Analyse
Erscheinungsdatum: 05. Mai 2024

Unruhe in der SPD: „Das geht an die Substanz"

Am Dienstag will das Führungstrio der Koalition den Haushalt 2025 beraten. Ein Krisentreffen? Vor allem die Sozialdemokraten stemmen sich gegen den verordneten Sparkurs des Finanzministers und haben sehr konkrete Erwartungen an ihren Kanzler.

Am Dienstag wollen sich die drei Chefs der Ampelkoalition im Kanzleramt treffen. Ein Krisentreffen? Noch nicht, aber nahe dran. Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner werden vor allem über den Haushalt 2025 beraten, ein gordischer Knoten, von dem noch niemand weiß, wie er sich auflösen lässt. Sicher ist nur: Der Haushalt fürs kommende Jahr wird zur größten Herausforderung, womöglich zur größten Belastungsprobe für die Koalition werden. Mit offenem Ausgang.

Der Finanzminister mahnt zur Zurückhaltung. Er sei sich mit seinen Kollegen einig, hat er wissen lassen. So weit bekannt bezieht sich die Einigung auf das von Lindner vorgegebene Procedere, nicht aber auf den Umfang der Einsparungen. Um nicht zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, halten sich Kanzler und sein Stellvertreter jedoch zurück.

Und doch wird einer in den bevorstehenden Wochen ganz besonders gefordert werden – der Bundeskanzler. Insbesondere in seiner eigenen Partei und Fraktion sind die Erwartungen zuletzt erheblich gestiegen. Lange haben die Genossen ihren Kanzler loyal getragen und gestützt, doch allmählich macht sich Frust breit. Noch drängt er nicht nach draußen; aber es ist nur eine Frage der Zeit, denn viele Sozialdemokraten sind nicht mehr bereit, das Spardiktat des Finanzministers noch länger mitzutragen.

Lange haben sie sich auch rausgehalten aus den Scharmützeln, die sich insbesondere Grüne und Liberale im parlamentarischen Alltag geliefert haben, hatten allenfalls da und dort mehr Führung angemahnt von ihrem Kanzler. Aber eher leise als laut. Doch nun bekommt die Loyalität Risse. Denn die Misere ist so greifbar, so alltäglich, dass sie sich nicht mehr wegreden lässt: Keine Mittel für die Bundeswehr, zu wenig für die Ukraine, kein Geld für die Bahn, zu wenig für Bildung und frühkindliche Erziehung, das Gesundheitswesen genauso unterfinanziert wie die Innere Sicherheit, die Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit rabiat zusammengestrichen. Und dann, und nicht zu unterschätzen, greifen die Liberalen auch noch den für Genossen heiligen Gral Sozialstaat an, während Kinderarmut, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss oder die Vermögensspreizung im Land weiter zunehmen.

Vor allem in der SPD-Bundestagsfraktion wächst die Unruhe inzwischen spürbar. Und der Zorn auf Christian Lindner. Kein Wunder, dass die Abgeordneten nervös werden – nach der Sommerpause beginnt das Prozedere der Wahlkreisnominierungen. „Nur mit dem Rotstift modernisieren wir unser Land nicht“, sagt Fraktionsvize Matthias Miersch. Der Jurist bevorzugt die diplomatische Version, andere drücken sich drastischer aus. „Wahnsinn – der Mann ruiniert Deutschland“, zürnt ein Kollege von Miersch. Ein anderer formuliert es so: „Das alles geht an die Substanz dessen, was Sozialdemokraten noch vertreten können.“ So lasse sich der Wettbewerb mit den USA und China für die Exportnation Deutschland nicht bestehen. Die Sorge der Genossen: „In den nächsten 12 Monaten entscheidet sich der Standort Deutschland.“ Auch ein Treffen von knapp zwei Dutzend Ruhr-Abgeordneten mit Wolfgang Schmidt vor kurzem im Kanzleramt drehte sich vor allem um ein Thema – den drohenden Sparhaushalt.

„Wir müssen investieren“, sagt der Kanzler immer wieder und nennt den amerikanischen Inflation Reduction Act regelmäßig „eine Herausforderung“. Auch an den Parteitag im vergangenen Dezember werden ihn seine Genossen erinnern, auf dem er explizit formuliert hatte: Jetzt müsse „investiert werden – jetzt ist der Investitionszyklus“. Außerdem hatte er damals gesagt: „Wir haben Wachstumspotenziale in Deutschland. Wir müssen sie nur entfesseln.“ Was mit einer strengen Sparoperation wie geplant kaum möglich sein dürfte.

Auch im Präsidium der SPD, so heißt es, werden dem Kanzler die Erwartungen seiner Partei zunehmend drängender vorgetragen. Moderat im Ton, aber unmissverständlich in der Sache. Und die haben mit Lindners Philosophie wenig gemein. Fünf Wochen hat der Kanzler Zeit, um sich mit seinen beiden Kollegen zu verständigen. Ein Vorständler der Partei. „Wenn nach der Europawahl nicht klare Zeichen des Kanzlers kommen, bricht es auf allen Ebenen auf – und der Deckel wird platzen.“

Doch noch gibt der Finanzminister den Takt vor. So strikt, dass auch in den Ministerien, selbst in den liberalen, Unruhe ausgebrochen ist. Von Sparvorschlägen, die im Rahmen der Haushaltsaufstellung „titelscharf“ bis vergangenen Freitag eingereicht werden sollten, kann keine Rede sein.

Der Bundesverteidigungsminister hat schon vorab 5,3 Milliarden Euro mehr angemeldet im Vergleich zur Lindner-Liste. Verkehrsminister Volker Wissing fehlen bis 2027 allein 12 Milliarden Euro für die Bahn. Und weil er weiß, dass Parteifreund Lindner auch die nötigen Mittel für Brücken, Straßen und Schleusen nicht bewilligen wird, hat er die Idee eines milliardenschweren Infrastrukturfonds ins Spiel gebracht.

Besonders laut stemmt sich BMZ-Chefin Svenja Schulze (SPD) gegen die verordnete Schrumpfkur. 9,9 Milliarden Euro wollte ihr Lindner noch genehmigen, einen „dringend notwendigen“ Bedarf von 12,16 Milliarden hat sie angemeldet. Der Wohlstand im rohstoffarmen Deutschland sei „von soliden internationalen Beziehungen“ abhängig. Die Migration sei auf einem globalen Höchststand, es sei „im deutschen und europäischen Interesse, für lebenswerte Bedingungen für Flüchtlinge und Binnenvertriebene auch außerhalb Europas zu sorgen. Angesichts des Vertrauensverlustes im Globalen Süden sei „ein Nachlassen des wichtigsten europäischen Gebers“ in Punkto Finanzierung „ein fatales Signal“.

Genauso Annalena Baerbock im Auswärtigen Amt: Statt der von Lindner verordneten 5,1 Milliarden Euro hat sie 7,3 Milliarden beantragt. Die Begründung ist ähnlich wie die von Svenja Schulze: Die Humanitäre Hilfe so dramatisch schrumpfen zu lassen wie Christian Lindner es beabsichtigt, schwäche Deutschlands Position in der Welt enorm. Auch die von allen erwartete Digitalisierung und personelle Aufstockung der konsularischen Abteilungen im Ausland kostet Geld. Anders wird eine flottere Visavergabe und die schnellere Anwerbung von Fachkräften aber kaum zu machen sein.

Auch Innenministerin Nancy Faeser braucht dringend mehr Geld. Die Hinweise auf mögliche Sprengstoffanschläge russischer Saboteure auf kritische Infrastruktureinrichtungen werden zunehmend konkreter, unter anderem braucht das BSI mehr Geld, der Zivil- und Katastrophenschutz genauso, die Bundespolizei soll 38 neue Hubschrauber erhalten und auch die Verbesserung der polizeilichen Funktechnik kostet Millionen. Überhaupt ist es nur schwer vorstellbar, dass in Zeiten steigender Unsicherheit im Bereich Innerer Sicherheit gespart wird.

Selbst im FDP-geführten Forschungsministerium sehen sie sich mit ihren Sparbemühungen am Anschlag. Schon für 2024, so ist zu hören, habe das Haus, das Dutzende von führenden Forschungseinrichtungen im Land unterstützt, einen umfassenden Sparbeitrag erbracht. Offen wird sich Ressortchefin Bettina Stark-Watzinger nicht gegen ihren Parteichef stellen. Aber die Fraunhofer-, Max-Planck-, Helmholtz und anderen Institute haben sehr deutlich hinterlegt, welche Folgen weitere Kürzungen für sie hätten: Es wäre ein harter Rückschlag für den Forschungsstandort Deutschland. In einem anwendungsorientierten Fraunhofer-Institut in Süddeutschland zum Beispiel heißt es sehr deutlich: „Der Wettlauf hat gerade begonnen. Jetzt werden die Patente für die nächsten 15 Jahre vergeben. Und da wollen sie uns die Mittel kürzen?“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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