Analyse
Erscheinungsdatum: 20. März 2024

Verrohung in Kultur und Kommunalpolitik: Verschärfung des Strafgesetzbuches soll Einschüchterungen verringern

Bedrohungen, vor allem von rechts, haben den Alltag in Kultur und Kommunalpolitik verändert. Manchmal so massiv, dass Betroffene sich nicht mehr retten konnten. Aus Sachsen soll eine Initiative die Rechtsprechung zumindest mit Blick auf politisches Stalking verschärfen.

Der Umgang miteinander ist rauer geworden, darüber herrscht in Deutschland weitgehend Einigkeit. Während sich das in Berlin vor allem in den Debatten niederschlägt, fühlt sich die Verrohung in Kultur und Kommunalem oft längst nicht mehr nur besorgniserregend, sondern ganz konkret bedrohlich an. Der Heinrich-Böll-Stiftung berichteten vor zwei Jahren 60 Prozent der „befragten kommunalen Repräsentant*innen (…) von eigenen Erfahrungen mit Beleidigungen, Bedrohungen oder tätlichen Übergriffen.“ Der Messerangriff auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) 2015 oder der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) 2019 zeigen, wie weit die Eskalation reichen kann. In beiden Fällen verübten Rechtsextreme die Taten.

Im sächsischen Arnsdorf trat die Bürgermeisterin Martina Angermann (SPD) 2019 nach jahrelangen Bedrohungen zurück, in Velten im Kreis Oberhavel bedrohten Rechte die Bürgermeisterin Ines Hübner (SPD) so massiv, dass die Polizei Ende vergangenen Jahres Ermittlungen aufgenommen hat. Im sächsischen Großschirma nahm sich der fast 20 Jahre amtierende Bürgermeister Volkmar Schreiter (FDP) vergangenen Herbst das Leben.Einen Abschiedsbrief mit Gründen hinterließ er zwar nicht; aus dem Stadtrat und seinem Umfeld ist aber zu vernehmen, wie sehr ihm die Verrohung des Klimas seit dem Einzug der AfD in den dortigen Stadtrat zugesetzt hat. Anfang März wurde sein jahrelanger Kontrahent Rolf Weigand, Sachsens früherer Chef der Jungen Alternativen, zum neuen Bürgermeister gewählt.

Auch in diesem Jahr folgt ein Fall auf den nächsten. Im Februar haben mutmaßlich rechtsextreme Täter einen Brandanschlag auf das Privathaus eines SPD-Politikers in Thüringen verübt, eine Lokalpolitikerin aus dem Kreis Zwickau fand einen Misthaufen vor ihrem Gartenzaun. Auch ein AfD-Politiker meldete im vergangenen Monat einen Brandanschlag auf sein Auto.

Nicht nur auf kommunaler Ebene nimmt die Bedrohungslage zu. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) schippte 2021 gerade Schnee, als wutentbrannte Angehörige des Querdenken-Milieus vor seinem Privathaus auf dem Land auftauchten; seine Kabinettskollegin, Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD), sah sich Ende des gleichen Jahres eines Abends von pöbelnden Fackelträgern umzingelt. Zuletzt nahm die Wut besonders heftige Ausmaße gegen grünes Führungspersonal an, vor allem Robert Habeck, Cem Özdemir und Ricarda Lang. Sie belastet die Verrohung der Debatte sicherlich; wesentlich konkreter aber wird die Bedrohung auf niedrigeren Ebenen für politisch Engagierte.

Auch Kulturschaffende berichten davon, was der Einzug der AfD in Kommunal-, Kreis- und Landesparlamente für sie verändert hat. Der Theater- und Opernregisseur Nuran David Calis erzählte Table.Briefings, dass Theaterleitungen im ganzen Land immer mehr zögerten, Themen wie den NSU auf die Spielpläne zu nehmen. „Die Leitungen müssen in den politischen Kreisen ihre Arbeit und ihre zukünftigen Budgetvorstellungen immer wieder vor einem Senat rechtfertigen“, sagt Calis. Über die Finanzierung und Einfluss beispielsweise in Kulturausschüssen, kann die AfD Einfluss nehmen. „Ich merke, wie sie einschüchtern, Druck ausüben und ihre Vorstellung von Kunst und Kultur durchsetzen wollen.“

Bereits im Jahr 2019 stellte die Landtagsfraktion in Baden-Württemberg eine Anfrage an das Stadttheater Stuttgart, die Staatsangehörigkeiten seiner Künstler offenzulegen. Calis wünscht sich mehr Rückhalt von den demokratischen Parteien, vor allem für die Theaterleitungen. Aber: „Ich spüre noch immer eine Schockstarre im politischen System“, sagt er. Gleichzeitig würden die Kunstschaffenden immer mutloser. Viele Theater sind marode und auf die staatlichen Förderungen angewiesen. Mut für Themen, mit denen man anecken könnte, sind deshalb nirgendwo besonders hoch. Weder in Ost- noch in Westdeutschland. „Die meisten wollen sich nicht einem solchen Konflikt aussetzen, wenn sie im Hinterkopf haben, sie müssen schwarze Zahlen schreiben.“ Das Gleichgewicht sei aus den Fugen geraten, sagt der Regisseur. „Die Sorge ums Geld und die rechtspopulistische Strangulierung haben Überhand genommen.“

Dass seine eigene Künstlerbiografie heute noch möglich wäre, bezweifelt Calis. Die Chancen, die er zu Beginn seiner Karriere bekommen hat, gibt es heute vermutlich nicht mehr. „Ich denke auch an die Menschen, die jetzt gerade versuchen, ihren künstlerischen Weg zu gehen.“

Eine Initiative aus Sachsens Justizministerium soll nun zumindest die Kommunalpolitik besser schützen, indem ein zusätzlicher Paragraf im Strafgesetzbuch bisherige Strafbarkeitslücken füllt: Derzeit erfassen Bedrohung und Nötigung (§ 240 und § 241 StGB) nur explizite Drohungen mit Straftaten oder empfindlichen Übeln. Subtilere Verhaltensweisen wie Demonstrationen vor Privatwohnungen oder unterschwellige Drohungen, auch im privaten Umfeld, fallen raus. Auch die Gefährdung des Rechtsstaates durch die Bedrohung der ihn stützenden Amts- und Mandatsträger wird nicht berücksichtigt.

Sachsens Justizministerium möchte daher einen Paragrafen 106a „Beeinflussung staatlicher Entscheidungsträger“ ins Strafgesetzbuch einfügen – der Straftatbestand soll mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren gesühnt werden. Politisches Stalking soll damit besser repressiv geahndet werden können, die Polizei soll mehr präventive Handhabe erhalten. „Einschüchterungen oder persönliche Angriffe gegen kommunale Amts- und Mandatsträger stellen eine erhebliche Gefahr für unsere Demokratie dar“, sagte Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) zu Table.Briefings.

Die kommunalen Spitzenverbände Sachsens und der Städte- und Gemeindetag haben ihre Unterstützung für den Vorschlag schon ausgesprochen, ebenso Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD). Bei der Justizministerinnenkonferenz im Juni möchte Meier den Vorschlag offiziell vorstellen, um ihn auf Bundesebene durchzusetzen. AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla thematisiert zwar häufig Angriffe auf sich und andere AfD-Mitglieder; e r lehnt die Nachbesserung im Strafgesetzbuch auf Nachfrage von Table.Briefings allerdings ab. Die existierenden Gesetze reichten aus, so Chrupalla, sie müssten bloß umgesetzt werden.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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