Analyse
Erscheinungsdatum: 30. Juli 2023

Ungerechte Familienpolitik? Warum das Kindergeld vom Unterhaltsvorschuss abgezogen wird

Thema: Kind mit kaputten Socken, Kinderarmut. Bonn Deutschland *** Theme child with broken socks, child poverty Bonn Germany Copyright: xUtexGrabowsky/photothek.dex

Wenn ein Elternteil keinen Unterhalt zahlt, springt der Staat ein. Doch in dem Fall wird das Kindergeld voll angerechnet. Eine Petition fordert, das zu ändern, doch das Familienministerium sieht dafür keinen Anlass.

Wenn es um Familienpolitik geht, ist zuletzt viel vom Einsparpotenzial beim Elterngeld und möglichen Reformen des Ehegattensplittings die Rede gewesen. Ein ähnliches Thema, das in der breiten Öffentlichkeit aber selten diskutiert wird, obwohl es mehr als 800.000 Kinder betrifft, hat mit dem sogenannten Unterhaltsvorschuss zu tun. Ihn erhalten Alleinerziehende vom Staat, wenn der andere Elternteil nicht, nicht regelmäßig oder zu wenig zahlt. Wie viel sie selbst verdienen oder ob sie geschieden sind, ist nicht relevant.

Zuständig ist in der Regel das Jugendamt, die Höhe des Mindestunterhalts bemisst sich nach dem Nettoeinkommen der unterhaltspflichtigen Person. Maßgeblich ist die sogenannte Düsseldorfer Tabelle, auf die Werte kann es allerdings Zu- oder Abschläge geben. Die unterste Stufe dort ist ein Einkommen bis 1900 Euro und entspricht dem sogenannten Mindestunterhalt. Auf dieser Grundlage wird die Höhe des Vorschusses berechnet, auch wenn der unterhaltspflichtige Elternteil mehr verdient. Und anders als wenn der Partner den Unterhalt zahlt, wird beim Unterhaltsvorschuss das Kindergeld in voller Höhe angerechnet.

Daraus ergeben sich maximale monatliche Zahlungen zwischen 187 und 338 Euro je nach Alter des Kinds. Sobald es 18 wird, hat es keinen Anspruch mehr auf den Vorschuss. Ist es zwölf oder älter, besteht er zudem nur unter bestimmten Voraussetzungen: Das Kind darf etwa kein Bürgergeld beziehen, und wenn der alleinerziehende Elternteil Bürgergeld bezieht, muss er zusätzlich mindestens 600 Euro brutto verdienen.

Der Staat muss oft einspringen

Weil viele Väter nicht zahlen können oder wollen, bekommen Alleinerziehende in rund der Hälfte der Fälle gar keinen Unterhalt, in einem Viertel zu wenig und nur zu einem weiteren Viertel das Geld, das ihnen zusteht. In diesen Fällen springt der Staat ein. Aber er zieht das Kindergeld, also 250 Euro, komplett vom Vorschuss ab. Zahlt der andere Elternteil den Unterhalt dagegen in der vorgeschriebenen Höhe, wird nur die Hälfte angerechnet.

Bereits 2019 forderte die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK), auch beim Vorschuss nur die Hälfte anzurechnen. Die fast drei Millionen Alleinerziehenden – zu mehr als 80 Prozent sind es Frauen – könnten das Geld gut gebrauchen: Sie sind überdurchschnittlich von Armut betroffen, gut ein Drittel der Haushalte mit minderjährigen Kindern ist derzeit auf Bürgergeld angewiesen. Sie gelten als Bevölkerungsgruppe ohne große Lobby, auch wenn es verschiedene Initiativen oder zum Beispiel den 1967 gegründetenVerband alleinerziehender Mütter und Väter gibt.

Petition an die Bundesregierung

Im März startete eine beim Netzwerk Fair für Kinder aktive Mutter eine an Lisa Paus und Christian Lindner gerichtete Petition, die bisher jedoch nur knapp 16.000 Menschen unterschrieben haben. Zum Vergleich: Eine über den Bundestag eingereichte Petition braucht innerhalb von vier Wochen 50.000 Unterzeichnungen, damit sich der zuständige Ausschuss in öffentlicher Sitzung damit beschäftigt. Die Petentin, die sich Anfang der Woche auch in einem Tagesspiegel-Interview äußerte, schreibt in ihrem Aufruf: „ Kinder von Alleinerziehenden dürfen nicht Kinder zweiter Klasse sein.“ Für ihr Wohlergehen dürfe nicht entscheidend sein, ob der andere Elternteil oder eben das Jugendamt den Unterhalt übernimmt.

Änderungen bei der Anrechnung des Kindergelds auf den Unterhaltsvorschuss hält das BMFSFJ auf Anfrage nicht für nötig : „Dies wird aus Gründen der Gleichbehandlung wie auch der Notwendigkeit des zielgerichteten Einsatzes knapper Haushaltsmittel nicht angestrebt.“ Das Ministerium argumentiert, dass auch Alleinerziehende, deren Partner Unterhalt zahlt, nicht in allen Fällen die in der Düsseldorfer Tabelle festgelegte Summe bekommen. Denn wenn dieser so wenig verdient, dass für ihn selbst durch den Kindesunterhalt zu wenig Geld zum Leben übrig bleibt, werden die Zahlbeträge entsprechend verringert. Zudem würde das Kindergeld auch bei anderen staatlichen Leistungen wie dem Bürgergeld stets voll angerechnet.

Das Unterhaltsrecht soll reformiert werden

Als Hürde auf dem Weg zu einer Reform gilt auch, dass der Unterhaltsvorschuss über eine Mischfinanzierung von Bund und Ländern getragen wird, Letztere also mitziehen müssten. Dennoch plant die Bundesregierung auch eigene Schritte: In ihrem Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien neben einer Steuergutschrift für Alleinerziehende eine Modernisierung des Kindschafts- und Unterhaltsrechts angekündigt, die wissenschaftlich begleitet werden soll. Dort heißt es etwa: „Wir wollen im Unterhaltsrecht die Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung besser berücksichtigen, ohne das Existenzminimum des Kindes zu gefährden.“

Auf Anfrage der CDU-Abgeordneten Elisabeth Winkelmeier-Becker teilte das Bundesjustizministerium im Mai allerdings mit, es werde noch geprüft, welche Studien hierfür nötig seien. Um die Sicherung des Existenzminimums geht es auch bei der Kindergrundsicherung, für die Ende August ein innerhalb der gesamten Regierung abgestimmter Entwurf vorliegen soll. Im Protokoll der Familienministerkonferenz von Mai hieß es, der Vorschuss soll auch nach Inkrafttreten des für 2025 geplanten Vorhabens als „vorrangiges Sicherungssystem“ bestehen bleiben. Das Familienministerium sagt, ob und welcher Anpassungsbedarf sich ergebe, werde sich im Laufe der aktuellen Abstimmungen zeigen.

Wenn möglich, holen sich Länder und Kommunen das Geld zurück

Ist die unterhaltspflichtige Person ausfindig zu machen und hat genug Geld, versuchen Länder und Kommunen, sich den Vorschuss je nach deren Zahlungsfähigkeit ganz oder zum Teil zurückzuholen. 2022 bekamen die Behörden allerdings nur rund 20 Prozent der ausgezahlten zweieinhalb Milliarden Euro zurück. Das Bundesfamilienministerium erklärt, es handle sich um eine „mühevolle und langwierige Aufgabe“. Nach einer Trennung sei die wirtschaftliche Situation auch für den unterhaltspflichtigen Elternteil oft schwierig, weshalb ein vollständiger „Rückgriff“ – wie es offiziell heißt – viele Jahre dauern könne. Daher kommen regelmäßig langfristige Zahlungsvereinbarungen zum Einsatz.

Seit mehreren Jahren bemühen sich die Länder darum, die Rückgriffsquote zu erhöhen. Neben dem Fehlen von ausreichendem Personal gilt die vielerorts fehlende Zentralisierung der Vorgänge als ein Problem. Nordrhein-Westfalen beispielsweise siedelte die Bearbeitung 2019 beim dortigen Landesamt für Finanzen an und erzielte 2022 mit einem Plus von etwas über drei Prozent den stärksten Anstieg von allen. Laut BMFSFJ wird oder wurde auch in den anderen Ländern geprüft, ob ein zentralisiertes Vorgehen zu besseren Ergebnissen führt und organisatorisch umsetzbar ist.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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