Analyse
Erscheinungsdatum: 01. November 2023

Was kommt nach Sahra Wagenknecht?

Die Fraktionsvorsitzenden von Die Linke Sahra Wagenknecht (vorne L) und Dietmar Bartsch (vorne R), sowie die Parteivorsitzenden Katja Kipping (hinten L) und Bernd Riexinger (hinten R), aufgenommen im Rahmen der Konstituierenden Sitzung vom 19. Deutschen Bundestag in Berlin, 24.10.2017. Berlin Deutschland *** the Group chairman from the Left Sahra Wagenknecht front l and Dietmar Bartsch front r and the Party chairman Katja Kipping rear l and Bernd Riexinger rear r Date in Frame the constituent Meeting of 19 German Bundestag in Berlin 24 10 2017 Berlin Germany PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xFlorianxGaertner/photothek.netx
Die Linien, an denen die Linksfraktion im Bundestag nun zerbricht, folgen keinem Zufall. Sahra Wagenknecht hat es geschafft, dass die meisten ihrer Sympathisanten die Fraktion verlassen. Diejenigen, die die Spaltung verhindern wollten, sind gescheitert. Welche Machtkonstellationen dahinter stecken und welche Chancen die Partei jetzt noch hat.

Für Sahra Wagenknecht war die Bundestagsfraktion in den vergangenen Jahren unschätzbar wichtig, um ihre Macht in der Linken zu sichern. Ihr Lager war in der Fraktion mit etwa einem Drittel der Abgeordneten stark vertreten. Das ist umso bemerkenswerter, weil es nicht den Machtverhältnissen in der Partei entspricht.Der Parteivorstand besteht zu ungefähr zwei Dritteln aus Bewegungslinken, dem Flügel um Parteivorsitzende Janine Wissler. In der Fraktion ist es Wagenknecht aber gelungen, ihre Anhänger geschickt strategisch zu positionieren. Auch wenn viele Linke solche Zuordnungen als überholt bezeichnen, ist das Bild der Lager und Flügel durchaus hilfreich, um die Machtkonstellationen in der Partei und Fraktion zu beschreiben und zu verstehen.

So hat Klaus Ernst den einzigen Ausschussvorsitz der Linken inne und Wagenknechts Vertraute Amira Mohamed Ali war bis vor Kurzem Co-Fraktionsvorsitzende. So blieb die Fraktion bisher der Unruheherd in der Partei und sorgte immer wieder für ein Bild der Zerrissenheit. Wagenknecht selbst wich in Reden immer wieder von der Parteilinie ab. In Abstimmungen hielten ihre Anhänger sich nicht an die zuvor in der Fraktion getroffenen Absprachen.

Wagenknecht gehört zum Flügel der sozialistischen Linken – dieses Lager ist es, das sich in der Fraktion nun abspaltet. Dazu gehören außer Wagenknecht die neun Anhänger, die mit ihr aus der Partei ausgetreten sind. Auch Sören Pellmann, Victor Perli und Matthias Birkwald zählen eigentlich dazu. Sie sind Wagenknecht aber bisher nicht gefolgt.

Die elf Abgeordneten im Lager der Bewegungslinken sind zum großen Teil eher unbekannte und jüngere Namen. Unter ihnen sind die schärfsten Kritiker Wagenknechts und viele forderten schon früh ihren Austritt. Sie sehen sich jetzt in ihrem Kurs bestätigt und entscheiden nun über die Zukunft der Partei. Zentrale Idee der Bewegungslinken ist es, sich über soziale Bewegungen in die Zivilgesellschaft einzubringen und ihr wiederum eine Stimme in den politischen Institutionen zu geben. Die Aufstellung der Klima- und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete als Spitzenkandidatin für die Europawahl ist ein Musterbeispiel für dieses linke Politikverständnis. Die Kritik daran: Die Partei laufe Gefahr, sich auf Personen zu konzentrieren, die bereits politisch aktiv sind, also bereits eine Stimme haben. Dabei würden leicht Menschen in eher prekären Verhältnissen vergessen, die vielleicht gar keine Zeit haben, auf Kundegebungen zu gehen, weil sie mehrere Minijobs haben oder alleinerziehend sind.

Die Reformer um den Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch oder auch Gregor Gysi stehen für einen pragmatischen Politikstil. Sie würden die Linke gerne in Regierungsverantwortung sehen – wie es Bodo Ramelow, der ebenfalls zu diesem Lager gehört, als Ministerpräsident in Thüringen vormacht. Der Reformer-Flügel war von Beginn der Legislaturperiode an darum bemüht, die Spaltung der Fraktion und Partei zu verhindern. Seine Mitglieder kritisierten Wagenknecht für ihre Querschüsse, wollten sie aber weiter in Partei und Fraktion halten. Kritiker aus dem Lager um Janine Wissler warfen vor allem Dietmar Bartsch vor, sich von Wagenknecht erpressen zu lassen.

Vier Abgeordnete sind keinem dieser Flügel zuzuordnen.Gesine Lötzsch wurde deshalb bereits als mögliche Nachfolgerin von Bartsch hoch gehandelt. Die ehemalige Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hatte in dieser Position versucht, die Lager zu einen, was ihr bis zur vergangenen Bundestagswahl auch einigermaßen gelang. Danach brachen die Konflikte in der Fraktion wieder auf.

Entscheidend für die Fraktions- und Parteiführung wird nun sein, diejenigen, die Wagenknecht zwar nahestehen, ihre Parteigründung aber nicht unterstützt haben und ihr nicht gefolgt sind, zu halten und wieder einzubinden. Auch unter den Reformern gibt es Namen, die ihr mehr oder weniger nahestehen. Zum Beispiel Heidi Reichinnek, früher eine Vertraute von Mohamed Ali, die beim Parteitag im Juni 2022 als Parteivorsitzende gegen Wissler antrat und dabei vom Wagenknecht-Lager unterstützt wurde. Mit Kritik hielt sich Reichinnek zuletzt zwar zurück, unterstützte Wagenknecht aber auch nicht offen.

Bisher waren vor allem die Reformer um Wagenknecht bemüht. Doch das hat sich mit ihrem Austritt erledigt, sie sind deshalb gerade in der Defensive gegenüber dem Bewegungslager. Es mehren sich die Stimmen, dass der Bruch viel zu spät gekommen sei. Doch für die Partei wäre es fatal, wenn sie sich nun, nach dem „Aufatmen“, das die Abspaltung des Wagenknecht-Lagers in weiten Teilen ausgelöst hat, weiter an ihr abarbeiten. Die 422 Sympathisanten, die bis zum Beginn der Woche in die Linke eingetreten sind, taten dies, weil sie auf einen Neuanfang hoffen. Bisher ihnen sie nach Vorstandsangaben 224 Austritte gegenüber.

Und tatsächlich gibt es nun die Chance, als linke Opposition mit dem eigenen Programm wieder sichtbarer zu werden, ohne Sperrfeuer aus dem Wagenknecht-Lager. Gerade bei den Grünen gäbe es im Moment über den Mittekurs der Ampel enttäuschte Wähler für sich zu gewinnen. Das kann jedoch nur aufgehen, wenn es die Linken-Führung schafft, die innerparteilichen Konflikte nach dem Austritt Wagenknechts wirklich beizulegen und einen gemeinsamen Kurs zu definieren. Nach Jahren der inneren Auseinandersetzung dürfte dieser Moduswechsel schwerfallen. Unter Vorsitzenden wie Bernd Riexinge r und Katja Kipping war die Zusammenarbeit zwischen Reformern und Bewegungslinken gut, auch weil sie Wagenknecht als gemeinsame Gegenspielerin hatten. Wissler und ihrem Co-Vorsitzenden Martin Schirdewan, der zu den Reformern gehört, fällt nun die Aufgabe zu, den Neuanfang programmatisch, strukturell und programmatisch umzusetzen. Ihr politisches Erbe wird sich daran messen lassen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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