.

Inwiefern?

Das ist ein staatlich geschütztes Eigenkapitalinstrument, mit dem wichtige Projekte gefördert werden. Wir müssen an das Thema strategisch rangehen, wie es Mario Draghi auch in seinem Bericht schon Ende 2024 beschrieben hat. Die zentralen Themen sind Rohstoffbeschaffung und Recycling. Wir müssen strategisch entscheiden, was wir selbst machen können und wo es Partnerschaften braucht. Dazu haben wir in Australien gerade eine bittere Lektion gelernt.

Was meinen Sie?

Rund um den IndustriALL-Kongress in Sydney hatten wir viele Termine mit der deutsch-australischen Handelskammer und dem deutschen Botschafter. Die Australier waren ziemlich ratlos, als sie uns ihre Erfahrungen berichteten. Sie sagten: „Wir haben den Deutschen unsere Rohstoffe angeboten – aber von den Firmen, die gekommen sind, um sich alles anzuschauen, haben wir nie wieder was gehört“.

Waren den deutschen Firmen die Preise für die Rohstoffe zu hoch?

Das war ein Grund, ja. Aber es lag wohl auch an der Haltung von manchen Unternehmen, die zum Beispiel gesagt haben: „Wir sind ein Autohersteller, kein Minenbetreiber“. Nach dem Motto: Wir wollen die Rohstoffe einkaufen, aber können uns nicht auch noch Gedanken über die „strategische Beschaffung“ dahinter machen. Diese Kurzsichtigkeit deutscher Manager ist ein Problem.

Was empfehlen Sie?

Unsere Firmen in Deutschland haben sich zu lange darauf verlassen, dass sie die Rohstoffe und Vorprodukte irgendwo einkaufen können. Aber diese Zeiten sind vorbei. Wir sind sehenden Auges in die Probleme reingelaufen, wir hatten ja schon während Corona eine Halbleiter-Krise. Die Abhängigkeit von China – auch bei Magneten, Lithium, Gallium, Wolfram – ist besorgniserregend. Es braucht Alternativen. Hilfreich wäre es, wenn Unternehmen sich zusammentun und das Thema auch an die Politik herantragen.

Was tun?

Als Unternehmen muss ich vielleicht ein bisschen tiefer in die Tasche greifen. Um das Ganze dann beispielsweise eben aus Australien zu sourcen. Da weiß ich dann aber wenigstens auch: Da habe ich zuverlässige Quellen und relativ korrekte Bedingungen entlang der Wertschöpfungskette mit Blick auf Umwelt und Soziales.

Die EU-Kommission will strategischer vorgehen, um die wirtschaftliche Sicherheit zu stärken. Was sollte sie tun?

Wir sollten Investitionen in Europa nur unter strengen Local-Content-Auflagen erlauben. Ich möchte gerne, dass unsere Zulieferer davon profitieren, wenn sich beispielsweise BYD in Europa ansiedelt. Dass das bisher ohne Auflagen geschieht, ist inakzeptabel. In den USA bekommen Sie ein echtes Problem, wenn Sie ein Teilchen verbauen, das nicht dort gefertigt worden ist. Und was machen wir? Wir glauben noch zu oft an den freien Markt, während andere Länder gezielte Industriepolitik machen.

Worauf beziehen Sie sich?

Um billiger durchzukommen, verlagern die Unternehmen Produktion und Arbeitsplätze oder holen günstige Zulieferteile und Produkte hierher und schwächen damit unsere eigene Industrie. Das macht vieles kaputt, da muss umgesteuert werden. Es ist gut, dass endlich über lokale Wertschöpfung gesprochen wird und überlegt wird, wie wir diese in mehr Arbeitsplatzsicherheit umwandeln können. Darauf hat die IG Metall gedrängt. Mit solchen Maßnahmen würde die EU auch eine größere Akzeptanz bekommen bei den Menschen. Es gibt das Gefühl, dass Subventionen mit ihrem Steuergeld irgendwo reinfließen, sie selbst aber nichts davon haben – sondern nur die Unternehmen, die höhere Profite erzielen.

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Letzte Aktualisierung: 17. Dezember 2025