Erst ließ Finanzminister Christian Lindner wissen, dass das Klimageld wohl nicht mehr in dieser Legislatur ausgezahlt würde. Und der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Michael Kellner (Grüne) ließ wissen, dass ein Klimageld nur unter einer Voraussetzung kommen könne. Er sagte t-online.de: „Dann müsste auch der Auszahlungsmechanismus einwandfrei funktionieren. Was ja in keinem Fall passieren darf, ist, dass Menschen auf Geld hoffen und dann hakt es an der Auszahlung.“ Am Sonntagabend schrieb Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck das Thema aus technischen und Finanzierungsgründen für diese Legislaturperiode bei Caren Miosga ab. Doch die selten so erwünschte Ausrede, dass die Digitalisierung hakt, funktioniert diesmal nicht.
Denn im zuständigen Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) sind keinerlei Probleme bekannt. 13,4 Millionen Kontoverbindungen liegen bereits vor. Die wurden in einem ersten Schritt im Dezember an das Bundeszentralamt für Steuern übermittelt. Das setzt den Auszahlungsmechanismus um. Zur individuellen Steuer-Identifikationsnummer, die jeder in Deutschland lebende Mensch erhält, wird die IBAN hinzugespeichert. Die vorliegenden 13,4 Millionen IBANs kommen von der Familienkasse, die etwa das Kindergeld auszahlt. So wurde es im Jahressteuergesetz 2022 vorgesehen. Alles laufe planmäßig, meldet das BZSt, das Lindners Haus nachgeordnet ist.
Der Weg für das Klimageld ist dabei etwas umständlich: Obwohl es eine Vielzahl an Behörden gibt, die über gültige und geprüfte Kontoverbindungen verfügen, hat sich die Ampel nur bei den Kindergeld-Empfängern auf eine direkte Übernahme der Daten verständigt. Dabei hätte allein die Deutsche Rentenversicherung die Daten von 21,2 Millionen Rentnerinnen und Rentnern. So ein Zugriff auf bereits vorhandene Daten wäre ein Weg, den unter anderem der Bundesdatenschutzbeauftragte besser gefunden hätte: „Es gibt keinen datenschutzrechtlichen Grund, warum außer den bei den Familienkassen hinterlegten Daten keine weiteren Daten genutzt werden“, teilt ein Sprecher Ulrich Kelbers auf Anfrage mit. Man begleite das Vorhaben in der jetzigen – aber bislang gibt es offenbar keine größeren Einwände. Der Datenschutz ist also dieses Mal nicht schuld.
Nun müssen die Daten aber anders fließen. Im nächsten geplanten Schritt sollen über die Kreditinstitute die Kontodaten an das BZSt gemeldet werden. Gibt es hierbei irgendwelche Probleme? „Nein. Prozesse und Vorgehensweisen wurden bereits eng mit dem BMF und dem BZSt abgestimmt“, teilt ein Sprecher des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes für die gesamte Kreditwirtschaft mit. Ab dem dritten Quartal sollen zudem dann Bürger auch auf anderen Wegen Ihre Kontodaten an das BZSt melden können: Mithilfe der Steuersoftware Elster, oder auch direkt. Tatsächlich steht kaum zu erwarten, dass Bürger sich nicht darum kümmern, dass ihre Kontoverbindung beim BZSt landet und dort mit der Steuer-ID verknüpft wird. Es geht immerhin um Geld und der Aufwand hält sich in Grenzen.
Warum also wird ausgerechnet bei einem der wenigen Digitalisierungsprojekte, das offenbar im Zeitplan liegt, geraunt, dass es womöglich doch nicht rechtzeitig fertig würde?
Ein Blick zurück offenbart, dass Christian Lindner vorgeblich technische Probleme schon einmal vorschob, um das ungeliebte Projekt möglichst nach hinten zu verschieben. Nach der Kabinettsklausur in Meseberg im August 2022 schob Lindner die angeblich fehlenden technischen Möglichkeiten vor: „Nach den mir vorliegenden Zahlen wäre die öffentliche Verwaltung mit ihrer IT gegenwärtig nur dazu in der Lage, 100 000 Überweisungen pro Tag vorzunehmen. Überlegen Sie, wie viele Deutsche wir sind! Wie lange braucht es, bis 100.000 Überweisungen pro Tag an Millionen von Menschen getätigt sein werden?“
Schon diese Aussage war durch nichts unterfüttert. Das bestätigten vom Bundesverwaltungsamt über die Bundesagentur für Arbeit und die Rentenversicherung des Bundes diverse Auszahlstellen staatlicher Leistungen: Es gab nie eine solche Limitierung, Hunderttausende oder gar Millionen Überweisungen sind Tagesgeschäft für diese Stellen. Lindner war entweder sehr schlecht beraten oder hatte das Problem frei erfunden, weil es politisch gerade passte. Beides überaus peinlich für einen Minister.
Digitalisierung second, Bedenken first: der umgedrehte frühere FDP-Wahlslogan gilt auch im aktuellen Fall. Das Bundesministerium der Finanzen kann das Raunen nicht unterfüttern. Ein Sprecher des Ministeriums kann in dieser Woche keinen neuen Stand mitteilen – alles läuft planmäßig. Und auch im grün geführten BMWK wird man plötzlich schmallippig. Gefragt, ob es konkrete Anhaltspunkte beim parlamentarischen Staatssekretär Michael Kellner für Probleme gebe, teilt eine Sprecherin mit: „Bei der Aussage geht es generell darum, dass staatliche Leistungen von Anfang an verlässlich und technisch einwandfrei funktionieren sollten, weil dies sonst bei Bürgern zu Enttäuschungen führt.“
Die Enttäuschung besteht bei den Bürgern angesichts gestiegener Kosten bereits jetzt. Seit Wochen reden sich die Verantwortungsträger heraus: Nur der Mechanismus sei im Koalitionsvertrag vereinbart worden, der werde ja geschaffen. Von einer Auszahlung sei nie die Rede gewesen. Also nur eine politische Karotte für das Wahlvolk? Und überhaupt sei der CO2-Preis ja noch gar nicht so hoch.
Der Koalitionsvertrag lässt sich tatsächlich so lesen, doch die Wähler fordern die Karotte nun ein. Der Starttermin liegt primär am intensiven politischen Streit über das Klimageld, dessen Finanzierung und Ausgestaltung : Sollte es wirklich unterschiedslos an alle ausgezahlt werden? Oder doch differenziert werden, etwa nach dem österreichischen Modell? Nach diesem erhalten Stadtbewohner gestaffelt weniger „Klimabonus“ als Bewohner des ländlichen Raumes – da diese weniger vom Öffentlichen Personennahverkehr profitierten. Oder wäre eine soziale Staffelung ratsam, für die sich unter anderem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) immer wieder ausgesprochen hatte? Und woher könnte das Geld für den Klimabonus kommen, wenn dafür nichts anderes gestrichen werden soll? Müsste der CO2-Preis dafür früher steigen?
Selbst innerhalb der einzelnen Fraktionen gibt es Debatten darüber, wem ein Klimageld für die Mehrkosten bei weiter ansteigendem CO2-Preis zustehen sollte, ob es die Streichung von Maßnahmen oder gar eine Erhöhung des CO2-Preises wert wäre. Manche Abgeordnete sehen die Ausgestaltung des Klimageldes gleich als hervorragende Distinktionsmöglichkeit im gar nicht mehr so fernen nächsten Bundestagswahlkampf 2025.
Und so ist es ausnahmsweise nicht die Digitalisierung, die Deutschland an dieser Stelle ausbremst. Bemerkenswert bleibt allerdings: Den Koalitionären ist es inzwischen lieber, wieder einmal als digital unfähig zu gelten, als einen weiteren Ampelstreit auszutragen.