Analyse
Erscheinungsdatum: 28. August 2024

Solingen und die Folgen: Was von den Merz-Vorschlägen bleibt 

Friedrich Merz bekommt für seine Vorschläge für eine härtere Migrationspolitik Gegenwind aus den eigenen Reihen. Nach Informationen von Table.Briefings äußerten sich zwei Präsidiumsmitglieder in einer internen Sitzung kritisch. Auch aus völkerrechtlicher Sicht sind die Vorhaben problematisch.

Es sollte schnell gehen – „zeitnah“ würden die Koalitionspartner Vorschläge für ein strikteres Flüchtlingsmanagement vorlegen, hatte der Regierungssprecher am Mittwochmittag zugesagt. Ein bisschen haben sich die Koalitionspartner dann doch verhakt. Beim Aufenthaltsrecht seien sie sich zwar einig, so war zu hören, beim Waffenrecht gebe es noch Redebedarf. Aber auch das soll bis Donnerstag ausgeräumt sein.

Am Dienstag schien Olaf Scholz noch unter Druck. Tags darauf hatte er das Heft wieder in der Hand. Vielleicht war das taktische Interesse von Friedrich Merz mit seinem Auftritt in der Bundespressekonferenz („Es ist genug! Es reicht!“) doch zu durchschaubar: Sich nämlich selbst auf Kanzlerhöhe zu erheben und zugleich einen Keil in die ramponierte Koalition zu treiben. Der in die Enge getriebene Kanzler reagierte wendig. Noch am gleichen Abend signalisierte er Entgegenkommen: Es sei „eine gute Sache“, wenn die Opposition bereit sei, „in einer so wichtigen Frage mit der Regierung zusammen zu arbeiten“. Allerdings stellte er sofort klar: Bilaterale Gespräche, also das, was sich Merz vorgestellt hatte, werde es nicht geben. Auseinanderdividieren lassen wollte Scholz seine Koalition nicht.

Und auch sonst lenkte er das Merz-Ansinnen geschmeidig in eine neue Richtung. Kurzerhand bat er neben relevanten Regierungsvertretern Abgesandte der hessischen und niedersächsischen Landesregierungen, also die Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, hinzu. Was zwar in der Sache gerechtfertigt ist, aber eben nicht Merz’ Vorstellungen entsprach. Denn der hatte schon in der virtuellen Präsidiumssitzung der CDU am Dienstag nach dem Kanzler-Termin gesagt, dass er eine weitere „Sonder-MPK“ nicht wolle und an einem solchen Format auch nicht mehr teilnehmen werde. Die Ministerpräsidentenkonferenzen sind immer auch eine Bühne der mächtigen CDU-Landesfürsten.

Hinzu kommt, dass eine Reihe von Merz’ Vorschlägen einer genaueren Prüfung kaum standhalten. Zunächst einmal dürfen Asylbewerber nicht, auch nicht solche aus Syrien und Afghanistan, an der Grenze abgewiesen werden. Ihr Asylgesuch muss geprüft werden, auch nach der GEAS-Reform. Zwar beruft sich Merz auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU. Dort heißt es, dass die Mitgliedsstaaten zum Schutz der inneren Sicherheit, also etwa bei gestiegener Terrorgefahr, Maßnahmen ergreifen können, die im Widerspruch zum EU-Recht stehen. Doch sind laut Daniel Thym, Völkerrechtslehrer aus Konstanz, bisher alle Versuche, sich auf diese Ausnahmeklausel zu berufen, beim Europäischen Gerichtshof gescheitert. Insofern besteht laut Thym zumindest ein Prozessrisiko.

Auch dazu musste sich Merz im engsten CDU-Gremium Fragen gefallen lassen. Wie man denn den Asylstopp-Vorschlag für bestimmte Gruppen rechtlich umsetzen könne und vor allem kommunizieren solle, wollten unter anderem der Kieler Ministerpräsident Daniel Günther und der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl laut Teilnehmerangaben wissen. Merz blieb hart. Man müsse jetzt „hart bleiben“ und „unbequeme Dinge möglich machen“, soll er gesagt haben.

Den Vorschlag aus der CDU und Teilen der FDP, ausreisepflichtige Straftäter in Ausreisegewahrsam zu nehmen, sieht Völkerrechtler Thym kritisch. Nach den neuen Vorschriften der EU-Rückführungsrichtlinie scheidet Ausreisegewahrsam aus, wenn die Herkunftsländer eine Rücknahme verweigern. Selbst wenn die Richtlinie aufgeschnürt würde, bewerten sowohl Bundesverfassungsgericht als auch Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte den Ausreisegewahrsam als Freiheitsentzug, was nachweislich gerechtfertigt sein müsse. Zwar steht Merz nicht alleine da. Im Mai hatten 15 EU-Länder ein härteres Vorgehen gegen die irreguläre Migration angemahnt. Doch die neue Kommission muss sich noch zurechtrütteln. Und auch deutsche Parlamentarier sind der Meinung, Brüssel dürfe sich nicht von der deutschen Innenpolitik treiben lassen.

Chancen dürfte dagegen der Vorstoß haben, die Sozialleistungen für ausreisepflichtige Ausländer zu minimieren. Ihnen also nur noch Leistungen zu gewähren, die das physische Existenzminimum sichern. Damit, so ist zu hören, könnte wohl auch die Ampel leben. „In der Vergangenheit haben die Sozialgerichte Leistungskürzungen für rechtens erklärt, die an ein Fehlverhalten abgelehnter Asylbewerber anknüpfen“, sagt Thym.

Für den Oppositionschef war es das zweite Mal, dass er den Kanzler mit dem Thema Asyl vor sich hertreiben wollte – und plötzlich doch keine Asse mehr in der Hand hatte. Im vergangenen Herbst hatte er bei einem Treffen im Kanzleramt einen 26 Punkte umfassenden Forderungskatalog („Deutschland-Pakt“) vorgelegt, von dem kurz danach beim Treffen der Ministerpräsidenten mit dem Kanzler nur Fragmente übrigblieben. Ein „historisches Ergebnis“, wie es Scholz damals feierte, war die Übereinkunft allerdings auch nicht, wenn erst im Frühjahr eilig nachgebessert werden musste und jetzt erneut.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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