Analyse
Erscheinungsdatum: 23. September 2024

US-Wahlen: Wie Kamala Harris die Frauen für sich gewinnt

Bei den US-Wahlen zeichnet sich ein massiver Gender-Gap ab. Gerade in den Swing States will eine deutliche Mehrheit der Frauen Kamala Harris ihre Stimme geben. Sie hat das Recht auf Abtreibung zum zentralen Bestandteil ihrer Kampagne gemacht und so Donald Trump in die Defensive gedrängt.

Wenn Kamala Harris im November tatsächlich zur ersten US-Präsidentin gewählt werden sollte, dann wird sie sich besonders bei einer Wählergruppe bedanken können: Frauen. Umfragen zufolge steuert das Land auf die größte Gender Gap der Geschichte zu – also auf den weitesten politischen Graben zwischen Männern und Frauen bei der Kandidatenpräferenz. Es ist ein Trend, der sich schon seit Jahren abzeichnet. 2016 stimmten 52 Prozent der männlichen US-Wähler für Donald Trump, aber nur 41 Prozent der Wählerinnen. Seitdem ist der Abstand weiter gestiegen. 2020 stieg der Abstand auf zwölf Prozentpunkte. Doch das könnte nur der Anfang sein. Erhebungen im Auftrag der New York Times kamen im August zu dem Ergebnis, dass die Gender Gap in den wichtigsten Swing States mittlerweile auf 16 Prozentpunkte gestiegen ist. Aus der Lücke droht eine Schlucht zu werden.

Der wohl wichtigste treibende Faktor hinter der Entfremdung der Wählerinnen von den Republikanern: Der Streit um das Recht auf Abtreibung. 2022 entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, dass sich aus der Verfassung kein garantiertes Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch ableiten lässt – und kassierte damit eine fast 50 Jahre alte Entscheidung, die Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Embryos für zulässig erklärt hatte. Möglich wurde die Entscheidung, da Donald Trump während seiner Präsidentschaft drei höchst konservative Richter an den Supreme Court berufen hatte. Damit gab es unter den Juristen eine Mehrheit, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche zu kassieren.

Seit dem Urteil entscheiden die Bundesstaaten selbst darüber, wie Abtreibungen zu handhaben sind. Und da gibt es massive Unterschiede. Vor allem Staaten, in denen die Republikaner an der Macht sind, haben in den vergangenen zwei Jahren das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch massiv eingeschränkt. In acht Staaten sind Abtreibungen teils nur noch sehr früh in der Schwangerschaft legal – teil nur bis zur sechsten Woche, ein Zeitpunkt, zu dem viele Frau noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind. 14 weitere Staaten haben die Prozedur gleich ganz oder weitgehend verboten – teils ohne Ausnahmen für die Opfer von Vergewaltigungen oder Inzest.

Seitdem mehren sich die Horrormeldungen. Vor zwei Jahren musste ein zehnjähriges Mädchen ihren Heimatstaat Ohio verlassen, um nach einer Vergewaltigung einen Abbruch vornehmen zu lassen. Eine Frau in Texas musste ebenfalls in einen anderen Staat reisen, um eine Schwangerschaft zu beenden, bei der der Fötus eine tödliche Krankheit hatte. Zuvor war sie von drei Notaufnahmen abgewiesen worden. Ohne einen Abbruch sei ihr Leben und ihre zukünftige Fähigkeit, Kinder zu bekommen, gefährdet, hatte ihr Arzt festgestellt. Doch eine Abtreibung war aufgrund der texanischen Gesetzeslage nicht legal.

Solche und andere Episoden haben das Thema Schwangerschaftsabbrüche in den vergangenen Jahren zu einem der wichtigsten Faktoren in der US-Politik werden lassen. In zahlreichen Volksabstimmungen – selbst in tief konservativen Staaten wie Kansas oder Ohio – haben große Mehrheiten der Bevölkerung das Recht auf Abtreibung kodifiziert oder von der Legislatur erlassene Verbote zurückgenommen. Dass die Demokraten bei den Zwischenwahlen 2022 deutlich besser als erwartet abschnitten, lässt sich ebenfalls zu einem guten Teil mit dem Backlash gegen das Urteil des Supreme Courts erklären. Und auch Kamala Harris setzt nun auf das Thema.

Das ist neu. Unter Joe Biden hatten sich die Demokraten teils schwergetan, offensiv über das Recht auf Abtreibung zu sprechen. Biden, ein 81-jähriger gläubiger Katholik, lehnt Schwangerschaftsabbrüche persönlich ab. Das Wort Abtreibung kam ihm nur selten über die Lippen. Das ist bei Harris anders. Nach dem Urteil des Supreme Courts zog sie das Thema an sich. Als sie zur Präsidentschaftskandidatin aufstieg, bettete sie den Kampf um das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in ihr größeres Freiheits-Narrativ ein. Der Staat, so die Botschaft, solle sich aus den medizinischen Angelegenheiten der amerikanischen Familien heraushalten. Das kommt an. Heute sagen mehr als 60 Prozent der Amerikaner, dass Abtreibungen in den meisten oder allen Fällen legal sein sollten. Da sind sich Männer und Frauen weitgehend einig.

Für Trump ist das ein Problem. Die Berufung der drei konservativen Richter war für ihn die Erfüllung eines Wahlversprechens an den harten Kern seiner Unterstützer. Gerade weiße Evangelikale, ein großer und wichtiger Wählerblock in der republikanischen Koalition, hatten seit Jahrzehnten das Ziel verfolgt, das Abtreibungsrecht abzuschaffen. Das ist in Teilen des Landes gelungen, doch die Folgen haben die GOP politisch geschwächt. Zumal die Auswirkungen überraschende Folgen annehmen können. So entschied der Supreme Court von Alabama im Frühjahr, dass das strikte Abtreibungsgesetz des konservativen Südstaats auch künstliche Befruchtung verbiete. Die Legislatur korrigierte das Urteil schnell, doch der Schaden war angerichtet.

Deshalb versucht Trump nun gegenzusteuern, versprach zuletzt, Fruchtbarkeitsbehandlungen künftig staatlich finanzieren zu wollen. Doch das Thema verfolgt ihn dennoch weiter. Im November stimmt sein Heimatstaat Florida über das dort geltende Abtreibungsgesetz ab, das Abbrüche nur bis zur sechsten Schwangerschaftswoche erlaubt. Trump hatte zunächst angekündigt, gegen das Gesetz stimmen zu wollen und damit eine längere Frist zu unterstützen. Doch nach erheblicher Kritik von der Basis ruderte er zurück. Der Versuch, sich bei dem Thema moderater zu präsentieren und so die Gender Gap zumindest ein bisschen schrumpfen zu lassen, ist damit vorerst gescheitert.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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