Analyse
Erscheinungsdatum: 07. Oktober 2024

Wechsel in der SPD-Zentrale – Matthias Miersch soll den Wahlkampf managen

Miersch, Fraktionsvize und lange an der Spitze der Parlamentarischen Linken, gilt als Politprofi – und ist doch eher eine Überraschung.

Matthias Miersch, 55, Bundestagsabgeordneter aus Hannover-Land, soll neuer Generalsekretär der SPD werden. Darauf haben sich Präsidium und Vorstand der Partei am Abend verständigt. Miersch, Fraktionsvize und lange an der Spitze der Parlamentarischen Linken, gilt als Politprofi – und ist doch eher eine Überraschung. Denn mit Lars Klingbeil und Miersch führen jetzt neben Saskia Esken zwei Niedersachsen die Parteizentrale. Überzeugen von der neuen Aufgabe musste man ihn nicht. Hätte Rolf Mützenich im Verlauf der Legislaturperiode den Fraktionsvorsitz hingeworfen, wäre Miersch einer der heißesten Kandidaten gewesen.

Allerdings gilt die Leitung des Willy-Brandt-Hauses nicht unbedingt als vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe. Und das schon gar nicht in Wahlkampfzeiten. Die Fluktuation ist hoch, das Binnenklima allerlei Schwankungen unterworfen. Wie der neue Mann, seit 2005 im Bundestag und in seinem Wahlkreis immer direkt gewählt, nach innen und außen unter Druck agiert, ist deshalb eine offene Frage. Als Pluspunkte könnten wiederum seine rhetorischen Qualitäten, sein pragmatischer Politikansatz sowie seine langjährige Nähe zu Klingbeil zu Buche schlagen – auch wenn beide unterschiedlichen Parteiflügeln anhängen.

In Präsidiums- und Vorstandssitzung am Abend war der Vorschlag von Klingbeil und Esken eher Formsache. Mittelbar könnte die Personalie jedoch durchaus Auswirkungen haben. Zum einen auf die FDP, die Miersch aus dem täglichen Fraktionsleben nur zu gut kennt und deren aus seiner Sicht bisweilen nur schwer begründbare Veto-Haltung ihn wiederholt zur Verzweiflung getrieben hat. Kompromissfähig, so sagen Nahestehende, habe er die Liberalen jedenfalls nur selten erlebt. Aber auch der Kanzler könnte sich mehr herausgefordert fühlen, denn Miersch wird ihm, was den Umgang mit den Koalitionspartnern angeht, mehr abverlangen als sein Vorgänger und dies auch mit anderer Autorität vortragen.

Nur die Parteivorsitzenden und der Kanzler waren eingeweiht. Den Rest der Partei hatte die Nachricht vom Rücktritt von Kevin Kühnert am Montagmittag völlig unvorbereitet getroffen. Verschärft wurde die Nachricht in seinem Schreiben an die Partei durch den Zusatz, dass er auch nicht mehr für den Bundestag kandidieren werde. „Weil ich leider nicht gesund bin“, wie er es formulierte.

„Kleiner Herbstgroove, der so langsam reinkommt.” So hatte der wortgewandte Kühnert vor elf Tagen noch geraunt, als ihn Lars Klingbeil nach seinem Befinden befragte. Mehr hatte er sich im Podcast mit dem Parteichef nicht entlocken lassen. Der Satz gewinnt erst nachträglich an Bedeutung. Kühnert war im Dezember 2021 mit 77,8 Prozent der Stimmen zum Generalsekretär gewählt worden. Das Ergebnis der Europawahl im vergangenen Juni, bei der die SPD mit 13,9 Prozent so schlecht wie nie seit 1979 abschnitt, hatte er später auf seine Kappe genommen. Es war der einzige bundesweite Wahlkampf, den er zu verantworten hatte, und es war eine Schlappe, die ihm deutlich mehr zu schaffen machte, als er öffentlich zu erkennen gab.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl ruckelt es nun in allen drei Koalitionsparteien. Was nicht unbedingt eine geschmeidigere Zusammenarbeit in den letzten Monaten verspricht. Die Grünen wechseln im November Parteivorsitzende und Bundesgeschäftsführerin aus, in der SPD wird der Generalsekretär ersetzt, und auch FDP-General Bijan Djir-Sarai ist nicht über alle Zweifel erhaben – mal polarisiert er, mal überrascht er selbst die eigene Klientel mit seinen Äußerungen.

Im Konrad-Adenauer-Haus hat man den Stellenwechsel naturgemäß aufmerksam zur Kenntnis genommen. Für die Christdemokraten ändert sich allerdings nicht viel: Sie gehen ohnehin davon aus, dass Lars Klingbeil die SPD-Kampagne managt. Ihn haben sie aus dem Wahlkampf 2021 nicht gerade in guter Erinnerung.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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