Analyse
Erscheinungsdatum: 14. Juli 2024

Steffi Lemke – die etwas andere Ministerin

Sie macht Politik nicht um der Inszenierung willen, sie sucht nach konsensualen Lösungen, auch jenseits der Schlagzeilen. Umweltministerin Steffi Lemke hat viele Altlasten geerbt – auch den fahrlässig abgekippten Strahlenmüll in der Asse.

Nein, ein Kommentar zur prekären Lage der Ampelkoalition sollte dieser Besuch nicht sein. Aber als die grüne Umweltministerin Steffi Lemke am Donnerstag das maritime „Havariekommando“ in Cuxhaven auf ihrer Sommerreise besucht, wird deutlich, dass Lemke sich dort wohlfühlt. Im Lagezentrum des „maritimen Sicherheitszentrums“ wird an die Lösung von Problemen so herangegangen, wie es sich auch Lemke idealerweise vorstellt: Sachbezogen, nüchtern, ressortübergreifend, solidarisch.

Alles, was der Ampelkoalition und dem Berliner Politikbetrieb so häufig fehlt – in der Sicherheitszentrale an der Elbmündung, 500 Kilometer von Berlin entfernt, ist es Alltag. Um „zu verhindern, dass aus einem Unfall eine Katastrophe wird“, wie es Robby Renner, Leiter des „Havariekommandos“ ausdrückt. Die Leitstelle für alle Notlagen auf der deutschen Nord- und Ostsee ist ein Gemeinschaftsprojekt von Bund und den fünf Küstenländern Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.

Sie koordiniert und steuert seit 2003 bei Schiffsunglücken, Öl-Verseuchungen und anderen akuten Notlagen die Arbeit der Länder und Landkreise – und bringt auch noch sieben Bundesbehörden wie die Polizeien, die Verwaltungen für Wasser- und Schifffahrt, Fischerei, Marine und Zoll unter einen Hut. Im Schnitt fünfmal im Jahr gibt es Fälle, „wo es richtig knallt, wo Menschen und die Umwelt in Gefahr sind“, wie Renner sagt – und bei denen das Kommando schnell reagieren muss und dafür auch Durchgriffsrechte hat.

Lemke ist von Berlin, wo es beim Haushalt beinahe „richtig geknallt“ hätte, nach Cuxhaven gereist. Beeindruckt hatte sie vor einem Jahr beim Unglück der brennenden Autofähre „Fremantle Highway“, wie kompetent und effektiv das Havariekommando eine Umweltkatastrophe im Wattenmeer verhinderte. Sie lobt die Arbeit der Leitstelle, die dem Bundesverkehrsministerium untersteht, als „hervorragendes Beispiel, wie der Föderalismus funktioniert“. Und sie schlägt eine Kooperation des Kommandos mit dem Bundesamt für Strahlenschutz für eine „radiologischen Vorsorge“ vor. Seit dem Ukrainekrieg seien die Vorsorgekapazitäten des Bundes allgemein verstärkt worden, dazu sollten auch Notfallpläne für Schiffe mit Nuklearfracht gehören.

Sachorientiert und übergreifend zu handeln, das verlangt Lemke auch von ihrer Koalition und der Berliner Politik. Sie verweigert sich häufig den schnellen Kontroversen, die auf dem Image der Ampelregierung lasten. Das Umweltministerium kommt daher im täglichen Armdrücken der Ressorts oft eher defensiv daher. Lemke ist nicht die Frau für laute Töne und knallige Sprüche. Dazu kommt: Seit das Umweltministerium nicht mehr für Klimaschutz zuständig ist, ist die öffentliche Aufmerksamkeit für das Ressort mit einem der kleinsten Budgets kräftig geschrumpft.

Die Ministerin sucht einvernehmliche Lösungen, auch wenn andere Kollegen und Kolleginnen sie manchmal nicht wollen. Sie baut auf eine lange Tradition von Konsens in der deutschen Umweltpolitik, etwa beim Ausbau der Erneuerbaren, den Klimazielen, dem Atomausstieg. Doch dieser Konsens steht auf dem Prüfstand. So plädiert sie etwa gemeinsam mit den Bundesländern bei der drängenden Frage, wer die Anpassung an den Klimawandel bezahlen soll, für eine „Gemeinschaftsaufgabe Klimaanpassung“. Nötig sind dafür Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Die Fachpolitiker der Union, die dafür nötig wäre, finden die Idee gut. Die Pragmatiker jedoch geben dem Vorschlag keine Chance – nicht ein Jahr vor der Bundestagswahl.

Die Umweltministerin stammt aus Dessau und verfolgt den Aufstieg der AfD und die Verbreitung des rechtsradikalen Populismus seit Jahren aus der Nahdistanz. Wenn man mit ihr spricht, sucht sie wie viele andere ein Mittel gegen die Spaltung des Landes in Ost und West, arm und reich, Stadt und Land. Sie wirft der CDU/CSU im Bund vor, in der Umweltpolitik vor allem zu „skandalisieren“: „Ich vermisse von der Opposition Lösungsvorschläge für die Bewahrung der Schöpfung.“ Und sie zeigt sich irritiert über die „schiere Schadenfreude“, die sie bei CDU und CSU ausmachte, als Ende 2023 der Haushalt am Verfassungsgericht scheiterte. „Niemandem in meiner Heimat Sachsen-Anhalt kann ich solche Verhaltensweisen als sinnvolles Wechselspiel zwischen Regierung auf der einen und Opposition auf der anderen Seite erklären.“

Dazu kommt: Lemke sieht sich als Politikerin, die die Fehler der Vergangenheit aufräumen muss. Der erste Teil ihrer Sommerreise führte sie ins Atomlager Asse im niedersächsischen Remlingen. Wieder einmal gibt es dort Probleme mit Wassereinbrüchen im Salzstock, wo bis in die achtziger Jahre über 120.000 Fässer mit schwach und mittelradioaktivem Müll einfach in die Grube gekippt wurden. Lemke spricht von einer „Riesensauerei“, als sie die Schachtanlage 725 Meter unter der Erde besucht.

Und sie hört sich den Zorn der Anwohner an, die seit Jahrzehnten um Informationen kämpfen. Sie fürchten, der Müll könnte, wenn er ab 2033 an die Oberfläche geholt werde, in einem Zwischenlager vor ihrer Haustüre deponiert werden. Aber für die Rückholung der Gebinde – ein Prozess, der lange dauert, aufwändig ist und weltweit noch nie versucht wurde – braucht es nach deutschem Atomrecht ein Zwischenlager. Gleichzeitig drängt die Zeit, weil eine absaufende Asse II zur Folge hätte, dass der strahlende Müll unbehandelt im Berg bliebe.

Dem Vorwurf, sie sei gekommen, ohne die Sorgen der Anwohner anzuhören, begegnet Steffi Lemke mit einem vertraulichen Gespräch mit zwei Vertretern der Betroffenen. Es dauert deutlich länger als geplant, und zufrieden ist danach niemand. Aber bei einer der brennendsten Herausforderungen der deutschen Umweltpolitik stoßen auch lösungsorientierte und übergreifende Gespräche an ihre Grenzen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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