Analyse
Erscheinungsdatum: 19. September 2023

SPÖ-Chef Andreas Babler: „Die Menschen sind keine Bittsteller, sondern haben Rechte“

AUSTRIA - VIENNA - PARTY - SPOE - BABLER AUSTRIA VIENNA 20230910 Chairman of the Social Democratic Party of Austria SPÖ Andreas Babler during an event for World Children s Day in Vienna on September 10, 2023. /// ÖSTERREICH WIEN 20230910 Vorsitzender der Sozialdemokratischer Partei Österreich  SPÖ Andreas Babler während einer Veranstaltung zum Welttag des Kindes in Wien am 10. September 2023. *** AUSTRIA VIENNA PARTY SPOE BABLER AUSTRIA VIENNA 20230910 Chairman of the Social Democratic Party of Austria SPÖ Andreas Babler during an event for World Children s Day in Vienna on September 10, 2023 AUSTRIA VIENNA 20230910 Chairman of the Social Democratic Party of Austria SPÖ Andreas Babler during an event for World Children s Day in Vi PUBLICATIONxNOTxINxAUT
Er will die Welt von links aufrollen – und noch kann keiner sagen, ob er es schafft: der neue Chef der österreichischen Sozialdemokraten, Andreas Babler. Im Interview spricht er über eine Politik von unten, lobt die Geschlossenheit der SPD und beschreibt seinen Versuch, dem Trend nach Rechts neue soziale Ideen entgegenzusetzen.

Sie sind als linker Außenseiter gegen das SPÖ-Establishment Parteichef geworden. Wie haben sie das geschafft?

Ich habe meine Kandidatur auf ein Programm mit klaren Inhalten gestützt. Mein Politikansatz ist, Politik von unten zu denken, das heißt, von unseren Leuten aus zu denken und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Menschen sind keine Bittstellerinnen und Bittsteller, sondern haben Rechte.

Welche Rechte?

Ein Recht auf einen guten Arbeitsplatz mit fairem Lohn, ein Recht auf gute medizinische Versorgung und eine leistbare Wohnung. Dieser bedingungslose Einsatz für die Menschen ist, was Österreich braucht. Das merke ich auch auf meiner Tour durch alle Bezirke Österreichs. Die Stimmung bei den Veranstaltungen ist super, wir haben einen irrsinnigen Drive und spüren eine unglaubliche Aufbruchsstimmung.

Aber die Umfragen drücken das nicht so aus.

Wir haben das Comeback der Sozialdemokratie gestartet und erleben eine wahnsinnige Dynamik. Die Leute wollen nicht, dass Politik in Hinterzimmern gemacht wird. Sie wollen mitreden und mitbestimmen. Genau das will ich ermöglichen. Diese Begeisterung merkt man auch an den Mitgliederzahlen: Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben wir einen starken Mitgliederzuwachs. Die SPÖ hat mittlerweile über 150.000 Parteimitglieder. Ich bin überzeugt, dass sich dieser Aufschwung auch in den Umfragen und Wahlergebnissen niederschlagen wird.

Sie gelten als dezidiert links – was heißt das heutzutage?

Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der durch SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky moderne, fortschrittliche Politik gemacht wurde. Eine Politik, von der ganz viele im Land profitiert haben: Frauen wurden gesetzlich gleichgestellt, die Arbeitszeit verkürzt und Bildung für alle ermöglicht. Viele junge Leute in Österreich kennen eine solche Politik gar nicht mehr. Sie kennen nur Rechtspopulismus, Sozialabbau und eine Politik der Spaltung. Es ist Zeit, diese finstere Periode zu beenden und zur Gerechtigkeit zurückzukehren. Es braucht endlich wieder eine Politik, die in den radikalen Markt eingreift, die Preise senkt und Kinderarmut abschafft. Wenn Sie das links nennen, dann bin ich gerne links.

Sie sagen: eine Politik, die die Preise senkt. Was genau heißt das?

Die Untätigkeit der österreichischen Regierung im Kampf gegen die Teuerung ist der Grund dafür, dass Österreich die höchste Inflation in Westeuropa hat. Das ist mittlerweile unterlassene Hilfeleistung. Die SPÖ lässt niemanden im Stich und wird weiter für die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, das Aussetzen der Mieterhöhung und eine schlagkräftige Anti-Teuerungskommission zur Überwachung der Preise kämpfen.

In Deutschland regiert ein dezidiert nicht-linker Kanzler. Was unterscheidet Sie?

Olaf Scholz agiert in einer weltpolitisch äußerst schwierigen Zeit – Stichwort „Zeitenwende“ – mit viel Umsicht und Prinzipientreue. In Österreich stehen wir vor Nationalratswahlen. Wir starten in diese Wahlauseinandersetzung aus einer längeren Phase der Opposition. Mir geht es darum, eine Alternative zu einer rechts-konservativen Mehrheit aufzuzeigen, als SPÖ stärkste Kraft im Land zu werden und Österreich gerechter zu machen.

Sie wurden bekannt als Bürgermeister der Stadt Traiskirchen. Was qualifiziert Sie dazu, Bundeskanzler zu werden?

Ich bin seit meiner Jugend in unterschiedlichen Funktionen in der Politik aktiv. Als Bürgermeister kenne ich die Sorgen und Anliegen der Menschen. Während die österreichische Bundesregierung die Menschen mit der Teuerung im Stich lässt, haben wir in Traiskirchen Maßnahmen vom Mietpreisdeckel bis zum kostenfreien Schulessen beschlossen. In Traiskirchen zeigen wir, wie sozialdemokratische Politik ganz konkret die Lebensverhältnisse der Menschen verbessert. Das möchte ich auch auf Bundesebene umsetzen.

Österreichs Kommunisten werden in Bundesländern und Landeshauptstädten zurzeit immer stärker. Ist das für sie gut oder schlecht?

Ich beschäftige mich zuallererst damit, die eigene Partei nach vorn zu bringen. Meine Aufgabe und mein Anspruch ist es, die SPÖ zu einer modernen Mitmachpartei zu machen und stärkste Kraft im Land zu werden. Ich stehe für eine SPÖ, die voller Kraft und Stolz ist und sich vor nichts und niemandem fürchtet. Wir stellen selbstbewusst die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich in den Vordergrund, die gerechte Verteilung des Wohlstands und die Abschaffung der Kinderarmut.

Auch in Österreich ächzt die Wirtschaft, wegen der Belastung und wegen des Fachkräftemangels. Sie fordern weniger Arbeit bei gleichem Lohn. Wie wollen Sie das erreichen?

Die letzte Arbeitszeitverkürzung in Österreich ist über 50 Jahre her. Damals kamen auf eine offene Stelle 0,4 Arbeitslose – nur nannte man das Vollbeschäftigung und nicht „Fachkräftemangel“. Seither ist alles schneller geworden. Wir können einen Marathon nicht im Sprint-Tempo laufen. Man muss die Strecke verkürzen. Von der schrittweisen Arbeitszeitverkürzung profitieren alle – die Angestellten und die Betriebe. Sie bringt mehr Erholung und mehr Produktivität. Und sie macht Berufe wie die Pflege wieder attraktiver, wo die Angestellten einer enorm hohen Belastung ausgesetzt sind.

2024 ist Europawahl. Wie steht die europäische Sozialdemokratie da?

Die EU hat viele Krisen und Herausforderungen von Corona über den russischen Angriffskrieg bis zur Erderhitzung gleichzeitig zu bewältigen. Dabei ist durch den Einsatz der Sozialdemokratie einiges weitergegangen: Den Green Deal, den EU-Wiederaufbaufonds, die Regulierung von Internetgiganten oder beispielsweise den gemeinsamen Einkauf von Impfstoff gäbe es nicht ohne den Einsatz der Sozialdemokratie. Trotzdem gibt es noch sehr viel zu tun, um Europa gerechter zu machen. Die europäische Sozialdemokratie stellt sicher, dass wir auf aktuelle Herausforderungen gemeinsam reagieren und alle Menschen mitnehmen.

Zuletzt haben sozialdemokratische Parteien in mehreren Ländern ihre Regierungsbeteiligung verloren, woran lag das?

Die Gründe für das Ausscheiden aus Regierungen sind vielfältig und sind aus meiner Sicht natürlich im jeweiligen Land zu analysieren. Generell ist das Abschneiden der sozialdemokratischen Parteien aber besser als medial dargestellt – in Finnland hat die SDP 2023 dazugewonnen und in Spanien hat die PSOE das beste Ergebnis seit 2008 erreicht. Das Beispiel Spanien zeigt, dass dort, wo Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten regieren, etwas weitergeht. In Spanien hat die sozialdemokratisch-geführte Regierung die Teuerung aktiv bekämpft, eine Gaspreisbremse und Mietendeckel eingeführt und die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gestrichen. In anderen Teilen Europas – ganz besonders in Österreich – verfestigt sich die Inflation. Energie, Wohnen, Lebensmittel sind für ganz viele Menschen nicht mehr leistbar. Gleichzeitig steigt die Vermögenskonzentration bei wenigen Milliardären massiv an. Die Menschen merken, dass es nicht gerecht zugeht. Das hat dramatische Folgen: Immer mehr verlieren das Vertrauen in das politische System. Das ist ein Einfallstor für russische Propaganda, für rechte und autoritäre Parteien. Dem müssen wir entgegentreten, indem wir uns bedingungslos für die Rechte unserer Leute eintreten, die Preise senken, Wohnen leistbar machen und ein gutes Leben für alle ermöglichen.

In einem Video von 2020 haben sie gesagt, die EU sei ein „imperialistisches Projekt mit ein paar Sozialstandards“ und „schlimmer als die Nato“ – sehen Sie das immer noch so und wenn nein, was hat sich seitdem verändert?

Ich habe mich dazu schon mehrfach geäußert und klargestellt, dass diese Aussagen aus einer langen Diskussion stammen und überzogen formuliert waren. Die Europäische Union ist eine Errungenschaft und wichtiger Schalthebel zur Durchsetzung sozialdemokratischer Ideen. Klar ist, dass es hier noch viel Luft nach oben gibt: Die EU hat ihr Wohlfahrtversprechen nicht gehalten und auch bei der Durchsetzung der Finanztransaktionssteuer sind wir nicht weitergekommen. Die Sozialunion muss endlich umgesetzt werden. Mit der Mindestlohn-Richtlinie und den Initiativen zu Lieferkettengesetzen und Lohntransparenz geht es in die richtige Richtung.

In Österreich ging es zuletzt viel um die Beziehungen zu Russland und die seit 1955 verankerte Neutralität des Landes. Wo steht Österreich heute?

Österreich hat als neutrales Land und Sitz der Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung, aktive Außen- und Friedenspolitik zu betreiben. Dass in Österreich rechte politische Kräfte am Rockzipfel Putins hängen, der konservative Kanzler vergangenes Jahr zu Putin geflogen ist und um Gas gebettelt hat, und auch wirtschaftlich noch immer enge Verflechtungen mit Russland bestehen, schadet dem Ansehen unseres Landes enorm. Diese Beziehungen zum System Putin müssen gekappt werden. Gleichzeitig muss betont werden, dass Russland nicht nur Putin ist. Demokratische Oppositionsbewegungen werden von Putin beinhart unterdrückt. Man muss alles tun, um sie bei ihrem Einsatz für ein demokratisches Russland zu stärken.

Was würde ein Bundeskanzler Andreas Babler außenpolitisch anders machen?

Die Sozialdemokratie hat immer europäisch und international gehandelt. Das Gerede vom Bau von Mauern zur Abschottung wird es mit mir nicht geben, weil wir wissen, dass von Festungen in der Geschichte immer nur Ruinen übergeblieben sind. Ich werde viel mehr den Dialog mit unseren sozialdemokratischen Schwesterparteien und den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft stärken. Weil wir wissen, dass wir nur gemeinsam unsere Ziele Frieden, Freiheit und ein menschenwürdiges Leben für alle umsetzen können. Nur gemeinsam können wir die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärken, die globalen Finanzmärkte regulieren, Steuergerechtigkeit erreichen und die Erderhitzung bekämpfen.

Was kann Deutschland von Österreich lernen, was Österreich von Deutschland?

Es gibt sicher einiges, wo wir in Österreich im Vorteil sind. Das ist beim Pensionssystem genauso wie bei der viel breiteren Tarifabdeckung bei den Lohnverhandlungen. Auch im Wohnbau – angefangen vom berühmten Modell des sozialen Wohnbaus in Wien bis zu dem großen und wichtigen gemeinnützigen Sektor – haben wir über viele Jahrzehnte mit sozialdemokratischer Handschrift aufgebaute gute Strukturen. Deutschland hingegen hat unter Kanzler Scholz viel entschlossener gegen die Teuerung reagiert als die konservativ geführte Regierung in Österreich und beispielsweise Preisbremsen für Strom, Gas und Wärme eingeführt.

Wie blicken sie auf die Arbeit der SPD in der Bundesregierung? Mit wem in der Partei tauschen Sie sich worüber aus?

Die Zusammenarbeit in der Koalition ist ganz offensichtlich eine Herausforderung, wohingegen die SPD selbst sehr geeint agiert. Angesichts der großen inhaltlichen Breite der SPD ist das ein Kunststück, das den führenden Köpfen der SPD Lars Klingbeil, Saskia Esken, Olaf Scholz, Rolf Mützenich, Kevin Kühnert – die ich alle bereits getroffen habe – außerordentlich gut und solidarisch gelingt.

Warum klappt das bei der SPÖ (noch?) nicht?

Selbstverständlich klappt das. Das hat man auch beim letzten Parteivorstand gesehen, wo wir einstimmig unser Modell für gerechte Millionärssteuern beschlossen haben. Eine Millionärssteuer, die es in anderen Ländern selbstverständlich gibt, würde jährlich 5 Milliarden Euro bringen – Geld, das wir dringend für die Senkung der Steuern auf Arbeit und für das Gesundheitssystem benötigen. Dieser Kampf für Gerechtigkeit macht uns aus und schweißt uns zusammen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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