Analyse
Erscheinungsdatum: 06. Oktober 2024

Wohnen über dem Supermarkt: Wie Aldi, Rewe & Co in der Baubranche mitmischen

Eingeschossige Planungen rentieren sich in Ballungsräumen oft nicht mehr. Deshalb finden sich über Supermärkten verstärkt Wohnungen, Büros oder Kitas – wenn die Kommunen zustimmen.

Die großen Einzelhandelsunternehmen in Deutschland haben sehr vieles im Sortiment. Mit einem aber sind sie bislang nicht berühmt geworden: dem Bauen, Vermieten und Verkaufen von Wohnungen. Genau das aber könnte sich jetzt ändern. Ob Aldi, Lidl oder Rewe: Sie alle kämpfen vor allem in den Städten mit knappem Raum, hohen Grundstückspreisen und der Frage, wie man angesichts dessen noch einigermaßen wirtschaftlich Filialen bauen und betreiben kann.

Zumal, wenn man bislang vor allem eine eingeschossige Nutzung gewohnt ist. Not macht die Discounter erfinderisch; die meisten haben nach diesem Motto damit begonnen, nicht mehr nur an ihre Filialen zu denken, sondern weit darüber hinaus. Sie entwerfen Gebäudekomplexe – zum Teil in Kooperation mit den Städteplanern der Gemeinden –, in denen sie über den Filialen Wohnungen bauen und eine Mischnutzung fördern, mit Büros, Kitas, Cafés.

Genaue Zahlen sind nicht verfügbar, die Konzerne wollen sie nicht verraten. Aldi Süd verweist auf Nachfrage aber auf eine Projektseite, der zufolge mehrere Hundert Wohnungen und Wohnheim-Plätze schon fertig oder in Planung sind. In Köln plant der Discounter derzeit etwa die Errichtung von bis zu 100 Wohnungen auf dem Gelände einer Filiale. Das revolutioniert den Wohnungsbau noch nicht. Aber es zeigt, in welche Richtung es gehen kann.

Aldi Süd gibt sich dabei wie die Konkurrenz ökologisch und sozial nachhaltig. Beim Projekt in Köln sollen Parkplätze zumindest oberirdisch wegfallen, um andere Nutzungen möglich zu machen. Neben Fahrradstellplätzen samt Reparaturstation soll es Elektroladestationen geben. Zudem sind der Einzug eines Mehrgenerationenprojekts sowie ein Quartiercafé vorgesehen. Dazu kommen: Dachbegrünung, Wärmerückgewinnung, Solarenergie. Bevor die Unternehmen solche Projekte realisieren können, brauchen sie aber die Zustimmung der lokalen Behörden.

Daher bemühen sich die Supermarkt-Größen um gute Beziehungen zu den Kommunen. Kontakte gibt es: Der Städte- und Gemeindebund etwa hat mit Unterstützung von Lidl eine Veranstaltungsreihe rund um das Thema Nahversorgung gestartet. Im Fokus steht die Entwicklung von Konzepten zur Belebung von Innenstädten und Ortskernen. Ein wohnortnahes Angebot an Geschäften zur Deckung des täglichen Bedarfs „ ist ein wichtiger Beitrag zur Lebensqualität“, sagt Bernd Düsterdiek, beim DStGB zuständig für Gemeinde- und Stadtentwicklung.

Gleichzeitig weist er darauf hin, neue Einzelhandelsstandorte müssten immer mit kommunalen Bedarfen abgestimmt sein. Es gelte, zweierlei zu verhindern: zum einen zu viele Geschäftige und zum anderen übermäßige Konkurrenz sowohl innerhalb verschiedener Kommunen als auch innerhalb des Handels.

Erste Anfänge für das Projekt „Supermärkte als Bauherren“ hat es schon vor einigen Jahren gegeben. 2012 hat beispielsweise Lidl Wohnungen über einer Filiale in Berlin fertiggestellt. Im bayerischen Tegernsee wiederum gewährte der Stadtrat dem Unternehmen eine Baugenehmigung nur unter einer Bedingung: dass nur Personen mit geringem Einkommen einziehen dürfen. Dabei half, dass das Grundstück, um das es ging, der Stadt gehörte.

2020 nahm Lidl außerdem – laut einem Fachmagazin erstes Unternehmen seiner Branche überhaupt – an der inzwischen eingestellten Berliner Messe bautec teil. Dort warb es für die Kombinierung von Einkaufen und Wohnen mithilfe seriell gefertigter Module. Auf serielles Bauen setzt die Bundesregierung inzwischen ganz allgemein, um schneller im Kampf gegen die Wohnungsnot voranzukommen.

Das Bauministerium begrüßt denn auch die Initiativen von Supermarkt-Betreibern. „Insbesondere dann, wenn dadurch weiterer bezahlbarer Wohnraum und/oder Wohnraum für die Mitarbeitenden der entsprechenden Unternehmen geschaffen wird , so ein Sprecher. Christian Bernreiter von der CSU, aktueller Vorsitzender der Bauministerkonferenz, sieht es ähnlich: „Jede Wohnung zählt!“

Matthias Günther vom Pestel-Institut, das als Forschungsinstitut und Dienstleister für Kommunen tätig ist, weist allerdings darauf hin, dass es einen Unterschied gibt: Handelsgebäude für Discounter seien in der Regel auf eine Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren angelegt. Bei Wohngebäuden geht man von bis zu 100 Jahren aus. Bei einem Neubau, der beides kombiniert, müsse deshalb entsprechend mehr Geld in die Hand genommen werden – damit das Erdgeschoss mehrere Stockwerke über sich aushält.

Bestehende Supermarkt-Immobilien sind von der Statik her dem Ökonomen zufolge nicht für Aufstockungen geeignet. Das Konzept – Wohnungen auf Supermärkten – höre sich im ersten Moment toll an, „wirft dann aber doch oft doch Probleme auf, die Projekte scheitern lassen“, so Günther. Er nennt Lärmbelästigung durch den Anlieferverkehr am frühen Morgen oder späten Abend.

Darüber hinaus würden sich die Eigentümer von Handelsimmobilien bislang nicht mit dem Wohnungsmarkt auskennen. Die Branche allerdings stellt sich darauf ein. Aldi Nord etwa hat 2021 in Berlin, Hamburg und Essen spezialisierte Immobilienbüros gegründet, um sich mit Kommunen und Investoren abzustimmen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!