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„Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit“

Einst CDU-Bundestagsabgeordneter, später Staatssekretär im Finanzministerium, heute BDA-Hauptgeschäftsführer: Steffen Kampeter
(Bild: Imago/Jürgen Heinrich)

Berlin.Table: Herr Kampeter, es gibt eine magische Zahl: Deutschland, so heißt es, brauche von nun an 400.000 Arbeitskräfte zusätzlich pro Jahr. Ist das auch Ihre Zahl?

Steffen Kampeter: Ich möchte da präzise sein. Das Narrativ ist und bleibt: Das rohstoffarme Deutschland muss vor allen Dingen in die Köpfe investieren. Und das ist eine Frage der Menge und der Qualität.

Was bedeutet das?

Dass wir, wenn wir über die Sicherung von Fachkräften und Arbeitskräften reden, nicht nur über Mengen sprechen, sondern auch über Qualitäten. Es geht mir um die dramatisch nachlassende Qualität der Ergebnisse im Bildungswesen. Wenn ein schlecht ausgebildeter Schüler in einen Betrieb kommt, muss man sich erst einmal um die Grundlagenvermittlung kümmern. Das ist eigentlich keine betriebliche Aufgabe. Es geht also nicht nur um Zuwanderung. Wir müssen mehr leisten: Investitionen in eine exzellente Ausbildung und dauerhafte Qualifizierung – plus eine gut organisierte Zuwanderung von Fachkräften. Und dann muss auch die Politik aufhören, uns Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Das klingt nach dem bekannten Jammern der Wirtschaft.

Nein, nach dem Bewusstmachen dessen, was Entscheidungen der Politik für Folgen haben. Welcher Jahrgang sind Sie?

Ich? 1964.

Sehen Sie, und ich 1963. Wir beide also werden in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen. Wir Babyboomer verlassen die Arbeitswelt. Oft gilt dabei die Regel: Je besser die Ausbildung und je mehr sie verdient haben, desto früher gehen sie. Das reißt ein gewaltiges Loch in die Stabilität unserer Wirtschaft. Und es trägt dazu bei, dass Deutschland immer weniger die wirtschaftliche Lokomotive ist, die es mal war. Wir sind beim Wachstum unter den Schlusslichtern in der Eurozone. Und nach den jüngsten Prognosen internationaler Beobachter hat das viel damit zu tun, dass wir immer weniger Menschen im Arbeitsmarkt haben. Per Saldo werden in den nächsten Jahren zwischen 300.000 und 400.000 Menschen mehr den Arbeitsmarkt verlassen als wieder reinkommen. Und dann kommt eines noch hinzu: Auch die, die da sind, können oft nicht mehr das, was gebraucht wird. Wir müssen im großen Stil fortbilden und umschulen. Neudeutsch: Skillshift.

Es geht um den Wert von Arbeit. Um den Stolz auf Arbeit

Sie sprechen drei Stränge an. Schulsystem, Zuwanderung, Fortbildung. Fangen wir beim letzten an: Muss die Bundesagentur für Arbeit eine Volks-Fortbildungsagentur werden?  

Nein. Weiterbildung muss das Kernanliegen der Arbeitgeber bleiben, weil sie die Leute holen und halten wollen. Die Bundesagentur ist ein lieb gewonnener Partner, aber sie kann die Betriebe nicht ersetzen. Sie verfügt über rund zwei Milliarden Euro an Fort- und Weiterbildungsmitteln. Wir in den Betrieben wenden für das Gleiche mehr als 40 Milliarden Euro auf. Die Betriebe wissen besser, wie das geht. Wir brauchen keine Weiterbildungsagentur. Wir brauchen eine Politik, die versteht, was sie tut oder unterlässt – und sich auch korrigiert. 

Wo?

Nehmen Sie die Rente mit 63. Wenn die Politik das beschließt, muss sie wissen, was das bedeutet. Auch in diesem Jahr werden wieder mehr als 250.000 Menschen vorzeitig in die abschlagsfreie Frührente gehen. Dadurch verlieren wir viele hervorragende Mitarbeiter in den Betrieben. Das ist keine Fehlleistung der Unternehmen; das ist eine offenkundige Fehlleistung der Politik.

Alles bei der Politik abladen – ist das nicht zu billig? Dass die Babyboomer gehen würden, ist keine Neuigkeit. Was haben die Unternehmen verschlafen?  

Das ist ein falscher Eindruck. Die Unternehmen machen sich seit langem Gedanken über die Sicherung von Fachkräften. Die notwendigen Transformationsprozesse haben das zum Beispiel in der Automobilindustrie und bei den Zulieferern schon seit längerem bewirkt. Da ist viel schon erreicht. Und wenn Sie sehen, wie das Handwerk sich seit langem um Mitarbeiter bemüht, dann kann man gut erkennen: Die Arbeitgeber sind umfassend engagiert, um Fachkräfte zu halten oder neu zu gewinnen. Wir sind nicht diejenigen, die zu spät reagiert haben. Wir sind diejenigen, die unter den gegebenen politischen Rahmenbedingungen versuchen, das Beste daraus zu machen.

Würden Sie sagen: Ohne die Rente mit 63 wäre alles besser?

Sie nimmt uns hochqualifizierte Leistungsträger. Aber es geht auch um etwas anderes. Es geht um den Wert von Arbeit. Um den Stolz auf Arbeit. Um den Willen, neu anzupacken. Barack Obama hat zu den Zwischenwahlen eine Rede gehalten, in der er sagte, jetzt gehe es um Anstand, es gehe um Ehre, es gehe um die amerikanische Demokratie – und um harte Arbeit. Er hat schlicht und einfach gesagt, die amerikanische Demokratie brauche harte Arbeit. Stellen Sie sich das mal in Deutschland vor. Hier würde jede Politikerin, jeder Politiker müde belächelt, wenn sie oder er sagen würde: Die Bundesrepublik Deutschland kann nur besser und stärker werden, wenn wir hart und länger arbeiten. Die Realität ist: Wir werden länger arbeiten müssen – das braucht unser Land.

Warum ist das so in Deutschland?

Ich befürchte, die ganze Gesellschaft hat durch staatliche Fürsorge, durch Rettungsprogramme, Doppel-Wumms und alle möglichen Formen der staatlichen Abfederung vergessen oder verlernt, dass das Geld auch erwirtschaftet werden muss. Dass es am Ende von unser aller eigener Leistung abhängt. Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit. Selbst Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, sendet diese Botschaft. 

Warum fehlt es an dem?

Nehmen wir das Selbstverständnis des Bundesarbeitsministeriums. Es ist darauf ausgerichtet, vor Arbeitslosigkeit zu schützen – oder, wenn das nicht geklappt hat, einen Menschen in der Arbeitslosigkeit zu unterstützen. Das ist aber zu wenig für ein Ministerium, das auch Bock auf Arbeit machen sollte. In der Debatte, die wir um Hartz IV und das Bürgergeld geführt haben, ging es um die Bedingungen von Nicht-Arbeiten. Wir brauchen aber eine Debatte, warum es sich lohnt, zu arbeiten. Warum es notwendig und richtig ist, mehr zu arbeiten. Warum es genau richtig ist, darauf Lust zu haben. In der Politik in Deutschland gibt es nur für ersteres große Begeisterung – an das zweite traut sich keiner ran. Hier ist der Wurm drin.

Eine gute Work-Life-Balance bekommt man auch mit 39 Stunden Arbeit in der Woche hin

Die Work-Life-Balance ist vielen Menschen heute wichtiger als noch in unserer Generation – je jünger desto mehr. Das verträgt sich schlecht mit Ihrem Arbeits- und Leistungsethos….

Work-Life-Balance ist wichtig für die Gesundheit und das Wohlbefinden. Gute und effiziente und kreative Arbeit kann ja nur geleistet werden, wenn es neben der Arbeit noch andere Dinge im Leben gibt. Aber mir ist doch wichtig zu betonen: Eine gute Work-Life-Balance bekommt man auch mit 39 Stunden Arbeit in der Woche hin. Nochmal: Nahles sprach davon, dass Arbeit kein Ponyhof ist.

Wieso hat sich das in einem Land, das noch heute vom eigenen Wirtschaftswunder schwärmt, komplett gedreht? 

Die Realitäten wandeln sich schon länger. Deutschland war in der Vergangenheit stets produktiver und innovativer als viele Wettbewerber. So haben wir uns eine hohe Wertschöpfung gesichert. Wir waren aber nie das Land mit den höchsten Wochen- oder Jahresarbeitszeiten. In den Statistiken sind wir eher hinten. Und dazu haben wir über die Jahre die Wettbewerbsvorteile Innovation und Produktivität verloren. Genauso wie den letzten Wettbewerbsvorteil einer sicheren Energieversorgung zu gerade noch akzeptablen Preisen. Jetzt kommen alle negativen Einflüsse auf den Standort gleichzeitig zum Tragen. Wir müssen das Geschäftsmodell Deutschland neu aufstellen. 

Warum ist es nicht möglich, dass ein Bundeskanzler eine Rede hält wie Barack Obama?

Weil sich ein Teil der politischen Entscheider losgelöst hat von der gesellschaftlichen Mitte, die wir als Arbeitgeber tagtäglich in den Betrieben erleben: Das sind Facharbeiter, hochfleißige Menschen, die gern arbeiten und dafür auch was haben wollen. Schauen Sie auf die Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Während die Menschen im Inneren von Berlin eine post-materialistische Partei, nämlich die Grünen, gewählt haben, haben die Menschen in den äußeren Bezirken eine eher bodenständig bürgerliche Partei gewählt. Ich will dabei aber gar nicht das Parteipolitische betonen, darum geht es mir nicht.

Um was dann?

Mir geht es um eine Entfremdung zwischen den Menschen mit unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten – und einer Entfremdung zwischen den politischen Entscheidern, die sie repräsentieren. Das führt dazu, dass man das, was man in Berlin-Mitte für normal hält, zu sehr verallgemeinert. Nehmen Sie das 49 Euro-Ticket. Im Zentrum Berlins: großartig. In der Lüneburger Heide aber bringt das den meisten wenig bis gar nichts.

Ist das nicht einfach ganz normal?

Es mag schon zur Normalität gehören. Aber es stellt ein riesiges Problem dar, wenn einzelne Parteien zu oft nur noch einen ganz bestimmten Teil der Gesellschaft mit Programmen und Ideen unterstützen. Wir müssen als Arbeitgeber auch Brücken zwischen Dax und Handwerk bauen. Ich beklage eine voranschreitende kulturelle Entfremdung, die es gar nicht mehr zulässt, dass ein Bundeskanzler mal ein Plädoyer fürs Arbeiten hält. Sofort würde sich eine bestimmte Klientel darüber lustig machen oder ihm soziale Kälte vorwerfen. Das ist das Problem, das ich meine. Das ist es, was uns inzwischen dort blockiert, wo wir dringend gemeinsam reagieren müssten. Und es ist im Übrigen auch ein Teil der Erklärung, warum es die AfD gibt.

Leistung ist was wert. Mehr noch: Wir brauchen Leistung

Sie haben beklagt, dass viele Schülerinnen und Schüler nicht mehr das Niveau haben, das die Betriebe bräuchten. Wer ist daran schuld?

Die Schuldfrage interessiert mich nicht so sehr. Mich interessiert, wie wir das Problem lösen. Zwei Dinge sind entscheidend: Erstens brauchen wir ein Schulsystem, das nicht alle gleich macht, sondern tatsächlich wieder den Mut hat, unterschiedliche Talente und Fähigkeiten auch unterschiedlich zu bewerten und zu fördern. Leistung ist was wert. Mehr noch: Wir brauchen Leistung. Und damit das nicht die soziale Spaltung verschärft, müssen wir es in Deutschland schaffen, das Aufstiegsversprechen wieder zu halten. Das heißt: In Schulen grundsätzlich jeder Schülerin und jedem Schüler die Chance auf den Aufstieg, auf Karriere möglich zu machen.

Wie wollen Sie das bewerkstelligen?

Wir müssen beispielsweise stärker in die frühkindliche Bildung investieren. Wir brauchen Kita-Plätze für alle, in dieser Phase werden die Grundlagen gelegt. Alles, was wir in den ersten Jahren in die junge Generation investieren, ist gut investiertes Geld, weil es bedeutet: weniger Arbeitslosigkeit, weniger soziale Konflikte, stärker durchlässige Gesellschaft. Die eigentliche soziale Frage ist nicht die Frage, wie viel Bürgergeld und wie viel Sanktionen wir beschließen. Die eigentliche Frage lautet: Können wir das klassische Versprechen – Aufstieg durch Bildung – noch ermöglichen oder wiederherstellen?

Klingt schön. Wer soll da was machen? 

Es geht im ersten Schritt um Political Awareness. Und auch um eine regelmäßige bundesweite Qualitätskontrolle, eine Defizit-Analyse und eine Priorisierung. Wenn ich von Qualitätssicherung rede, heißt das nichts anderes, als dass ich einen traditionellen Leistungsbegriff wieder in den Kern der Bildungspolitik rücke. Lesen, schreiben, rechnen, und zwar mit wenig Fehlern – das muss wieder drin sein. Das muss die Schule wieder liefern. Mehr Geld heißt allerdings nicht automatisch bessere Ergebnisse. Es geht um den Anspruch, den man damit verbindet. Bremen ist ein gutes Beispiel. Es hat den höchsten Pro-Kopf-Anteil an Investitionen in Schule, aber mit die schlechtesten Ergebnisse. Hamburg hat das völlig anders organisiert und kommt mit einem niedrigeren Anteil pro Kopf zu deutlich besseren Ergebnissen. Auch Bildung ist eine Frage von politischem Willen, von einem klaren Bekenntnis auch zu Leistung.

Und die, die es nicht schaffen?

Wir wollen doch nicht, dass man Benachteiligte zurücklässt. Aufstieg durch Bildung bedeutet: differenziertes Vorgehen. Wer kann was? Und wie können wir das spezifischer fördern? Es bedeutet nicht: alle lernen das Gleiche, und damit die Spreizung nicht so groß ist, senken wir das Niveau. So kann es nicht bleiben; im Augenblick erleben wir, dass das Bildungsniveau und die Qualität in den deutschen Schulen immer weiter sinkt. Und das hat inzwischen für das ganze Land existenzielle Folgen.

Kommen wir zur Zuwanderung… 

… die ich unterteilen möchte. Ich unterscheide genau zwischen Erwerbs- und Sozialmigration und der Migration aus humanitären Gründen. Das sind drei unterschiedliche Motivlagen. Asyl ist politisch unumstritten, fordert uns aber und entlastet den Arbeitsmarkt zunächst nur begrenzt. Dann haben wir diejenigen, deren Motivlage nicht klar erkennbar ist – und die im Sozialsystem landen. Und dann kommen Menschen, die wir brauchen – und die nach gezielter, vereinfachter Anwerbung dauerhaft im Erwerbssystem bleiben. Von ihnen brauchen wir eine ganze Menge.

Eine ganze Menge – wie viele?

Deutlich mehr als 100.000 im Jahr. Aber ich halte es für falsch zu suggerieren, wir könnten die vorhin beschriebene Lücke von rund 400.000 Arbeitskräften allein oder vor allem über Zuwanderung lösen. 400.000 Arbeitskräfte netto pro Jahr heißt gut eine Million Menschen. Ich glaube nicht, dass unsere Gesellschaft Zuwanderung in dieser Dimension akzeptiert. Also müssen wir andere Dinge anpacken, die viele Politiker scheuen: Die Rente mit 63 – die können wir uns nicht leisten. Wir müssen die Zeit der Menschen im Beschäftigungssystem verlängern. Und wir müssen mehr tun, um die jungen Menschen bei der Berufswahl besser zu beraten. Mancher geht studieren, weil ihm oder ihr nichts anderes einfällt. Dabei würde sie oder er womöglich in einem anderen Job viel glücklicher. Kümmern wir uns ausreichend darum? Wir müssen uns darüber unterhalten, ob der Teilzeit-Trend wirklich so cool ist. Und wir müssen uns fragen, warum wir dauernd über Zuwanderung sprechen, aber ignorieren, dass knapp eine Million Menschen – Ausländer und Deutsche – im Jahr das Land verlassen.

Weil Deutschland für viele Menschen gar nicht so einladend und verlockend ist wie viele Menschen hierzulande gedacht haben? 

So ist es. Als ob wir mal eben ein Flugzeug chartern – und dann kommen die Ingenieure aus Indien zu uns und alle Probleme sind gelöst. Ich würde aber auch sagen, dass die Frage einer echten Willkommenskultur nicht beschränkt ist auf Menschen mit Migrationshintergrund. Wir als Arbeitgeber müssen und wollen doch für alle mehr bieten. Und wir strengen uns hier im Übrigen auch an, um den veränderten Wünschen der Beschäftigten entgegenzukommen. Wir bieten flexible Arbeitszeitmodelle, vergünstigte ÖPNV-Tickets und und und… Es geht um Tablets, remote work, flexible Arbeitszeiten. Selbst in der Fertigung, wo Homeoffice nicht geht, arbeiten wir längst mit Drei-Schichten-Modellen, Vertrauensarbeitszeit und so weiter und so fort.

Sie klingen schon richtig genervt.

Nein. Im Gegenteil. Wir Arbeitgeber wissen einfach, dass sich die Lage gedreht hat. Die Situation, dass sich die Arbeitgeber die Beschäftigten aussuchen, die war gestern. Heute suchen sich die Beschäftigten ihren Arbeitgeber aus. Das hat nichts mit Migration zu tun. Und das hat die Wirtschaft besser begriffen als die Politik.

Wir brauchen eine Strategiedebatte über das Geschäftsmodell Deutschland

Wie meinen Sie das?

In der Politik gibt es beim Thema Zuwanderung immer noch zu viele, die sich nur Gedanken darüber machen, wie man den Missbrauch der Zuwanderung verhindern kann. Hier fehlt ein herzliches Willkommen. Und zwar von der ganzen Gesellschaft. Wir brauchen einen Einladungscharakter im Kontext der Erwerbsmigration. Arbeitgeber machen das bereits. Aber wir können auch da besser werden. In der Gesellschaft machen es allerdings viel zu viele noch nicht. Hinzu kommt, dass andere Quellen der Migration gerade die Kommunen stark herausfordern. Trotzdem wäre es schön, wenn prominente Politiker dafür werben würden. Veränderung ist die einzige Chance für uns, den Wohlstand, die Sicherheit und die soziale Marktwirtschaft zu erhalten.

Sie sagen, das Modell Deutschland sei gefährdet. Wie existenziell ist die Situation für das Land?

Für mich ist eines entscheidend: Begreift die Politik, dass jetzt etwas anderes gefordert ist als das, was noch in der Gründungsakte dieser Koalition steht? Wir müssen raus aus dem Krisen- und Helfer-Modus. Wir brauchen eine Strategiedebatte über das Geschäftsmodell Deutschland. Das heißt auch eine Debatte über das Sozialmodell Deutschland. Und es ist eine Debatte über den politischen Wert Deutschlands in der Welt. Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Stärke und politischer Potenz. Keiner hat das besser begriffen als die Amerikaner. Und wir sollten das auch endlich verstehen.

Gibt es einen Politiker, dem Sie das zutrauen?

Es geht nicht um einen Politiker oder eine Politikerin. Das ganze Land muss sich gegenseitig ermutigen und Veränderung gestalten. Arbeitgeber, Politik, Kirchen, Gewerkschaften, Sportvereine… Veränderung führt zu Ängsten und damit auch zu Widerständen. Was wir brauchen, ist nicht die Zuweisung von Schuld oder Unterlassen auf einzelne Akteure, sondern eine gegenseitige Ermutigung: Wir haben alles, was man braucht – wir haben tolle Ingenieure, wir kriegen das mit der Energiewende hin. Wir kriegen es sogar hin, dass die Autos sauberer sind, wenn wir nicht den Blödsinn machen, nur auf eine Technologie zu setzen. Wir müssen es nur wollen und wagen.

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