Als der Bayerische Rundfunk (BR) vor ein paar Tagen die aktuelle Umfrage zur bayerischen Landtagswahl im Oktober präsentierte, war einer ganz besonders zufrieden: Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler und stellvertretender Ministerpräsident in der Koalition mit der CSU. „Passt für uns“, kommentierte Aiwanger die zehn Prozent, die ihm die BR-Umfrage verheißt. Aiwanger weiß genau: Wenn seine Partei in der Wählergunst nicht unerwartet abstürzt, wird er weiter als Juniorpartner in der Landesregierung sitzen, denn für eine Alleinregierung der CSU wird es nicht reichen.
Aiwanger wird gerne als bayerische Folklorefigur abgestempelt, wegen seines schweren niederbayerischen Idioms ist er ein beliebtes Objekt für Kabarettisten. Meist spielt er darin die Tölpel-Rolle. CSU-Chef Markus Söder weiß es besser. In den Augen der CSU, die von Populismus selber eine Menge versteht, ist Aiwanger ein unkalkulierbarer Populist, der kaum eine Schmerzgrenze kennt. Im Bundestagswahlkampf 2021 ließ Aiwanger monatelang im Unklaren, ob er gegen Corona geimpft ist, und fischte damit ungeniert im Lager der Coronaleugner und Impfgegner, um seine Partei in den Bundestag zu hieven. Am Ende jedoch ohne Erfolg.
Söders Verhältnis zu Aiwanger ist ambivalent. Einerseits weiß er, dass er seinem Vize, der Chef einer eigenständigen Partei ist, eine gewisse Beinfreiheit zugestehen muss. Andererseits muss er darauf achten, dass Aiwanger es damit nicht übertreibt, ohne dass dies als Zerstrittenheit wahrgenommen wird.
Als Wirtschaftsminister gilt Aiwanger zwar allgemein eher als Leichtgewicht, aber vor allem bei der Landbevölkerung kommt er mit seiner Schlitzohrigkeit gut an. Was der CSU immer wieder vor Augen führt, dass ihr selbst solche Typen seit langem fehlen. Im Grunde verkörpert Aiwanger, der mit einem Stipendium der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung studiert hat, die alte CSU: Instinktsicher und, wenn es sein muss, derb die eigene Klientel bedienen; denjenigen die kalte Schulter zeigen, die einen sowieso nicht wählen. Im aktuell schneearmen Winter plädiert Aiwanger allen Umweltbedenken zum Trotz unbeirrt für den Einsatz von Schneekanonen auf den Skipisten. Sonst würden die Leute halt ins benachbarte Österreich fahren, lautet seine Logik. Bei allen, die in Bayern am Wintertourismus verdienen, stößt das natürlich auf viel Zustimmung.
Dass Aiwanger der Wahl beruhigt entgegensehen kann, hängt aber nicht nur mit seinem Instinkt für populäre Themen zusammen, sondern auch mit den Besonderheiten des bayerischen Wahlrechtes. Denn in Bayern werden Erst- und Zweitstimmen am Ende zusammengezählt, und man kann mit seiner Zweitstimme auch gezielt einen Namen aus der Wahlliste ankreuzen. Das begünstigt diejenigen, die regional bekannte Kandidaten haben. Und die Freien Wähler sind mit ihren vielen kommunalen Mandatsträgern im Land fest verankert. Außerdem hat sich Aiwanger im Laufe der Zeit mit seinen oft skurrilen Sprüchen eine Art Hofnarrenstatus erarbeitet. Wo andere einen Shitstorm ernten würden, klopft man sich bei ihm auf die Schenkel. Als vor wenigen Tagen in einer Wahlkampfsendung des BR das Thema Wohnungsbau zur Sprache kam, hielt Aiwanger den Kritikern von SPD und Grünen entgegen: „Wir können ja gar nicht so viel bauen, wie Sie Zuwanderer holen.“ Im Studiopublikum gab es dafür Beifall und anerkennendes Gelächter.