Berlin.Table: Herr Czaja, was kann Friedrich Merz von Ihnen lernen?
Mario Czaja: Wir lernen alle täglich dazu – auch voneinander. Ich bringe Erfahrungen aus den neuen Bundesländern und meinem Wahlkreis ein. Gerade im Osten und auch in meinem Wahlkreis in Marzahn-Hellersdorf leben viele Menschen, die mit kleinen Einkommen ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen, die in Serviceberufen tätig sind, die wenig Vermögen haben aufbauen können, die aufstocken. Friedrich Merz war unter anderem Vorsitzender der Atlantikbrücke und Mitglied des Europäischen Parlaments, bringt viel europäische und internationale Erfahrung ein. Uns eint das Ziel, unsere Partei im Dienste des Landes nach vorne zu bringen. Zusammen bringen wir viel auf die Waage.
Hat er Erwartungen an Sie formuliert?
Seine Erwartung ist, dass wir gemeinsam im Team arbeiten und dann auch gemeinsam wieder Verantwortung für unser Land übernehmen. Spätestens bei der nächsten Bundestagswahl. Im Kanzleramt. Diese Erwartung ist klar formuliert; ohnehin sind seine Erwartungen immer sehr klar und deutlich.
Hört er auf Sie?
Wir leben eine sehr gute Kooperation. Ich erlebe ihn als einen hoch interessierten Menschen, der unbedingt möchte, dass wir in der Partei wieder diskutieren. Dass wir Offenheit leben, Debatten führen, sie als spannend und als Gewinn empfinden. Mein Eindruck ist, dass er genau weiß, dass wir diese inhaltliche Arbeit brauchen, um wieder Wahlen zu gewinnen.
Müssen Sie auch Lücken schließen, die der Parteichef trotz seiner Erfahrung hat?
Sein und unser Anspruch bei unserer Wahl war es, als Team anzutreten. Nicht auf uns zwei beschränkt, sondern mit vielen anderen, die als kompetente und glaubwürdige Köpfe unterschiedliche Themen besetzen. Ich möchte unser Team in den sozialpolitischen und gesundheitspolitischen Themen voranbringen. Und in Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Wir sind ein sich ergänzendes Team.
Und doch heißt CDU im Augenblick vor allem Friedrich Merz.
Friedrich Merz ist mit einem überwältigenden Votum zum Parteichef und zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. Der Oppositionsführer steht im besonderen Fokus der Öffentlichkeit. Aber Friedrich Merz selbst möchte die ganze Breite der Partei zeigen.
Warum eigentlich?
Weil wir Volkspartei sind und das auch bleiben wollen. Es ist unser Anspruch, allen gesellschaftlichen Milieus ein politisches Angebot zu machen. Die letzte Bundestagswahl, unsere schwere Niederlage, war eine Zäsur. Im vergangenen Jahr war es deshalb notwendig, dass die Partei zu ihrem aufrechten Gang zurückkommt. Wir mussten uns offen die Frage stellen: Woran hat es gelegen? Wir hatten Streit mit der CSU. Der ist gelöst. Wir hatten thematische Lücken. Daran arbeiten wir.
„Wir wollen divers sein.“
Woran liegt es, dass die CDU so ganz anders wirkt, als Sie sie gerade beschreiben?
Aus meiner Sicht hat das zwei Gründe: Wir erleben einen schwachen Bundeskanzler. Da sticht das Gegengewicht, der Oppositionsführer, natürlich besonders hervor. Der zweite Grund liegt aber in uns selbst: Wir waren die offene Debatte über Inhalte nicht mehr gewohnt. Aber die brauchen wir jetzt, weil wir eine Volkspartei sein wollen. Sie können es auch modern sagen: Wir wollen divers sein, also die Diversität der Gesellschaft abbilden und voneinander lernen. Das ist es, was die CDU wieder ausmachen soll.
Die Volkspartei retten – das Ziel hatten schon viele. Ist das nicht eine Illusion?
Da widerspreche ich. Volkspartei – das ist kein überholtes Modell, das früher mal funktioniert hat und heute nur noch im Geschichtsbuch existiert. Ich bin überzeugt, dass gerade in einer so individualisierten Welt, in der viele Fliehkräfte in der Gesellschaft vorhanden sind, eine moderne Volkspartei das verbindende Element sein kann. Der Ort, an dem alle akuten Fragen der Zeit kontrovers und zugleich gemeinschaftlich und lösungsorientiert diskutiert werden. Ob es nun um die Zukunft der Rente geht, um unser Wirtschaften von morgen, um den Klimaschutz oder den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ja, kontrovers, auch mal streitig. Aber dann auch versöhnend.
Geht das noch in Zeiten, in denen jede Debatte zum Konflikt und jeder Konflikt sofort zum Streit gemacht wird?
Das Problem sehe ich. Trotzdem: Ich werbe für eine offene und faire Streitkultur. Wir, die CDU, wollen wieder der Ort sein, an dem wir aus unterschiedlichen Perspektiven auf große Fragen schauen und dann Konflikte lösen – wir als Spiegel für die ganze Gesellschaft. Warum? Weil wir nicht wollen, dass im Parlament nur noch Parteien sitzen, die ganz spezielle Klientelinteressen vertreten. Das Gesamtinteresse muss in den Blick.
Dann wird es dauernd Streit geben.
Streit ist nicht das Problem. Er muss halt zu Lösungen führen. Wir müssen die Debatte aushalten. Und wir müssen in der Lage sein, uns immer auch zu fragen: Kann es sein, dass der andere Recht hat? Dieses Denken in der CDU zu verankern, ist eine der Herausforderungen des Jahres 2023. Das beinhaltet das Risiko, auch mal zu streiten. Aber danach gemeinsam Lösungen zu finden, ist es das wert.
Wie wollen Sie das schaffen?
Konflikte zu überwinden und Brücken zu bauen – das war schon der Gründungsgedanke der CDU. An diese Tradition wollen wir anknüpfen. Wir wollen eine politische Heimat sein für alle, die unsere Werte teilen. Für Menschen aus unterschiedlichen Milieus, mit deutschen und migrantischen Wurzeln. Diese unterschiedlichen Interessen, Wünsche, Ziele in der Partei zusammenzuführen – das ist meine zentrale Aufgabe. Ich verstehe meine Aufgabe als Generalsekretär als die eines Teammanagers. Es war gerade nach Wahlniederlagen die große Stärke der Union, mehr gesellschaftliche Breite zu zeigen, mehr Einladung an alle auszusprechen. Nach den Jahren der Raute folgen jetzt die Jahre der einladenden Arme.
Was heißt das konkret?
Wir laden alle Menschen ein mitzumachen. Auch Menschen, die bislang nicht mit uns in Verbindung gebracht werden, die vielleicht auch das Gefühl hatten, unser Ohr zu wenig zu haben. Zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund, die von ihren Werten unsere Positionen teilen, aber sich von unserer Anmutung her bei uns nicht zu Hause fühlen. Menschen, die in vielen Fragen wie wir denken, aber sich nicht mit ihrem Herzen zu Hause fühlen.
Warum ist das so?
Es fehlte manchmal an der Offenheit und der Botschaft, dass die Menschen willkommen sind. Wir sind immer sehr stark auf der rationalen, der programmatischen Ebene unterwegs. Das ist wichtig, aber offen über Inhalte zu sprechen, funktioniert nur, wenn die Menschen auch mit dem Herzen dabei sind, also sich eingeladen fühlen. Auch Angela Merkel ist die Dinge als Wissenschaftlerin immer sehr, sehr rational und sehr analytisch angegangen. Das haben viele im Land auch gut gefunden. Aber um die Menschen mit ihren Herzen zu erreichen und zu verstehen, braucht es mehr. Am Ende unseres Namens steht nicht Partei, da steht Union. Da wollen wir wieder hin.
„Wir müssen den Zeitgeist nicht fürchten, wir wollen ihn prägen.“
Was leiten Sie aus dem Namen ab?
Unsere Union hat sich nach der Schreckenszeit des Zweiten Weltkriegs gegründet. Aus der Erfahrung eines zerstörten Landes; aus dem Wissen daraus, welche Verantwortung damals auch konservative Kräfte für den Aufstieg des Nationalsozialismus hatten. Vor allem aber aus der Einsicht, dass man jetzt zusammenarbeiten sollte. Protestanten und Katholiken, Norddeutsche und Süddeutsche, Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Partei. Das war revolutionär, das war eine große Vielfalt oder, wie manche heute sagen würden, das war damals schon sehr divers. Eine Mitgliederpartei wurden wir erst später, aber diese Vielfalt war unser Markenzeichen und ist bis heute Teil unserer DNA.
Auch heute?
Heute sind wir mit der CSU und der Mittelstandsunion und der Jungen Union gut 600.000 Menschen. Das ist immer noch die größte politische Gruppierung in Europa, mit vielen Köpfen, mit vielen Fähigkeiten, mit Know-how, mit Erfahrung. Das wollen wir auch zeigen. Wir müssen den Zeitgeist nicht fürchten, wir wollen ihn prägen. Und wir haben dabei einen großen Vorteil.
Einen Vorteil?
Wir können unser Programm aus der Opposition heraus machen. Macht man es in Regierungszeiten, geht man ein hohes Risiko. Das erste ist, dass alle Inhalte immer auf die tagespolitischen Aussagen der Regierung hin überprüft werden. Das geschieht zu Recht, aber es führt immer dazu, die Aussagen abzuschwächen. Und das zweite ist, dass man Programme ein bisschen schleift, um keinen Ärger mit dem Koalitionspartner zu bekommen. Man nimmt Kompromisse also vorweg. Das schwächt die eigene Position. Heiner Geißler und vor allem Kurt Biedenkopf haben in ihrer Amtszeit die CDU von einer Funktionärs- zu einer Mitgliederpartei gemacht. Die entwickeln wir jetzt maßgeblich weiter. Wir wollen die Mitglieder stark in unsere Programmarbeit einbinden, mit ihnen diskutieren und debattieren. Wir werden regionale Konferenzen und einen Bundeskonvent durchführen, um am Grundsatzprogramm zu arbeiten. Dann geht der Entwurf nochmal in die Partei und die Verabschiedung folgt auf einem Parteitag im März 2024. Andere brauchen dafür viele Jahre, wir 18 Monate.
Bei dem Berg an nötigen Veränderungen – wird da nicht die Zeit zu knapp? Die Welt ist auch für die CDU eine ganz andere geworden.
Ja, die Welt hat sich maßgeblich verändert. Aber viele Positionen, die von uns in der Vergangenheit vorgetragen und als altbacken eingestuft wurden, sind heute hochmodern. Sie werden sogar von den Grünen in beeindruckender Klarheit formuliert. Nehmen Sie die Notwendigkeit einer starken Bundeswehr; nehmen Sie den Ruf nach einer Stärkung der EU. Ich habe den Begriff der Zeitenwende von Olaf Scholz vor allem als Weckruf an seine eigene Koalition verstanden. Ja, wir haben Aufgaben, aber es zeigt sich auch, dass wir an wichtigen Stellen gerade Recht bekommen.
Waren es nicht Sie, die seit vielen Jahren das Verteidigungsministerium geführt haben?
Ja, und es waren vor allem Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer, die erbittert um den Wehretat, die bessere Ausstattung der Bundeswehr und das Zwei-Prozent-Ziel der NATO gerungen haben. Es war ein SPD-Finanzminister, der heutige Bundeskanzler, der sich quer gestellt hat. Dass wir uns schon immer mehr gewünscht haben, wissen viele. Nicht ganz so viele erinnern sich daran, dass die SPD bis hin zu ihrer Co-Vorsitzenden lange Zeit Plakate aufhängte nach dem Motto: Wir investieren in Bildung, die CDU in Panzer. Ich sag mal so: Gut, dass das selten geworden ist. Aber obwohl wir dem 100-Milliarden-Paket zugestimmt haben, hält die SPD nicht Wort. Dass nicht binnen weniger Monate schon große Geräte angeschafft werden können, war uns klar; dass nach fast einem Jahr noch nicht eine Ausschreibung dafür raus ist, ahnten wir nicht – und halten es für einen Skandal.
„Wir haben es uns zu lange zu bequem gemacht.“
Bei der Energiepolitik und dem Klimaschutz war die CDU – gelinde gesagt – nicht ganz so vorne dran.
Das würde ich so nicht unterschreiben. Wahr ist aber, dass wir es uns zu lange zu bequem gemacht haben. Unser Wohlstand basierte lange darauf, dass wir mit günstiger Energie Rohstoffe veredeln und in die Welt verkaufen. Das ist in dieser Einfachheit vorbei. Die Lieferketten brechen, und die günstige Energie gibt es auch nicht mehr. Also müssen wir es schaffen, Klimaschutz Made in Germany zu einem Exportschlager zu machen.
Sie klingen wie Jürgen Trittin vor zehn Jahren.
Ehrlicherweise zitiere ich an dieser Stelle Friedrich Merz. Wir müssen unsere Kompetenz, die wir in der Wirtschaftspolitik zweifelsohne haben, mit dem Klimaschutz zusammenbringen. Zu viele Menschen, denen der Klimaschutz wie mir ein wichtiges Anliegen ist, haben aber den Eindruck, dass das Thema in der CDU nicht zu Hause ist. Obwohl wir die Partei waren, die den ersten Umweltminister stellte. Und obwohl wir die Partei waren, die der Bewahrung der Schöpfung schon aus unserem Menschenbild heraus viel Aufmerksamkeit widmet. Wir haben noch nicht die Anmutung, dass wir uns darum ernsthaft kümmern.
Und Sie haben mit dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium einen mächtigen Konkurrenten, der das Thema derzeit beherrscht.
Ich sehe Robert Habeck und das Wirtschaftsministerium eher als Gefahr für die deutsche Wirtschaft. Er hat in seinem Haus Sachverstand gegen Freunde aus der Ökobewegung ausgetauscht. Das ist in einer solchen Krisensituation hochgefährlich.
Woran machen sie das fest?
In der gesamten Energiekrise ist er doch von einem Fettnapf in den nächsten gestolpert und hat damit für viel Verunsicherung gesorgt. Beispiel Gasumlage: Das war ein einziger großer kapitaler Fehler. Und das mit Folgen. Die Wirtschaft war verunsichert, außerdem hat das die Spekulationen wahrscheinlich angeheizt, statt sie zu bremsen. Robert Habeck hat sie viel zu spät zurückgenommen, viel zu lange gewartet, obwohl er selbst aus meiner Sicht viel früher erkannt hat, dass das der falsche Weg ist. Das halte ich im vergangenen Jahr für die fatalste Entscheidung. Und es ist nicht alles. Beim Hickhack um die Winterhilfen hatte man das Gefühl, dass Deutschland noch nie Hilfsprogramme aufgelegt hat. So kurz nach Corona hätte ich schon mehr Erinnerungsvermögen erwartet. Auch die Laufzeitverlängerung kam zu spät und greift zu kurz. Es gibt keinen Grund, im April 2023 die sicheren Kernkraftwerke abzuschalten.
„Bei der Kernkraft wurde eine ideologische Entscheidung getroffen.“
Außer dass Atomkraft eine sehr gefährliche Energiequelle ist.
Das sehe ich anders. Kernkraft ist vor allem klimaneutral und deshalb von der EU-Kommission auch als grüne Energie eingestuft worden. Aber es gab einen gesellschaftlichen Konsens zum Ausstieg, hinter den wollen auch wir nicht zurück. Aber wenn ich mir anschaue, dass ganz Deutschland hofft, dass die dortigen AKWs wieder ans Netz gehen, damit wir nicht so viel Kohle-Strom nach Frankreich schicken müssen, dann liegt doch da was total krumm. Wie gesagt: Wir setzen auf viel unsicherere AKWs in Frankreich und schalten unsere viel Sichereren ab. Ich kann da keinen Sinn erkennen.
Zeigt nicht gerade das Beispiel Frankreich, dass Atomkraft keine Antwort ist?
Ich sehe es genau andersrum. Übrigens wie Greta Thunberg. Dass wir jetzt lieber wieder Kohle verstromen, statt auf die CO2-neutrale Atomkraft zu setzen, leuchtet mir überhaupt nicht ein. Es bedeutet, dass man drei sehr viel bessere und sicherere Atomkraftwerke in Deutschland stoppt, bei denen man mit der Bestellung von ein paar Brennstäben die Sache für die nächsten beiden Winter klären könnte. Winter, die für uns sehr relevant werden. Das will mir nicht in den Kopf. Ich halte es für unverantwortlich. Es ist absurd, dass wir mit Polen die großen Kohlekraftwerke betreiben, weil in der Kernkraft eine ideologische Entscheidung getroffen wurde.
Das ist das Oppositions-Gen: Alles, was die Regierung macht, ist Mist!
Nein. Das ist auch nicht unser Ansatz. Wir nehmen unsere Verantwortung ernst und sind konstruktiv. Ein Beispiel: Wie wir in kürzester Zeit LNG-Terminals gebaut haben, das finde ich als Staatsbürger wie als CDU-Generalsekretär beeindruckend. Und es wäre schön, wenn wir das auch beim Netzausbau und in wichtigen Verkehrsprojekten so hinbekommen würden. Mir zeigt das: Man kann vieles, wenn man will.
„Ich halte Frau Giffey für eine Verbalakrobatin.“
Zur Silvesternacht. Die Angriffe auf Polizei und Rettungskräfte sind zum großen Thema geworden. Und die Regierende Bürgermeisterin von der SPD bietet plötzlich wenig Angriffsfläche, weil sie nicht anders klingt als ein harter CDU-Minister. Was würde die CDU in dieser Situation anders machen?
Von Frau Giffey kennen wir das über Jahre. Sie führt Wahlkämpfe mit CDU-Themen, um danach linke Politik zu machen. Sie sagt: Keine Enteignung – mit mir gibt es das nicht. Und am Ende setzt sie das Enteignungsvolksbegehren in einer linken Regierung eben doch um. Ich habe deshalb auch jetzt nichts anderes erwartet. Sie ruft wieder nach dem starken Staat, nachdem sie jahrelang die Polizei geschwächt hat. Von 30.000 Berliner Polizisten haben 250 eine Bodycam. Das ist in von der CDU regierten Ländern anders. Für eine schnelle Aufklärung aber sind solche Kameras entscheidend. Ich halte Frau Giffey für eine Verbalakrobatin, die nach Vorfällen scheinbar das Richtige sagt, aber in der Realität immer vom Hochseil abstürzt und die Dinge nicht macht.
Der Spitzenkandidat der CDU hat vorgeschlagen, die Vornamen von Verdächtigen zu prüfen und öffentlich zu machen. War das richtig?
Nach solchen Ereignissen ist es wichtig, dass man transparent kommuniziert. Und ein wichtiger Teil von sowohl Aufklärungs- als auch Präventionsarbeit ist es nun einmal, das Tätermilieu möglichst gut zu kennen. Man hatte bei der Berliner Innensenatorin, aber auch bei der noch Regierenden Bürgermeisterin das Gefühl, dass eben diese Transparenz und damit der Aufklärungswille fehlen. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, dass man die Ausschreitungen bestmöglich aufklärt. Dazu gehört auch, auf ein mögliches Scheitern von Integration hinzuweisen. Dabei kann die Frage nach den Vornamen eine Rolle spielen. Sie darf nur nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ursachen tiefer liegen und dass solche Gewaltexzesse, wie wir sie erlebt haben, auch in anderen deutschen Städten da waren. Dass es Rechtsradikale, Reichsbürger, Corona-Leugner und andere gab, die auch sehr gefährlich aufgetreten sind.
Ist die Migrationspolitik schuld?
Das ist viel zu einfach. Wir sollten nicht versuchen, mono-kausale Erklärungen zu bieten. Die Herausforderungen sind komplexer. Aber ja, ein Teil der gewaltbereiten Männer – die meisten waren Männer –, die sich außerhalb der Gesellschaft stellen, kommt aus dem migrantischen Milieu. Davor dürfen wir nicht die Augen verschließen und der Staat muss hier seine Stärke zeigen. Mit schnellen Verfahren. Mit harten Strafen. Aber ein starker Staat muss auch stark in der Prävention sein. Und das hat etwas mit Bildungspolitik zu tun. Das hat etwas mit Arbeitsmarktpolitik zu tun. Warum ist es in Süddeutschland anders? Warum gelingt in Mannheim, in Heilbronn, in anderen Städten, in denen auch ein hoher Anteil an Migration ist, Integration einfach noch sehr viel besser? Gute Arbeit ist der Schlüssel.