Analyse
Erscheinungsdatum: 11. Oktober 2023

Simone Borchardt: Eine Frau der klaren Worte

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Simone Borchardt war mehr als 30 Jahre lang in der gesetzlichen Krankenkasse und zuletzt im Pflegeheim tätig, bevor sie 2021 für die CDU in den Bundestag einzog. Den Pflegenotstand, sagt die Praktikerin, kann man nicht mit mehr Geld lösen.

Bei der Jahrestagung des Verbands der Privaten Krankenversicherung war die Frau mit dem blonden Pferdeschwanz Überraschungsgast. Simone Borchardt, seit dieser Legislatur erstmals im Bundestag, ersetzte auf dem Podium die eigentlich vorgesehene Vertreterin der CDU, Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Doch Borchardt redete aus dem Stand frei weg von der Leber. Mehr Geld für die Pflege sei aus gesetzlichen Mitteln nicht drin, erklärte sie, und plädierte stattdessen für private oder betriebliche Pflegezusatzversicherungen. Mit mehr Lohn, fügte sie hinzu, könne man heutzutage sowieso nicht mehr Pflegekräfte anlocken, „die Gehälter liegen inzwischen auf einem guten Niveau“.

Das gefiel nicht nur den Gastgebern, sondern ist tatsächlich auch die Meinung der gebürtigen Leipzigerin. Ihren Politikansatz nennt sie „prozessorientiert“, nämlich: die Dinge von Anfang an bis zum Ende zu denken. Vor gut zehn Jahren sei sie deshalb in die Union eingetreten. „Wir gewähren als Staat ja unheimlich viele Sozialleistungen. Und ich hab mich immer gefragt: Wer erwirtschaftet denn das viele Geld dafür?“ Der Mittelstand, sagt sie. Die CDU sei die einzige Partei, die diesen stärke. Und Carsten Linnemann, der neue Generalsekretär, die ideale Besetzung, um diese Kraft zu kommunizieren. „Denn das brauchen die Menschen, damit sie nicht rechten Verheißungen auf den Leim gehen: Echte Lösungen und klare Worte.“

Borchardt ist eine veritable Vertreterin des Volkes: Sie hat so viele Berufe erlernt und so viele Rollen im Leben gehabt, dass sie mehr Perspektiven kennt als die meisten. In der DDR hat sie Elektrikerin gelernt und Lehramt studiert. Nach der Wende ging sie wegen der Liebe nach Mecklenburg-Vorpommern und fing dort bei der gesetzlichen Krankenkasse an, der Barmer. Sie studierte Betriebswirtschaft und arbeitete sich zur Regionalleiterin hoch. Seit Kurzem führt sie die Geschäfte eines Pflegeheims – wenngleich zur Zeit, als MdB, nur noch stundenweise. Ihre zwei erwachsenen Töchter, die eine Krankenschwester, die andere Ärztin, hat sie großteils alleine erzogen. Und als Politikerin ist sie eine gestählte Wahlkämpferin: 2016 landete Borchardt bei der Schweriner Oberbürgermeisterwahl nur wenige 100 Stimmen hinter dem Rivalen von der SPD, Rico Badenschier, der seitdem die Landeshauptstadt regiert.

Klar sei sie traurig gewesen. Aber sie habe sich geschüttelt und nach vorne geschaut, „ich habe einen großen Resilienzfaktor“, sagt Borchardt fröhlich. Auch im Bundestag fand sie es anfangs schwierig. Die Praxisferne habe sie schier umgehauen. Da lese man Anträge, dass das Essen in Pflegeeinrichtungen besser werden solle, möglichst Bio, möglichst viele Vitamine. „Dabei weiß keiner, wie hart ich schon mit der Pflegekasse verhandeln musste, um 6,10 Euro pro Bewohner zu bekommen“, sagt sie. „6,10 Euro! Für fünf Mahlzeiten täglich.“ Es bleibe ihr nichts anderes übrig, als das Geld anderswo abzuzwacken, damit ihre demenziell erkrankten Bewohner täglich Obst essen könnten.

Den Pflegenotstand, sagt die Praktikerin, kann man nicht mit mehr Geld lösen. Weil nicht genug da sei. Weder bei den Bürgern, die die teuren Heimplätze bezahlen müssten, noch in der Pflegekasse oder bei den Kommunen, die einspringen müssten, wenn ein Bewohner nicht zahlen kann. Die Lösung, aus ihrer Sicht? „Den Stein der Weisen gibt es nicht. Was wir brauchen, ist eine Mischung aus Vielem.“ Zum Beispiel die Stärkung der ambulanten Pflege. „Derzeit bekommen ambulante Pflegekräfte oft nur die Leistung bezahlt, die am Teuersten war – also beispielsweise eine Spritze zu verabreichen. Den Verband wechseln sie dann für lau.“ Sie schüttelt den Kopf. „Das ist, als würde ich mein Auto zur Werkstatt bringen, die tauschen die Filter, stellen den Vergaser ein und wechseln die Bremsklötze. Und ich bezahle dann nur die Klötze, weil die am Teuersten sind.“

Ältere Menschen, sagt Borchardt, müssten so lange in der Häuslichkeit bleiben wie möglich. „Deshalb muss die Regierung die pflegenden Angehörigen entlasten. Ohne die pflegende Tochter, den pflegenden Ehemann sind wir als Gesellschaft aufgeschmissen.“ Vor allem aber lautet ihr Credo: Prävention. „Wir werden uns die vielen Diabetiker in Zukunft nicht mehr leisten können, deshalb müssen wir die Gesundheitskompetenz der Menschen stärken. Wir müssen ganz an den Anfang des Prozesses.“ Kinder bräuchten mehr Bewegung, mehr Sport an der Schule, „statt dass die Eltern sie nachmittags nochmal von A nach B fahren müssen, damit sie Volleyball oder Fußball spielen“. Oder die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse: Die gehöre abgeschafft, damit sich die Menschen gesünder ernährten.

„Wenn wir bei der Prävention nicht endlich anfangen, produzieren wir in der nächsten Generation Ausgaben, die die übernächste nicht zahlen kann“, warnt die Gesundheitspolitikerin. „Aber Politik denkt leider nicht in Jahrzehnten, sondern in Legislaturen.“

„Wir haben so wichtige Probleme“, sagt sie, „und stattdessen verschwendet der Gesundheitsminister seine Kraft auf die Freigabe von Cannabis.“ Ihre Partei habe übrigens einen Antrag eingebracht, damit Ärzte Cannabis problemlos verschreiben können. „Ärzte dürfen ja auch Morphium verschreiben, warum denn nicht Cannabis? Warum muss das noch die Kasse bewilligen? Wir haben doch eigentlich Therapiefreiheit, und Cannabis kann bei Depressionen und vielen Schmerzerkrankungen niederschwellig helfen.“

Die Ampel habe den Antrag abgelehnt. Demnächst gingen die Kranken garantiert nicht mehr zum Arzt, prophezeit Borchardt düster, sondern holten sich die Droge in Karl Lauterbachs neuen Cannabis-Clubs und behandelten sich mit Selbstmedikation.

Es bräuchte einen „mutigen Gesundheitsminister in Deutschland“, findet Borchardt. „Karl Lauterbach doktert nur ein bisschen herum.“ Sie zeigt ein Chart vom Gesundheitswesen, das sie auf DinA3 gezogen habe für Vorträge. Es ist eine Grafik mit hunderten verschiedenen Instituten und Institutionen, die alle mit Pfeilen verbunden sind.Unser Gesundheitswesen ist völlig überreguliert, es ist krank, wir brauchen ein neues System.“ Ein Beispiel: Ab Januar müssten Geschäftsleitungen Strafzahlungen leisten, wenn sie gewisse Pflegeuntergrenzen auch nur tageweise reißen würden. Sie schüttelt den Kopf. „Das hat noch keiner auf dem Schirm.“

Was ihr wirklich Spaß mache an ihrem Job, ist, wenn sich unerwartet Menschen an sie wenden würden. So wie neulich, als der Geschäftsführer der Mecklenburgischen Bäderbahn ihr schrieb und sie bat, sich gemeinsam mit ihrer Fraktion dafür einzusetzen, dass die historischen Schmalspurbahnen bei der Anpassung des Allgemeinen Eisenbahngesetzes nicht durch neuen bürokratischen Aufwand belastet würden. „Wir konnten helfen“, sagt Borchardt. „Die Molli wird weiter zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn verkehren – und die kleine Bahn auf Rügen auch.“

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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