Analyse
Erscheinungsdatum: 09. November 2023

Strompreis-Kompromiss: Die energieintensive Industrie wird kaum entlastet

Nachtaufnahme von der BASF in Ludwigshafen mit dem Rhein im Vordergrund *** Night shot of BASF in Ludwigshafen with the Rhine in the foreground Copyright: xx
Überraschend haben sich Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck über Strompreissenkungen für die Wirtschaft geeinigt. Von Habecks Plan, speziell die energieintensive Industrie zu entlasten, ist dabei allerdings nicht viel übrig geblieben.

Der monatelange Streit um Strompreisentlastungen für die Industrie ist beendet: Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner haben am Donnerstag mit einer gemeinsamen Presseerklärung eine Einigung über ein „Strompreispaket“ verkündet. Darin geben sich alle sehr zufrieden: Als eine „sehr gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ wertet Scholz den Kompromiss. Lindner sieht sie als weiteren Baustein, „die deutsche Wirtschaft auf einen nachhaltigen Erfolgspfad zu führen“. Und Habeck lobt, dass es für die Unternehmen jetzt „einen verlässlichen Rahmen“ gebe.

Doch wirklich zufrieden dürfte zumindest Habeck nicht sein. Denn im Mittelpunkt der Einigung steht eine starke Senkung der Stromsteuer für das gesamte produzierende Gewerbe. Dazu gehören rund 700.000 deutsche Unternehmen – von der Bäckerei bis zum Stahlkonzern. Sie alle sollen vom nächsten Jahr an nur noch die von der EU vorgegebene Mindest-Stromsteuer von 0,05 Cent pro Kilowattstunde bezahlen. Für den Großteil der Unternehmen bedeutet das eine Senkung um 1,5 Cent pro Kilowattstunde. Doch speziell für die besonders energieintensiven Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, ändert sich dadurch im Vergleich zum Status Quo nichts. Denn sie bekommen die Stromsteuer auch bisher schon weitgehend erstattet.

Diese Stromsteuererstattung, die über den sogenannten Spitzenausgleich erfolgt, hätte zwar nach den bisherigen Plänen der Koalition zum Jahresende auslaufen sollen. Verglichen damit verbessert sich die Situation der Unternehmen also; allerdings handelt es sich nicht, wie die Presseerklärung nahelegt, um eine Senkung der Kosten, sondern nur um den Verzicht auf eine Erhöhung.

Gleiches gilt für die weiteren Punkte, die im Papier als große Entlastung dargestellt werden: die sogenannte Strompreiskompensation und das Super-Cap, mit denen besonders energieintensiven Unternehmen Kosten erstattet werden, die beim Strompreis durch den CO₂-Emissionshandel entstehen. Auch diese Vergünstigungen, die den Strompreis für die betroffenen Unternehmen deutlich senken, gab es bisher schon. Neu ist neben der Zusage, sie mindestens in den nächsten fünf Jahren beizubehalten, der Wegfall eines Selbstbehalts beziehungsweise Sockelbetrags, was aber gerade bei großen Verbrauchern nur geringe Auswirkungen auf die Kosten pro Kilowattstunde haben dürfte.

Die Gesamtentlastung bezifferte Scholz allein im Jahr 2024 auf „bis zu 12 Milliarden Euro“. Zusätzlich im Haushalt werden sich davon real aber nur 2,75 Milliarden Euro für die Stromsteuersenkung finden. Der Rest der Summe ergibt sich zum einen aus den Kosten für Strompreiskompensation und Super-Cap, die nur geringfügig steigen und wie bisher aus dem Klima- und Transformationsfonds bezahlt werden. Zum anderen ist darin ein bereits zuvor beschlossener Zuschuss zu den Netzentgelten in Höhe von 5,5 Milliarden Euro enthalten, der aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds finanziert wird.

Die Einigung entspricht in wesentlichen Punkten dem Vorschlag von Christian Lindner, der schon früh für eine Senkung der Stromsteuer für alle Unternehmen plädiert hatte. Aus dem Wirtschaftsministerium ist denn auch zu hören, Habeck hätte sich durchaus mehr erhofft. Noch letzte Woche beim „Tag der Industrie“ hatte er erklärt, dass eine Stromsteuersenkung keine Alternative zu dem von ihm vorgeschlagen Brückenstrompreis sei – weil die besonders energie- und wettbewerbsintensive Industrie, an die sich dieser richte, auch bisher schon weitgehend von der Stromsteuer befreit sei.

Ein Konzept für einen solchen Brückenstrompreis hatte das BWMK bereits im Mai vorgestellt. Damit hätte der Strompreis für die berechtigten Unternehmen vom Börsenstrompreis entkoppelt werden sollen, indem pro Kilowattstunde die Differenz zwischen sechs Cent und dem durchschnittlichen Börsenpreis erstattet worden wäre. Damit sollte Planungssicherheit gegeben, Nachteile gegenüber ausländischen Produktionsstandorten mit niedrigeren Strompreisen ausgeglichen – und dadurch Unternehmensverlagerungen verhindert werden.

Um davon profitieren zu können, hätten Unternehmen nicht nur energieintensiv sein und im internationalen Wettbewerb stehen müssen; als zusätzliche Bedingungen waren im Papier Tariftreue, eine Standortgarantie und ein Transformationsplan hin zur Klimaneutralität vorgesehen. Solche Vorgaben gibt es im nun erzielten Kompromiss nicht mehr. Auch ein Energiemanagementsystem, das bisher Voraussetzung für die Stromsteuererstattung war, ist künftig nicht mehr notwendig.

Während die energieintensive Industrie kaum von der Einigung profitiert, dürfte der Strompreis für viele andere kleine und mittelständische Unternehmen deutlich sinken. Entsprechend positiv fielen die ersten Stellungnahmen aus: BDI-Geschäftsführerin Tanja Gönner lobte, dass es „Entlastungen in der Breite der Industrie“ gebe, Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf kommentierte: „Gut gemacht, Bundesregierung!“

Enttäuscht zeigte sich dagegen der Verband der Chemischen Industrie. Die beschlossenen Maßnahmen brächten „keine zusätzlichen Entlastungen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen verbessern“, kritisierte Geschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Auch Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) mochte die Begeisterung über die Einigung nicht teilen. Zwar seien Entlastungen für kleinere und mittlere Betriebe sinnvoll, erklärte er, kritisierte aber zugleich, Entlastungen für einen Großteil der energieintensiven Unternehmen seien „noch nicht erkennbar“.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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