Analyse
Erscheinungsdatum: 10. Juni 2025

Zustand der Grünen – Eine Böll-Studie zur Ampel und warum die Grünen so schwer Orientierung finden

Eine neue Studie der Böll-Stiftung dürfte in den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen für Aufsehen sorgen. Warum es der Partei an Führung, klarer Kommunikation und klaren Zuständigkeiten fehlt, hier ein Einblick.

Sie ist 89 Seiten lang, reflektiert die Arbeit in der Ampel und legt grüne Defizite offen, die bis heute nachwirken: Am Mittwoch wird in Berlin eine Analyse der Böll-Stiftung vorgestellt, die in den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen genau gelesen werden dürfte. Es geht nicht nur um Schwächen. So ist von einer professionellen Vorbereitung aufs Regieren die Rede. Und vom berechtigten Bemühen, alle Parteiebenen einzubinden.

Aber die Studie, die Table.Briefings vorliegt, zeigt zugleich drei Schwachstellen, die in der Opposition weiter bestehen: So gab es laut Autor trotz Vizekanzler oder Sechserrunde kein unbestrittenes Machtzentrum; eine strategische Rollenverteilung zwischen Regierung, Partei, Fraktion und den Ländern blieb unklar. Und die Kommunikation war nicht schnell und geschlossen genug, um unter immer schwierigeren Bedingungen auf Kritik oder gar Attacken der politischen Gegner adäquat und erfolgreich zu reagieren.

Grünes Kabinett, Staatssekretärsrunde, Sechserrunde – was die Grünen durch Einbindung und Organisation stärken sollte, wurde zur großen Schwäche. Der Autor hat mit zahlreichen Beteiligten gesprochen und schreibt, dass nur die wenigsten „eine klare Vorstellung skizzieren konnten, wie eine gute Rollenverteilung zwischen Regierungsgrünen, Bundestagsfraktion, der Bundespartei und den G-Ländern aussehen könnte – und diese wenigen Ansichten unterschieden sich obendrein nicht unerheblich“. Übersetzt heißt das: Es gab keine klare Aufgabenteilung; es war nie geklärt worden, wer angreift, wer in Auseinandersetzungen verbindlich bleibt und wer am Ende eines Konflikts den Haken dran macht.

Die fast schon logische Konsequenz: Auch die Kommunikation war nicht so, wie sie hätte sein müssen. Eigenes wurde nicht früh und entschieden genug gepusht. Und die Antworten auf Ampel-Partner oder politische Kontrahenten kamen meist zu spät, waren zu unkoordiniert und zu unklar. Das mag auch mit der Zahl an Gremien und beteiligten Personen zu tun haben. Es führte jedenfalls zu jenem Verlust der Deutungshoheit, die Felix Banaszak und Franziska Brantner früh nach dem 23. Februar beklagt haben. An den Problemen hat sich seither nichts Wesentliches geändert. Wer hat am Ende wirklich das Sagen? Und was ist die programmatische Idee für die Zeit auf den harten Bänken der Opposition – eingeklemmt zwischen Linken und AfD?

Traditionell liegt das grüne Machtzentrum in Oppositionszeiten bei der Fraktion. Das hatte sich erst 2018 mit der Wahl von Robert Habeck und Annalena Baerbock an die Parteispitze geändert. Nach den erfolgreichen Verhandlungen von Britta Haßelmann und Katharina Dröge über die Verfassungsänderungen schien es so, als werde wieder die Fraktion der Impulsgeber. Doch angesichts der Schnelllebigkeit des Berliner Geschäfts trägt ein gutes Verhandlungsergebnis nicht besonders weit. Die Parteichefs ihrerseits haben ihre neue Rolle noch nicht gefunden. Aktuell wirken sie eher wie Verwalter der Schrammen und Schmerzen nach der Niederlage, nicht wie kreative Strategen der Zukunft. Dass in der Lage mancher über Habecks Rückkehr spekuliert, macht die Sache für die Doppelspitzen in Fraktion und Partei nicht besser.

Dazu kommt Druck aus den Ländern. Sie fordern nach Jahren der Bundesdominanz mehr Einfluss auf Kurs und Strategie. Das gilt für die mitregierenden Grünen in NRW und Schleswig-Holstein, ganz besonders aber für die Baden-Württemberger, die im nächsten Frühjahr um den Wiedereinzug in die Staatskanzlei kämpfen. Geht sie verloren, fehlt den Grünen eine zentrale Machtbasis. Trotzdem scheint die Bedeutung dieser politischen Schlacht noch nicht allen Bundes-Grünen klar zu sein. Deshalb ist auch nicht ausgemacht, mit wie viel Unterstützung aus Berlin der Oberrealo Cem Özdemir rechnen kann.

Ähnlich offen ist die Frage, in welche Richtung die Grünen gehen werden. Vor allem am linken Flügel wollen viele die Grünen wieder nach links verschieben, um sich gegen die Linken zur Wehr zu setzen. Deren Erfolge bei der Bundestagswahl sind so einfach, aber nicht zu kopieren; sie lagen in einer radikalen Abgrenzung zur Union, die nur machen kann, wer niemals kooperieren möchte. Und in der Haltung der Grünen zu Israel; auch da ringen die Grünen um weitaus mehr Differenzierung als die Linke.

Andere Grüne treibt die Idee um, die Lücke zu füllen, die der sozialliberale Teil der FDP hinterlassen hat. Liberal, weltoffen, für die Freiheit kämpfend, nicht als „Öko-FDP“, aber als moderne Partei der Bürgerrechte mit einer positiven Zukunftserzählung. Wieder andere wollen ganz auf Klimaschutz setzen, der bei Schwarz-Rot keine große Rolle zu spielen scheint. Es geht um viel; es gibt tausend verschiedene Andeutungen. Aber noch ist da niemand, der die Richtung vorgeben würde.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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