Analyse
Erscheinungsdatum: 20. August 2023

Standpunkt zum Prostitutionsgesetz: Gut gemeint ist nicht gut gemacht

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Die Journalistin und Buchautorin Barbara Schmid erklärt, warum die einst von Rot-Grün erstrittene Liberalisierung der Prostitution sich in ihr Gegenteil verkehrt hat. So brutal, kriminell und organisiert wie in Deutschland geht es nirgendwo zu in Europa. Schmid plädiert deshalb – analog zu Schweden oder Frankreich – für ein Verbot von käuflichem Sex.

Es waren die Nullerjahre in Berlin, die erste rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer war angetreten, den Muff von 16 Jahren Helmut Kohl auszukehren. Sie wollten moderner, feministischer, gerechter – kurz, einfach besser – regieren. Eines der erklärten grünen Ziele damals: Prostituierte sollten nicht länger diskriminiert und Prostitution ein Beruf wie jeder andere werden. Die Tätigkeit von Menschen in der Prostitution, damals wie heute in den allermeisten Fällen Frauen und Mädchen, sollte nicht länger den Charakter des Sittenwidrigen tragen. Sie sollten sich und ihren Körper, quasi als Unternehmerinnen, selbstbestimmt vermarkten können. Aus Prostituierten sollten Sexarbeiterinnen werden, mit Kranken- und Rentenversicherung.

Das war die Idee, und vermutlich war sie auch gut gemeint. Keine der Politikerinnen, es waren vor allem Frauen, die sich für die Reform eingesetzt hatten, wollte damals Menschenhandel, Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen fördern. Nur: Genau das ist aus der hehren Idee geworden. Deutschland ist zum Bordell Europas geworden. Geschätzt gibt es heute 250.000 bis 400.000 Prostituierte, genau kann das niemand beziffern. Angemeldet haben sich 23.000 Prostituierte, und nur 50 sollen sozialversichert sein. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass 90 Prozent der überwiegend weiblichen Prostituierten ihrer Arbeit nicht freiwillig nachgehen und reden von Zwangsprostitution.

„Den Menschen in der Prostitution geht es heute eindeutig schlechter als vor der Reform“, schreibt Helmut Sporer in einer Studie der Hans-Seidel-Stiftung. Als Kriminalbeamter hat Sporer in Augsburg 30 Jahre in der Rotlicht-Szene gearbeitet, kennt die Verhältnisse vor und nach der Reform. Vorher waren fast ausschließlich deutsche Frauen in der Prostitution tätig, heute sind kaum noch Deutsche im Geschäft. Dafür Mädchen und Frauen aus den Armutshäusern der Welt: Rumäninnen, Bulgarinnen, Roma aus Ungarn, Nigerianerinnen und Asiatinnen. Viele sind Analphabetinnen und sprechen kein oder kaum Deutsch.

Prostitution ist zum ertragreichen Geschäftsfeld für die organisierte Kriminalität und darin agierender Clans geworden. Die Hintermänner rekrutieren den Nachschub an „Frischfleisch “, gerne Kleidergröße 32 und 34, möglichst jung und belastbar. Sie sind die Logistiker im Geschäft mit den Frauenkörpern. Sie organisieren auch die Transporte von Bordell zu Bordell, damit die mit „neuen Frauen“ werben können. Viele Mädchen werden mit falschen Versprechungen angeworben, andere von ihren Familien regelrecht an die Zuhälter verkauft.

„Sie werden geboren, um später als Prostituierte arbeiten zu müssen“, beschreibt die frühere Polizeipräsidentin von Duisburg, Elke Bartels, das Schicksal von Mädchen aus bulgarischen und rumänischen Clanfamilien. Mit Prostitution lässt sich in Deutschland mehr Geld verdienen als mit Drogen und Waffen – und dazu ohne Risiko: Ein Kilo Kokain, eine Kalaschnikow lässt sich nur einmal verkaufen, die Frauen sind immer wieder einsetzbar, über Jahre. Und wird jemand mit Drogen oder einer Waffe ertappt, hat er ein Problem. Die Frauen machen keine Probleme: Sie sagen fast nie gegen ihre Peiniger aus.

Die Missstände sind seit Jahren bekannt, nur wollte sie so richtig niemand anpacken. 2017 versuchte der Bundestag eine Reform der Reform und verabschiedete das Prostituiertenschutzgesetz. Mehr Schutz für die Sexarbeiterinnen, an deren Stigma und Leben sich bis dahin nicht wirklich etwas geändert hatte. Seither gilt eine Kondompflicht, an die sich kaum jemand hält, und die Prostituierten dürfen auch nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz schlafen und wohnen. Stattdessen landeten in der Coronazeit Tausende auf der Straße, nachdem ihre Bordelle geschlossen worden waren. Bis 2025 läuft eine Evaluierung des Bundes-Familienministeriums; dann soll entschieden werden, ob es wieder eine Reform gibt. Oder ob womöglich der Ausstieg aus der Prostitution kommt. Acht Länder haben ein Verbot bereits beschlossen, darunter Schweden, Israel und Frankreich. Sie bestrafen den Sexkauf, also die Freier. Auch in Spanien wird dieser Schritt erwogen.

Während es in Schweden und Frankreich vor allem die Linken waren, die zusammen mit den Gewerkschaften für ein Sexkaufverbot gekämpft haben, sind es in Deutschland eher die Konservativen, die sich damit beschäftigen.

Doch die Widerstände sind groß. Es geht einmal um ein gigantisches Geschäft, schätzungsweise 15 Milliarden Euro werden damit im Jahr umgesetzt. Also werden Ängste geschürt, etwa: Wohin sollen die Männer mit ihrem Trieb, wenn es keine Prostituierten mehr gibt? Von einer Zunahme von Vergewaltigungen wird gewarnt. Wissenschaftlich erwiesen ist das Gegenteil: Überall dort, wo die Prostitution legal ist, ist auch die Gewalt gegen Frauen größer. In Schweden, wo vor der Sexkauf vor mehr als 20 Jahren unter Strafe gestellt wurde, wurde seither keine Prostituierte mehr ermordet, in Deutschland waren es in der gleichen Zeit weit über 120.

Gewarnt wird auch vor dem Dunkelfeld, in das Prostituierte angeblich abgedrängt würden bei einem Sexkauf-Verbot. Sie wären dort der Gewalt ihrer Zuhälter und Freier ausgeliefert, unerreichbar für die Polizei. Fakt ist: Zum einen lebt ein Großteil der Prostituierten heute schon im Dunkelfel d, ohne Adresse, Krankenversicherung und andere Absicherungen. Sie sind heute schon der Gewalt ihrer Zuhälter und Freier ausgesetzt. Auch in Schweden gibt es bis heute Prostituierte. Allerdings weniger als halb so viele wie vor der Gesetzesänderung. Sie müssen für sich werben, informell oder übers Internet. Finden die Freier sie, finden wir sie auch, sagt die schwedische Polizei.

Und natürlich gibt es auch in Deutschland die Frauen, die weiter als Prostituierte tätig sein wollen und sich vor Einschränkungen fürchten. Es sind in der Regel deutsche Frauen, die als Domina oder im hochpreisigen Escort tätig sind. Allerdings ist der Anteil deutscher Anbieterinnen verschwindend gering. Zwischen 3000 Euro, die eine Edelprostituierte für eine Nacht verlangt und 15 Euro oder weniger, die eine Straßenprostituierte bekommt, liegen Welten. Die eine bietet sich mutmaßlich freiwillig an, die andere gezwungenermaßen.

Dominas, die ebenfalls zu den Besserverdienenden gehören, haben zudem keinen Körperkontakt mit ihren Kunden, denen sie auf deren Wunsch Schmerzen zufügen. Dominas werden also nicht inkontinent wegen zu häufigem Analverkehr, leiden nicht unter entzündeten Kiefergelenken wegen Überdehnung durch häufigen Oralverkehr, wie es Mediziner beschreiben. Sie sind auch nicht körperlichen Übergriffen ausgesetzt, von denen Sozialarbeiterinnen und Therapeuten berichten: Haareausreißen, Würgen, Anspucken und immer wieder Schläge.

Bislang stehen sich die Gegner und Befürworter eines Sexkaufverbots konfrontativ gegenüber. Seit ein paar Wochen ist ein Buch auf dem Markt, dass für Nachdenklichkeit und mehr Sachlichkeit in der Debatte sorgen kann: In „Sexkauf – eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution“ haben sich drei Wissenschaftler mit der nationalen und internationalen Gesetzgebung beschäftigt. Sie haben mit fast 1000 Fußnoten nicht nur alle relevanten Studien und Veröffentlichungen ausgewertet; Ärzte und Sicherheitsexperten kommen darin zu Wort. Eingearbeitet sind auch schwer zu ertragende Freier-Äußerungen aus einschlägigen Foren.

Die Sozialethikerin Elke Mack sowie die Juristen Ulrich Rommelfanger und Jakob Drobnik kommen zu dem Ergebnis, dass die Gesetze gegen unser Grundgesetz verstoßen. Artikel 1 besagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und der Staat müsse diese Würde schützen. Wer sich mit Prostitution in Deutschland eingehend beschäftigt, weiß, dass die Würde der Menschen, meist Frauen und Mädchen, hier aufs Übelste verletzt wird.

Barbara Schmid, Journalistin und Autorin, hat die Biografie einer Zwangsprostituierten („Schneewittchen und der böse König“) geschrieben und recherchiert seit Jahren zu dem Thema. Sie engagiert sich für das Bündnis Nordisches Modell und DIAKA, ein Sachverständigenrat, der sich für eine Gesellschaft frei von Menschenhandel einsetzt.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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