Analyse
Erscheinungsdatum: 17. April 2024

Unabhängige Patientenberatung: Wie eine Institution für Hilfesuchende aufgerieben wird

Die Unabhängige Patientenberatung (UPD) war eine echte Errungenschaft. Doch seit Dezember macht sie Sendepause. Karl Lauterbach hatte der Beratung eine „sehr wichtige“ Reform versprochen – und warf sie dann gesundheitspolitischen Interessengruppen zum Fraß.

Mehr als eine Million Menschen in Not hat die „Unabhängige Patientenberatung“, kurz „UPD“, seit ihrer Gründung beraten, nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Türkisch, Russisch und Arabisch. Doch seit mehr als vier Monaten sind ihre Leitungen tot und ihre Türen geschlossen. Die Website erklärt den „sehr geehrten Ratsuchenden“, die „neue Stiftung“ befinde sich noch „im Aufbau“. Sie arbeite „mit Hochdruck“ daran, die „Beratung in gesundheitlichen und gesundheitsrechtlichen Fragen wieder anbieten zu können“.

Der Ausfall der Patienten-Hotline und ihrer Vor-Ort-Beratungen ist ein Lehrstück dafür, wie sich politische Interessengruppen durchsetzen, während die, um die es eigentlich geht, nämlich Kranke, Schwache, Hilfesuchende, allein gelassen werden. Die Gründe für den Ausfall in Kurzform: Der Gesetzgeber war zu langsam. Und der von ihr bestellte Neugründer der UPD – der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) – hat die ihm oktroyierte Aufgabe zu lange boykottiert.

Die Vorgeschichte ist lang. Ersonnen wurde die UPD im Jahr 1999 von engagierten Patientenvertretern, unter der Ägide der grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer. Das Modellprojekt war so erfolgreich, dass der Bund es zur festen Einrichtung machte. In ihren besten Zeiten hat die UPD mehr als 100.000 Menschen im Jahr kostenfrei beraten, meist am Telefon, aber auch vor Ort. Sie half, wenn eine Kasse das Krankengeld strich oder die Enkelin nicht wusste, wer den im Urlaub gestürzten Opa nach Hause transportieren könnte. Oder wenn ein Zahnarzt unverschämt viel Geld verlangte.

„Meine Frau und ich haben mehrfach die UPD in Anspruch genommen und wurden kompetent beraten“, erzählt der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe. „Dass sie jetzt nicht mehr am Netz ist, ist ein Versagen mit Ansage.“ Vor einem Jahr hat Hüppes Fraktion einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der ob des zeitlichen Verzugs vor einem „vorübergehenden Aus“ der UPD warnte und darauf drang, die neue Beratungsstelle aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren – statt aus Mitteln der Kassen. Der Antrag wurde abgelehnt.

Heute sieht Hüppe sich bestätigt. „Der Bund hätte die alte UPD noch ein Jahr lang laufen lassen müssen. Für den Neustart ist die entstandene Zwangspause eine schwere Hypothek “, sagte er zu Table.Briefings. Dabei habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor gut einem Jahr im Deutschen Bundestag angekündigt, die neue Organisation werde ab dem 1. Januar 2024 direkt an die bestehende Beratung anknüpfen und deren Mitarbeiter „wenn irgend möglich“ übernehmen. Hüppe: „Beide Versprechen hat Karl Lauterbach gebrochen.“

In der Tat versprach Lauterbach damals Großes für die neue UPD. Er kündigte ein „sehr wichtiges" Gesetz an, „bei dem wir eine Perspektive einnehmen, die in der Gesundheitspolitik oft viel zu kurz kommt, nämlich die Perspektive der Patienten". Ihnen werde man etwas anbieten, „was es bisher nicht in der Qualität und Form gibt, wie es benötigt wird" – eine Beratung, die dem Patienten „unabhängig von wirtschaftlichen Interessen und Interessenkonfikten" die Möglichkeit geben, sich eine Information einzuholen, die er verstehe und die ihm helfe, besser klarzukommen.

Der CDU-Politiker Hüppe gehört jetzt dem Rat der im Dezember gegründeten UPD-Stiftung an, genau wie die SPD-Abgeordnete Martina Stamm-Fibich. Dabei hatte die Ampel schon im Koalitionsvertrag versprochen, die UPD in eine „staatsferne“ Struktur zu überführen. Das ist nur bedingt gelungen: Den Rat der neuen Stiftung leitet mit dem Patientenbeauftragte des Bundestags Stefan Schwartze ein weiterer SPD-Politiker; auch zwei Ministerien – Gesundheit und Verbraucherschutz – haben Sitze im Stiftungsrat.

Das Misslichste aus Sicht der zivilrechtlichen Patientenorganisationen, die die UPD einst ins Leben riefen, ist aber, dass die gesetzlichen Kassen die neue Stiftung tragen. Sie sind sogar mit zwei Stimmen im Rat vertreten. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat ihnen überdies nach langem Streit eine Art Vetorecht in Haushaltsfragen eingeräumt.

Dieses Vetorecht war offenbar Ergebnis eines Deals des BMG mit den Kassen. Denn deren Interessenvertreter wollten den Auftrag gar nicht. Im März 2023, als das Gesetz zur Umwandlung der UPD in eine Stiftung in zweiter und dritter Lesung war, erklärte der Verband der Ersatzkassen das Vorhaben für „nicht hinnehmbar“. Die Finanzierung aus Beitragsgeldern sei „verfassungswidrig“. Schließlich würden die Krankenkassen ja bereits selbst ihre Versicherten beraten. Heute äußert der Vorsitzende des neuen UPD-Stiftungsrats, der Patientenbeauftragte Schwartze, dafür – verhalten – Verständnis. Er verstehe den Punkt der Kassen, ließ Schwartze Table.Briefings wissen, „dass eine unabhängige Patientenberatung, die nicht nur für gesetzlich Versicherte da ist, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe über Steuermittel hätte finanziert werden sollen“. Doch: „Die Politik hat sich aber nun einmal für die Finanzierung der UPD durch Beitragsmittel entschieden.“

Seine Fraktionskollegin Stamm-Fibich findet deutlichere Worte: „Ich halte daran fest, dass das Verhalten des GKV-Verwaltungsrates im Rahmen der Vorarbeit zur Stiftungsgründung kritikwürdig war“, sagte sie zu Table.Briefings. „Dass der Großteil des GKV-Verwaltungsrats die UPD nach wie vor für überflüssig hält, ist kein Geheimnis.“

Damit weist die SPD-Frau im Stiftungsrat auf das tieferliegende Dilemma hin. Eins der Motive für eine „unabhängige“ Beratung war, dass Menschen gerade auch dann eine Anlaufstelle haben sollen, wenn sie Ärger mit ihren Krankenkassen haben. Solch Ärger gehörte zu den häufigsten Beschwerden, mit denen sich Menschen an die alte UPD wandten. Dass nun ausgerechnet die Kassen eine Organisation tragen sollen, die sich im Zweifel gegen sie richtet, ist ein Konstrukt, das die Taufpaten der UPD, die Patientenorganisationen, besonders schmerzt.

Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands, war lange Beirat in der alten UPD. Er verließ ihn schon 2015, „unter Absingen schmutziger Lieder“, wie er erzählt. Schon damals finanzierten die Kassen die UPD, aber noch nicht als Stifter. Sie sorgten für eine Ausschreibung, die die Firma Sanvartis gewann – ein Dienstleister, der viel für Kassen und Pharma unterwegs war und dem Rosenbrock die gebotene Unabhängigkeit absprach.

Der Public-Health-Experte sollte recht behalten: Schon 2018 wurde die Sanvartis vom UPD-Beirat wegen Irreführung von Patienten mit unhaltbaren und sogar esoterischen Empfehlungen kritisiert. 2020 folgte eine saftige Rüge des Bundesrechnungshofs. Die Sanvartis habe viel zu wenig Menschen für die neun Millionen Euro im Jahr beraten; Tochterunternehmen der Firma hätten für wenig Leistung horrende Preise aufgerufen. Auch den GKV-SV tadelten die Prüfer: Dieser habe „keine positiven oder negativen Anreize vertraglich vereinbart“.

Zur Heilung dieser Zustände nahm die Ampel sich im Koalitionsvertrag vor, die UPD in eine „dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter der Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen“ zu überführen. Doch erst ließ sie sich viel Zeit – und betraute dann ausgerechnet den GKV-SV mit der Aufgabe. Ramona Popp, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands – einer der Gründeverbände der UPD –polterte: „Eine UPD am Rockzipfel der Krankenkassen ist für Patient:innen nichts wert.“ Popp drohte mit dem Rückzug ihres Verbands aus der UPD, „denn ein Ende mit Schrecken ist besser als eine Schrecken ohne Ende“.

Zwei maßgebliche Beteiligte schrieben sich ihren Ärger sogar in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel von der Seele. Stefan Etgeton, der die Verbraucherzentrale schon 2006 in der UPD vertreten hatte, und Sebastian Schmidt-Kaehler, der selbst die UPD bis 2015 leitete. Titel: „Ein Pyrrhussieg der Engstirnigkeit“. Die Experten kritisierten, dass die Ampel ein Jahr lang „praktisch nichts“ und dann „relativ wenig“ in Sachen UPD zustande gebrachte habe, trotz des „offenkundigen“ Zeitdrucks. Dass nun der GKV-SV „gegen seinen ausdrücklichen Willen“ die unabhängige UPD-Stiftung gründen müsse, sei das „schlussendliche Scheitern“ einer großen Idee. Nämlich: die Beratung „systemunabhängig anzusiedeln“. Fazit: „Die politische Havarie der unabhängigen Patientenberatung ist insofern ein trauriges Beispiel für Staats-, System- und Politikversagen in einem.“

Doch seit Gründung der UPD-Stiftung am 13. Dezember sind die Kritiker so still wie die Leitungen der Beratung. Ein Grund ist, dass viele von ihnen doch weiter mitmachen. Im Stiftungsrat sind sieben Verbände vertreten, darunter die Verbraucherzentrale Bundesverband, der Sozialverband Deutschland, der Sozialverband VdK Deutschland und die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe (BAG). Hinter vorgehaltener Hand seufzen deren Vertreter zwar durchaus, sind aber zu Verschwiegenheit verpflichtet. Stefan Etgeton, einer der Verfasser der Suada im Tagesspiegel, ist heute sogar einer der zwei interimistischen Vorstände der neuen Stiftung. Der Stifter wider Willens, der GKV SV, beantwortete die Fragen von Table Briefings zu den Kämpfen um die UPD knapp mit: „Wir blicken jetzt alle nach vorne.“

Intern dürfte es bei den Ratssitzungen durchaus zur Sache gehen. Patientenverbände und GKV sind sich vor allem uneins sind bei der Frage, wer die örtliche UPD-Beratungen, in den Kommunen, durchführt. Dieser Konflikt zeichnete sich schon Anfang November ab. Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss sagte der stellvertretende GKV-SV-Vorsitzende Gernot Kiefer laut „Ärzteblatt“, den Patientenverbänden schwebe eine Art „Outsourcing-Modell“ vor, bei dem die Stiftung Aufträge an bestehende Patientenberatungsstellen vergeben solle. Das würde bedeuten, dass künftig zum Beispiel eine örtliche Verbraucherzentrale oder ein Gesundheitsladen von der Stiftung Mittel erhalten würden, um Be­ratungen für die UPD zu machen.

Was sich nach Selbstbedienung der im Rat vertretenen Verbände anhört, wäre nach deren Meinung einfach: effizient. Die Mittel der neuen UPD – 15 Millionen Euro im Jahr – würden schließlich ohne die Verzahnung mit existierenden Angeboten keinesfalls reichen für eine Vor-Ort-Beratung in jedem Bundesland, so wie es das Gesetz vorsieht. Der frühere UPD-Geschäftsführer Schmidt-Kaehler, heute Co-Direktor für Gesundheit bei der Bertelsmann Stiftung, macht die Notwendigkeit persönlicher Beratung an einem Beispiel fest, das er selbst miterlebt hat.

Eine Frau rief damals bei der UPD an und fragte, wie sie die Kasse wechseln könne. Der Grund: Ihr dreijähriges Kind war gestorben, nach einem Unfall. Die Beraterin hörte heraus, dass die Frau keine neue Kasse, sondern psychische Unterstützung brauchte, und das nicht bloß am Telefon. Tatsächlich stand die Anruferin unter Medikamenten-Einfluss. Die UPD-Beraterin lotste die verwaiste Mutter zu einer Beratungsstelle eines örtlichen Patientenverbands und warnte deren Mitarbeiter vor, so dass diese schon Hilfe für die Verzweifelte organisieren konnten. „So etwas kann die UPD zentral aus Berlin heraus nicht leisten“, sagt Schmidt-Kaehler. „Eine Zusammenarbeit mit gut vernetzten örtlichen Kräften ist absolut sinnvoll.“ Gerade die vulnerablen Gruppen der Gesellschaft, seien es Migranten, seien es verarmte Seniorinnen, bräuchten eine „Face-to-face-Beratung“.

Eine andere Gruppe erwies sich beim Neuanfang mit Unterbrechung als vulnerabel: die rund 100 Mitarbeiter der alten UPD. Lauterbach hatte ihnen vor einem Jahr im Bundestag noch gedankt und in Aussicht gestellt, übernommen zu werden. Doch stattdessen erhielten sie alle die Kündigung. Rechtsanwalt Stefan Pflug vertritt 35 von ihnen. Mit seiner Bitte um eine außergerichtliche Lösunge sei er sowohl beim GKV-SV wie beim Bundesgesundheitsministerium abgeblitzt. „Ich bin für meine Mandanten traurig und enttäuscht“, sagte er zu Table.Briefings. Die Gegenseite wolle offenbar – „auf Kosten der Beitragszahler“ – langwierig und teuer prozessieren.

Manche der Ehemaligen sind aber doch übernommen worden. Sie bauen derzeit die neue Beratung auf. Noch in diesem Quartal soll die UPD wieder ans Netz gehen, heißt es – wenngleich zunächst nur online und telefonisch.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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