Es war eines dieser Interviews, wie Markus Söder sie liebt. Freundlich das Selbstverständliche zu bestätigen und gleichzeitig ein Hintertürchen einzubauen. Also hat er im Gespräch mit „Hart aber fair“-Moderator Louis Klamroth, das am vergangenen Montag ausgestrahlt wurde, auf die übliche Frage, wer denn jetzt Kanzlerkandidat werde, er oder Friedrich Merz, treuherzig geantwortet: „Die Wahrscheinlichkeit, dass es einer von uns wird, ist gegeben.“ Und dann hinzugefügt, „normalerweise“ sei der CDU-Vorsitzende „der klare Favorit“. Normalerweise, da war es wieder, das Hintertürchen.
Wieder einmal hat Söder damit sein eigenes Dilemma umschifft. Denn er steht vor der vermutlich schwierigsten Frage seiner Laufbahn. Es ist die gleiche Frage, die auch Edmund Stoiber 2005 beantworten musste: Soll er seine Komfortzone in Bayern verlassen und nach Berlin wechseln, auch wenn er dort nicht die Nummer eins ist? Denn Söder weiß ganz genau, dass für ihn kein Weg mehr ins Kanzleramt führen wird. In Hintergrundrunden räumt er auch ein, dass seine Chancen praktisch gleich Null sind. Warum auch sollte die weit größere CDU angesichts stabil guter Umfragewerte der kleinen Schwester die Kanzlerkandidatur überlassen?
Aber aus der eigenen Einsicht die Konsequenz zu ziehen und auch öffentlich zu sagen: Merz wird es und die CSU wird ihn vorbehaltlos unterstützen, das macht Söder nicht. Söder halte sich alle Optionen offen, sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Das hat nicht nur mit dem Fünkchen Resthoffnung zu tun, dass sich das Blatt doch noch zu seinen Gunsten wenden könnte. Söder flüchtet sich in seine bekannten Wortspielchen, weil er offenbar, so wie Stoiber damals, hin- und hergerissen ist. Nach der letzten Sitzung des CSU-Vorstandes verkündete er, er sei „lieber ein Superministerpräsident als ein Superminister“. Taktisch ist die Aussage nachvollziehbar, denn hätte Söder Berliner Ambitionen erkennen lassen, hätte er damit sofort die Diskussion um seine Nachfolge in Bayern eröffnet. Und damit schon zur Unzeit die üblichen Verwerfungen ausgelöst. Denn die natürliche Nachfolgerin, Landtagspräsidentin Ilse Aigner, gehört nicht zum Freundeskreis von Söder. Dessen enge Gefolgsleute, etwa Finanzminister Albert Füracker, gelten dagegen auch in den eigenen Reihen als eher schwache Politakteure.
Aber inhaltlich ist das mit dem Superministerpräsidenten genau so wenig belastbar wie die Beteuerung, sein Platz sei in Bayern. Denn Söders wachsende Unlust an seinem Job ist längst Thema in Bayern. Im Landtag lässt er sich noch seltener sehen als vorher schon, sein Koalitionspartner Hubert Aiwanger nervt ihn nicht nur politisch, sondern auch persönlich. „Ich glaube, ihm ist Bayern mittlerweile zu klein“, sagt Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen im Landtag, „deshalb regiert er das Land zunehmend ambitions- und ideenlos“. Das ist nicht nur die übliche Oppositionskritik. Auch in der CSU sehen das viele inzwischen so. Vor allem diejenigen, die schon in anderen Kabinetten saßen, sind enttäuscht. „Da kommt doch gar nichts“, sagt einer von ihnen über Bayerns Regierung. Dass die von Söder geführte Koalition sich kraftvoll um die Zukunftsfragen des Landes kümmert, würden allenfalls treue Söder-Paladine so sehen. „So müde ist noch keine Staatsregierung gestartet“, urteilte die Süddeutsche Zeitung im Oktober über den Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern.
Doch lange wird Söder seinen unklaren Kurs nicht mehr durchhalten können. Spätestens, wenn nach den Landtagswahlen im Osten die Frage der Kanzlerkandidatur entschieden ist, wird der CSU-Chef unter multiplen Druck geraten. Dafür werden zum einen schon die Medien sorgen. Die Frage, welche Rolle Söder im Wahlkampf spielen wird und was er nach der Wahl macht, wird Gegenstand ständiger Spekulationen werden. Und auch aus der eigenen Partei wird der Druck wachsen, dass Söder auf jeden Fall die CSU-Liste für die Bundestagswahl anführen muss und nicht noch einmal den in parteiintern unbeliebten Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vorschicken kann.
Damit aber würde Söders Spielraum immer kleiner. Zwar gibt es keinen Automatismus, dass der Listenführer das Mandat dann auch annimmt. Auch Franz Josef Strauß hat zweimal die Bundesliste in Bayern angeführt und ist dann doch Ministerpräsident geblieben. Und Stoiber stand im Wahlkampf ebenfalls auf Platz eins der Liste, um dann im letzten Moment zurück nach München zu flüchten. Doch müsste es angesichts der immensen Herausforderungen inmitten einer instabilen Weltlage nicht selbstverständlich sein, dass ein CSU-Vorsitzender in Berlin dabei ist, wenn die Union regiert? Zumal dort in der CSU nach dem Abgang von Horst Seehofer kein politisches Schwergewicht mehr sitzt, dem man ein Schlüsselressort zutrauen könnte? Seehofer, Söders Vorgänger als CSU-Chef und Ministerpräsident, sieht es jedenfalls so. „Jeder Parteivorsitzende einer künftigen Regierung muss am Kabinettstisch sitzen“, sagte Seehofer zu Table.Briefings.
Es gibt allerdings auch Stimmen in der CSU, die Söder zutrauen, auch diese Klippe zu umschiffen und ohne Platz auf der Liste erst nach der Wahl zu entscheiden, ob er nach Berlin wechselt oder nicht. Als Parteivorsitzender könnte ihm das keiner streitig machen.
Doch sehr wahrscheinlich ist das nicht. Denn da gibt es ja noch Aiwanger. Auch wenn sich zur Beruhigung der CSU der Hype um ihn gelegt hat und die Umfragewerte für die Freien Wähler gesunken sind, bleibt er für Söder eine Heimsuchung. Aiwanger will unbedingt in den Bundestag und würde in einer neuer Regierung gern Wirtschaftsminister werden. Wenn Aiwanger, der ein begabter Bierzeltredner ist, sich im Wahlkampf als Kämpfer für die Zukunft Deutschlands inszeniert und Söder als Drückeberger hinstellt, könnte das die CSU wichtige Stimmen kosten.
Angesichts der Erfahrungen mit Söder im letzten Wahlkampf und mit Stoibers Verhalten 2005 muss auch Merz daran gelegen sein, Söder so fest wie möglich einzubinden. Merz müsse Söder „ein gescheites Amt anbieten“, sagt einer, der den CDU-Vorsitzenden lange kennt und schätzt. Es müsste natürlich ein klassisches Ressort sein wie Außen, Finanzen, oder Innen. Oder eben doch ein zusammengeschraubtes Superministerium, wie es Stoiber haben wollte.
Gerade Stoibers Beispiel müsste Söder zeigen, wie riskant es für ihn wäre, sich um die bundespolitische Verantwortung, die die CSU stets für sich reklamiert, zu drücken. Die Flucht aus Berlin sei „der Anfang vom Ende Stoibers“ gewesen, sagt ein CSU-Vorstandsmitglied. Wenn Söder kneife, „dann ist der Zug für ihn endgültig abgefahren“. Und von München aus die Regierung mitzusteuern, das hat schon bei Strauß nicht geklappt. Zumal es keineswegs ausgemacht ist, dass Söder in Bayern unangefochten bleibt.
Im Frühjahr 2026, gut ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl, finden in Bayern Kommunalwahlen statt. Und Kommunalwahlen sind die eigentliche Domäne der Freien Wähler. Wenn es ihnen gelingt, der CSU weitere Mandate und wichtige Posten zu entreißen, könnte an der Parteibasis der Wunsch nach einem neuen Ministerpräsidenten schneller wachsen als Söder glaubt.