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Erscheinungsdatum: 04. April 2023

Grüner Bundestagsnovize Karl Bär: „Ich bin hier einer der Radikaleren“

Karl Bär war Kommunalpolitiker in Bayern; als Anti-Pestizid-Aktivist fiel er bundesweit auf. Jetzt versucht er, mit einer bienenfreundlichen Agenda den Agrarausschuss des Bundestags aufzumischen.

Wer Karl Bär eine Frage stellt, fängt sich als Antwort schon mal einen Kurzvortrag: scharf, analytisch und eher komplex. Der Bayer ist keiner der gemütlichen Gangart, auf manche wirkt er kühl bis arrogant. Dabei glüht er für seine Sache: eine giftfreie Umwelt, Bienen, Bio-Bauern. Und für die Demokratie.

Es war Bärs vierter Anlauf, als er sich im April 2021 für ein Bundestagsmandat bei den Grünen bewarb. Er war da schon ziemlich bekannt: als Opfer und Held zugleich. Bär arbeitete als politischer Referent beim Umweltinstitut München. Gegen ihn und sechs Kollegen hatte der Landwirtschaftsminister von Südtirol gemeinsam mit 1375 Obstbauern 2017 Strafanzeige wegen übler Nachrede gestellt. Die Umweltaktivisten hatten ein Plagiat plakatiert, eine Fake-Tourismus-Werbung für ein „Pestizidtirol“.

Solche Klagen nennt man auch SLAPP, „Strategic Lawsuits agains Public Participation“, weil sie der Einschüchterung von Umweltschützern oder Menschenrechtsaktivisten dienen sollen. Doch Bärs Team hielt dem Schlag stand; organisierte Anwälte, Pressekonferenzen, Unterstützer. Fünf lange Jahre. Als letzte Klage wurde die gegen Karl Bär fallengelassen, damit endete der Prozess im Mai 2022. Sogar überregionale Medien berichteten darüber. „War das ein Sieg?“ Der Abgeordnete überlegt. „Nein. Ja. Doch.“ Ihm sei in dem Moment nur eben kein Stein vom Herzen gefallen, „dazu ging es viel zu lange Auf und Ab“. Hätten die Kläger ihr vermeintliches Recht durchgesetzt, hätten ihm Schadenersatzforderungen im sechsstelligen Bereich gedroht.

Bärs Bundestagsbüro ist neu, rote Auslegware, Holztäfelung. Wenig Persönliches bis auf ein Marmeladenglas mit Kakaopulver. Den Kakao haben ihm die Kollegen gerade zum 38. Geburtstag geschenkt. Bär sieht keinen Tag älter aus, ein drahtiger Mann mit rötlichem Teint in eng anliegendem schwarzen Hemd. Er redet schnell und leise. Auf Bühnen wird er zum fesselnden Erzähler, die Stimme fest und klar, die Augen auf die Zuschauer gerichtet. Bär war ziemlich am Anfang seiner politischen Karriere, 2011, Bundessprecher der Grünen Jugend.

Mitte März hat der Holzkirchner seine erste längere Rede im Plenum des Bundestags gehalten. Es ging um moderne Gentechnik in der Landwirtschaft. Die Union will sie, die Grünen lehnen sie ab, am 7. Juni wird darüber in der EU abgestimmt. Vor 25 Jahren seien schon mal hochmoralische Appelle für die grüne Gentechnik ertönt, erinnert der neue Abgeordnete, um damit den Hunger auf der Welt zu stoppen. Doch dort, wo gentechnisch manipulierte Pflanzen zugelassen wurden, sei nur der Pestizideinsatz „explodiert“. Widerspruch auf den Rängen, „doch, doch“, beharrt Bär, „das ist so“. In Europa, endet der Agrarpolitiker seine ersten sechs Minuten am Pult, habe sich eine Mehrheit damals anders entschieden. Und durchgesetzt. „Das nennt man Demokratie.“

Nach ihm redet Max Straubinger von der CSU, sagt, dass Landwirtschaft Fortschritt sei, und die Union deshalb für neue grüne Gentechnik. Nach vier Minuten Zwischenfrage von Karl Bär. „Ist Gentechnik verboten?“ Pause. Der ältere Kollege ringt um Fassung. „Aber wegen der Zulassung streiten wir doch!“, sagt Straubinger dann. Zwischenfragen sind Bärs Spezialität. Grüne Gentechnik ist nämlich nicht verboten. Aber sie muss vor der Zulassung aufwendige Sicherheitsprüfungen durchlaufen. Diese Hürde wollen die Befürworter abbauen. Sie halten die neuen Techniken wie die Genschere Crispr/Cas für unbedenklich. Bär glaubt trotzdem nicht, dass sie damit durchkommen. „Bei mir daheim ist der Landkreis gentechnikfrei und will das auch bleiben.“ Nicht einmal im schwarzen Bayern fänden die Bäuerinnen und Bauern Gentechnik gut. Auch, weil sie zur Abhängigkeit von Saatgutherstellern führe.

Plötzlich steht Bär auf und verschwindet nach nebenan. Er kehrt mit einer Flasche Weißwein zurück. Auf dem Label steht „Gf.Ga-52-42“. „Dieser Wein ist das Ergebnis völlig gentechnikfreier Spitzenzüchtung des staatlichen Julius-Kühn-Instituts“, sagt Bär. „Durch Kreuzungen mit amerikanischen und asiatischen Wildreben ist die Traube nicht so anfällig für Pilzerkrankungen wie etwa falscher Mehltau. Fungizide braucht’s dann kaum noch.“

Bär hat zwei Uniabschlüsse, in Landwirtschaft und in Islamwissenschaft. Er gilt als fleißig, seine Arbeitstage sind lang, auch am Wochenende. Einmal im Monat besuche er seine Tochter, sie ist vier und lebt bei ihren zwei Müttern. Bär hat seinen Samen für sie gespendet. Inzwischen fahren die beiden auch mal allein in den Urlaub, auf einen Biobauernhof oder in seine geliebte Toskana.

Er wirkt wie jemand, der endlich da ist, wo er immer hinwollte. Von 2009 bis 2013 hat Bär schon mal im Bundestag gearbeitet, für eine grüne Kultuspolitikerin. Es ging etwa um Gelder für die Sobibor-Gedenkstätte in Polen. „Ich bin hier einer der Radikaleren“, sagt der Bayer. „Aber ich bin darauf eingestellt, dass ich hier anders rauskomme, als ich reingegangen bin.“ Realpolitik, glaubt der zum linken Flügel gehörende Grüne, sei die, die wirklich etwas bewegen kann.

Beispiele? Dass die landwirtschaftliche Forschung jetzt, unter grüner Führung, zu 30 Prozent in ökologische Anbauformen fließe. Statt wie bisher zu höchstens zwei Prozent. Der Agrarexperte holt zu einem Vortrag über Fruchtfolgen aus. „Wenn ich Raps alle zwei Jahre anbaue, habe ich einen anderen Schädlingsdruck, als wenn ich ihn nur alle fünf Jahre anbaue. Was kann denn einem Käfer Besseres passieren, als immer wieder in einem 40-Hektar-Rapsfeld aufzuwachen? Der fühlt sich wie ein Kind in der Schokoladenfabrik.“

Und dann seien da noch die Möglichkeiten, mit neuer Technik für mehr Biodiversität zu sorgen. Saatgut könne man so mischen, dass Landwirte beispielsweise Hafer, Linsen und Roggen auf einem einzigen Feld anbauen, und die Ernte hinterher in einer spezialisierten Mühle mittels Hightech trennen. In Sachsen werde gerade so eine gebaut. „Da muss ich hin“, erinnert Bär seinen Mitarbeiter. Ihn interessieren Technik und Zahlen.

Bär kann Paragrafen auswendig, etwa die EU-Richtlinie Nr. 128 aus dem Jahr 2009, Anhang 3. Ihr zufolge dürfen Landwirte nur dann Pestizide einsetzen, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft sind. In Obstplantagen hielten viele Anbauer die Wege zwischen den Bäumen dennoch durch den Einsatz von Glyphosat unkrautfrei. „Die Alternative wäre: Mähen.“ Sanktionen? Bär winkt ab. „In Sachsen-Anhalt kontrollieren 15 Mitarbeiter 3000 Betriebe. Im Jahr schaffen sie 200. Das heißt, alle 15 Jahre kommt da mal einer vorbei.“

Im Februar diesen Jahres landete der SLAPP gegen das Münchner Umweltinstitut als Bumerang wieder in Südtirol. Das kam so: Die beklagte Seite, also Bärs Team, hatte Einsicht in die Spritzbücher der Obstbauern aus 2017 verlangt. So gelangte das Umweltinstitut an eine europaweit einzige Datensammlung. Deren Auswertung zeigte Erschreckendes: In der Saison war nicht ein einziger Tag vergangen, an dem nicht mindestens eines der teilweise hochgiftigen Pflanzenschutzmittel gespritzt worden war. Auf einer Plantage wurden an einem Tag sogar neun verschiedene Pestizide versprüht. Auch unabhängige Experten zeigten sich erschüttert.

Karl Bär setzt jetzt auf die Ergebnisse von Luftuntersuchungen, um die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass diese Praxis ein Ende finden muss. Das Münchner Umweltinstitut hat dies 2020 deutschlandweit gemacht, an 116 Standorten, einer davon Bärs Garten. Ergebnis: Es gab kein Ort ohne Pestizide in der Luft, auch weit entfernt vom Ort ihres Einsatzes. „Wir atmen alle Glyphosat ein“, sagt Bär. Das Pestizid, das im Verdacht steht, Krebs zu erregen, hafte an Staubkörnchen.

Jetzt, als Teil einer Regierungspartei, freut er sich darüber, dass solche Untersuchungen erstmals von Amts wegen geführt werden. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, erzählt er, habe 30 Standorte für umfangreiche Prüfungen der Luft auf Ackergifte identifiziert.

„Darf ich das überhaupt erzählen?“, fragt er seinen Mitarbeiter. Der nickt. Bär gefällt es, jetzt vieles zu wissen darüber, was hinter den Kulissen passiert. So, wie ihm gefällt, mit Ministern per Du zu sein, mit Steffi oder Cem oder Claudia, die er alle schon lange kennt. Die Politik, das Parlament, ist jetzt sein Habitat.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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