Analyse
Erscheinungsdatum: 17. Juli 2023

Thüringens SPD-Chef Georg Maier: „Die verführerische Parole der AfD heißt: Stopp“

113. PLENARSITZUNG IM THÜRINGER LANDTAG 05/07/2023 - Erfurt: Der Thüringer Minister für Inneres und Kommunales, Georg Maier SPD, in der 113. Plenarsitzung des Thüringer Landtags am 5. Juli 2023. / _________________ *** 113 PLENARY SESSION IN THE THURINGIAN LANDTAG 05 07 2023 Erfurt The Thuringian Minister of the Interior and Local Affairs, Georg Maier SPD , in the 113 plenary session of the Thuringian State Parliament on 5 July 2023.
Die Umfragewerte der AfD und eine mögliche Partei-Neugründung durch Sahra Wagenknecht rütteln die politische Landschaft auf. Thüringens SPD-Chef und Innenminister Georg Maier beschreibt die Sorgen der Menschen – und die Bedeutung von Kommunikation, um bei den anstehenden Veränderungen möglichst viele mitzunehmen.

Im nächsten Jahr wird in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt. In allen drei Ländern ist die AfD laut aktueller Umfragen mit Abstand stärkste Kraft. Droht im Osten erstmals eine Regierungsbeteiligung der AfD oder gar der erste AfD-Ministerpräsident?

So weit würde ich noch nicht gehen. Natürlich sind die Umfragen derzeit für die AfD gut, nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch im Westen. Aber momentan sind die Umstände für die AfD sehr günstig. Im Grunde müssen die gar nichts machen, die Umfragewerte fallen ihr gegenwärtig praktisch in den Schoß. Die AfD hat keinerlei konkrete Lösungen zu bieten. Sondern sie setzt auf eine simple und für viele verführerische Parole für alles. Und die heißt: Stopp.

In Thüringen sieht die Lage besonders finster aus. Die AfD, die unter ihrem Vorsitzenden Björn Höcke vom Verfassungsschutz als eindeutig rechtsextrem eingestuft wird, kommt dort gegenwärtig auf 34 Prozent. Warum wollen so viele Leute eine rechtsextreme Partei wählen, obwohl es dem Land wirtschaftlich keineswegs schlecht geht?

Da muss man ein bisschen genauer hinschauen. Im Westen gibt es in meinen Augen oft eine verschobene Wahrnehmung. So nach dem Motto: Wenn man durch die neuen Bundesländer fährt, sieht alles wie geleckt aus, und die Arbeitslosenzahlen sind ja auch niedrig, oft ist die Quote sogar geringer als in manchen westlichen Bundesländern. Aber die Wirklichkeit im Osten sieht anders aus.

Wie sieht sie aus?

Ich greife mal den Landkreis Sonneberg heraus, wo gerade ein AfD-Mann zum Landrat gewählt worden ist. Dort bekommen 44 Prozent der berufstätigen Menschen nur den Mindestlohn. Das heißt, die geringe Arbeitslosigkeit wurde, und zwar seit Jahrzehnten, damit erkauft, dass man ein Niedriglohnstandort war. Und das hat natürlich Folgen. Denn wenn ich wenig verdiene, habe ich mit den Veränderungsprozessen, die gerade laufen, meine Probleme.

Die Lage ist aber nicht überall so. Ministerpräsident Bodo Ramelow hat gerade erst wieder voller Stolz von 60 Weltmarktführern gesprochen, die es in Thüringen gibt. Trotzdem ist die AfD auch in diesen Regionen stark.

In meinen Augen gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen der persönlichen wirtschaftlichen Situation und einer Nähe zur AfD. Es gibt viele AfD-Wähler oder Sympathisanten, denen geht es wirtschaftlich hervorragend. Was im Westen aber oft übersehen wird: Bei den Menschen im Osten steckt die Umbruchserfahrung der Wendezeit drin. Und gerade diejenigen, die sich seither etwas aufgebaut haben, sind extrem zurückhaltend, wenn von ihnen jetzt wieder verlangt wird, sich auf Veränderungsprozesse einzulassen. Die sagen: Wird jetzt wieder alles in Frage gestellt? Und die existenziellen Krisen der vergangenen Jahre, erst die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise haben bei vielen die Erfahrungen und Ängste aus der Wendezeit wachgerufen. Die Menschen wollen das nicht nochmal erleben, sondern wünschen sich den Zustand vor diesen ganzen Krisen zurück.

Die Angst vor einem erneuten Umbruch spielt der AfD gerade im Osten sicherlich in die Hände. Hat auch die Politik in Berlin Steilvorlagen für die AfD geliefert?

Die große Politik regiert seit geraumer Zeit tief ins private Leben hinein. Das ließ sich aber auch nicht vermeiden, etwa bei der Pandemie. Da mussten wir Einschränkungen hinnehmen, die wir so nicht kannten. Und kaum war diese Krise vorbei, kam schon die nächste. Und die Leute fragten sich: Muss ich den Winter jetzt im Kalten sitzen?

Aber das haben sie sich im Westen ganz genauso gefragt.

Ja, aber es gibt nach wie vor große Unterschiede zwischen West und Ost. Das Pro-Kopf-Vermögen ist zum Beispiel im Osten nur etwa halb so hoch wie im Westen. Und wenn ich vor der Frage stehe, ob ich mir plötzlich eine neue Heizung einbauen muss, löst das Ängste aus. Natürlich gibt es diese Ängste auch im Westen, aber im Osten spielt das nochmal eine viel größere Rolle.

Warum?

Weil hier zwei Dinge zusammenkommen. Die Erfahrung, die im Westen nicht da ist: Dass schon einmal alles in Frage gestellt war. Und dazu kommen die weit geringeren finanziellen Möglichkeiten, weil hier einfach weniger verdient wird. Die Leute sind müde. Sie wollen nichts hören von weiteren Veränderungen, sondern am liebsten ein Stopp-Signal setzen und sagen: Jetzt lasst uns doch mal durchatmen.

Was haben die demokratischen Parteien falsch gemacht? Und vor allem: Was müssen sie ändern, damit die Zustimmung zur AfD wieder sinkt?

Meine These ist: Wenn es zu Veränderungsprozessen kommt, die auch ich für notwendig halte, dann muss man das so kommunizieren, dass alle sofort merken: Da kann ich mitkommen. Wir müssen Veränderungen aus einer sozialen Perspektive heraus umsetzen, die klarmacht: Jeder wird mitkommen. Es gab in den zurückliegenden Monaten Phasen, in denen das nicht klar war.

Wird Politik gemacht, ohne vorher zu bedenken, welche Ängste das bei vielen auslöst?

Richtig. Und die AfD ist einfach nur ein Verstärker dieser Ängste. Die AfD braucht ja die Krise, das ist ihr Lebenselixier. Sie verstärkt mit ihren Parolen die Krise und das macht sie durchaus erfolgreich. Vor allem über die sozialen Medien. Die Politik muss hier einfach sensibler werden. Und was den Osten anlangt, darf die Perspektive nicht immer nur von oben herab sein. So nach dem Motto: Ihr habt doch in den vergangenen Jahrzehnten so viel Unterstützung bekommen. Viele Menschen im Osten haben das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein, und das ist eben nicht nur ein Gefühl, sondern es ist de facto so. Es gibt in vielen Fragen keine Gerechtigkeit in Deutschland. Demokratie braucht aber Gerechtigkeit als Grundvoraussetzung. Meiner Meinung nach braucht es eine Gerechtigkeitsoffensive für ganz Deutschland.

Der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz von der CDU, ist für ein Verbot der AfD. Wie sehen Sie das?

Eine Verbotsdiskussion wäre Wasser auf die Mühlen der AfD. Ich würde deshalb sehr davor warnen. Dass die Demokratie wehrhaft sein muss, und dass dazu als Ultima Ratio auch ein Parteienverbot gehören kann, ziehe ich nicht in Zweifel. Aber ich glaube, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Wie könnte eine neue Wagenknecht-Partei die politischen Kräfteverhältnisse im Osten verändern?

Es gibt dazu eine aktuelle Umfrage. Und die besagt, wenn es in Thüringen eine Wagenknecht-Partei gäbe, würde sie aus dem Stand stärkste Partei werden, mit 25 Prozent. Hauptleidtragender wäre die AfD. Gut die Hälfte dieser 25 Prozent würden von der AfD kommen. Auch die Linkspartei würde laut dieser Umfrage ordentlich verlieren, ebenso die CDU.

Müsste man sich dann nicht eine Wagenknecht-Partei wünschen? Nach dem Motto: lieber Sahra Wagenknecht als Björn Höcke?

Fragen Sie mich so etwas bitte nicht. Das möchte ich ungern beantworten. Sie merken mir sicher an; dass ich gegen Populismus jeglicher Ausprägung eine Aversion habe.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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