An diesem Sonntag droht eine Zäsur in Deutschland. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik könnte laut Umfragen eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Landtag werden. In Thüringen liegt die AfD bei der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF mit 29 Prozent vor der CDU mit 23 Prozent. Auf Platz drei rangiert das BSW mit 18 Prozent. Steffen Mau, Soziologe und Bestseller-Autor, sieht die klassische Parteiendemokratie im Osten in ihrer Existenz bedroht. Seine Analyse über Björn Höcke: „Er streichelt die Seelen der Ostdeutschen, indem er suggeriert, sie seien die besseren Deutschen.“ Es gehe um eine „Identitätspolitik von rechts“, die Höcke und die AfD offensichtlich erfolgreich umgesetzt hätten. Mau sieht die Ursachen für die Unterstützung für extreme Parteien in der mentalen Logik der Wiedervereinigung. „Die Wiedervereinigung war ein Eintritt in die BRD auf der Basis eines national definierten Gemeinschaftszusammenhangs.“ Den Ostdeutschen habe man damals zu verstehen gegeben, dass ihr Status und ihr Stand im wiedervereinigten Deutschland nur im Deutschsein begründet ist, nicht aufgrund eines Verfassungspatriotismus. Mit anderen Worten: Die Ostdeutschen hätten nie gelernt, die institutionelle Liebe zur Demokratie zu entwickeln. Diese Unterschiede zwischen Ost und West würden bleiben, sagt Mau. Es gebe Traumata und „starke biografische Narben“ bei vielen Ostdeutschen, die zu einem kulturellen Unmut gegenüber der politischen Elite in Berlin geführt hätten. Das (partei-)demokratische Bewusstsein müsse sich nun vor allem in der Zivilgesellschaft entwickeln, neue Formen der Beteiligung seien notwendig, so Mau. Die anderen Parteien, das scheint sicher, werden so ziemlich alles versuchen, um ein Bündnis gegen die AfD zu bilden. Einfach aber wird das weder in Thüringen noch in Sachsen. In Thüringen, wo die Linken mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellen, liegt die bisherige Regierungspartei bei 13 Prozent, die SPD bei sechs und die Grünen liegen bei vier Prozent. Politisch und rechnerisch wäre dann nur ein Bündnis zwischen CDU, SPD und BSW möglich, um die AfD in Regierungsverantwortung zu verhindern. Eine Koalition mit den Linken hat die CDU ausgeschlossen, alle Parteien haben ein Bündnis mit der AfD ausgeschlossen.
In Sachsen könnte im Schlussspurt CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer vorne liegen. In der erwähnten ZDF-Umfrage liegt die CDU bei 33 Prozent knapp vor der AfD mit 30 Prozent. Die Linke wäre laut der Umfrage mit 4 Prozent nicht im Landtag vertreten – die Grünen und die SPD kämen jeweils auf 6 Prozent. Das BSW steht in der Umfrage bei 12 Prozent. Eine Fortsetzung des Bündnisses aus CDU, Grünen und SPD wäre demnach möglich, auch eine Regierung aus CDU und BSW. Aber wie stabil das sein wird, kann niemand sagen. Das ganze Gespräch mit Mau, dem Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität, hören Sie im Podcast von Table.Briefings hier.