Analyse
Erscheinungsdatum: 17. März 2024

Scholz und Merz: Warum sie nicht mehr reden – und das gefährlich ist

Reden hilft. Sagt man. Trotzdem haben der Kanzler und der Oppositionsführer den Austausch eingestellt. Verantwortlich dafür sind beide. Angesichts einer immer schärferen Tonlage in der Auseinandersetzung wäre es besser, wenn Olaf Scholz und Friedrich Merz das überdenken.

Olaf Scholz und Friedrich Merz mögen sich nicht. So weit so normal zwischen zwei Männern, die von der eigenen Brillanz sehr überzeugt sind. Inzwischen aber ist die Abneigung zwischen dem Kanzler und dem Oppositionsführer zu einem Problem geworden. Wer nicht mehr miteinander redet, verliert jedes Verständnis füreinander; und wer zu lange nur noch übereinander redet, verliert irgendwann den Respekt. Genau das passiert. Und es gefährdet Umgangsformen und Verantwortungsgefühl genau dort, wo er in Krisenzeiten besonders notwendig ist: in der demokratischen Mitte.

Jüngster Beleg ist der letzte Schlagabtausch zu Taurus-Lieferungen. Auf der offenen Bühne des Bundestags kritisierte man sich nicht mehr, sondern warf einander Unwahrheiten vor. Damit wird genau das bedient, was die Gegner demokratischer Institutionen sich wünschen: dass die wichtigsten Repräsentanten von Regierung und Opposition nicht nur gegeneinander argumentieren, sondern sich diffamieren.

In zweieinhalb Jahren hat Scholz Merz gerade eine Handvoll mal zum vertraulichen Gespräch eingeladen. Das letzte liegt viele Monate zurück. Und der Grund ist – natürlich – umstritten. Für Scholz ist bei diesem letzten Treffen offenbar besonders ärgerlich gewesen, dass ausgerechnet Merz es an dem Abend wegen eines Fernsehinterviews zeitlich begrenzte. Hinzu kam noch, dass der Oppositionsführer am Ende des Gesprächs zur Migration eine Liste neuer Forderungen präsentierte, obwohl wenige Tage später eine MPK anstand, für die sich – jedenfalls nach offizieller Lesart – Kanzleramt und Ministerpräsidenten schon auf Kompromisse geeinigt hatten. Aus Sicht von Scholz waren die Vorschläge von Merz deshalb nicht konstruktiv, sondern eine Provokation, zumal für Merz das Interview wichtiger schien als ein vertieftes Gespräch mit dem Kanzler.

Merz's Sicht auf die Dinge ist naturgemäß ganz anders. Einerseits suchte er zwar das Gespräch mit dem Kanzler. Andererseits aber versuchte er das zu verhindern, was ein Oppositionsführer im Bund immer verhindern will: dass die eigenen Ministerpräsidenten an ihm vorbei mit dem Kanzler eine Einigung beschließen. In der Logik eines CDU-Chefs ist das verständlich; aus Sicht des Kanzlers aber ist es das nachrangige Bemühen eines Oppositionsführers, der um Wichtigkeit bemüht ist. Dass nach der folgenden MPK kolportiert wurde, Scholz habe die MPs gelobt und süffisant die Unterschiede zwischen ihnen und Merz betont, komplettierte bei Merz das Bild von einem Kanzler, der gar kein Interesse an einer Verständigung habe.

So herrscht zwischen Kanzler und Oppositionsführer absolute Funkstille. Und das, obwohl Deutschland vor Problemen steht, die eine Ich-mag-den-nicht-Haltung als immer unverantwortlicher erscheinen lassen. Ukraine-Krieg und Bundeswehr-Malaise; Wirtschaftskrise und mögliche Trump-Wiederwahl – es gibt mehr als nur einen Grund, um sich eng auszutauschen. So, wie das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit beiden regelmäßig auch tut. Die Folge: Steinmeier kann womöglich am besten einschätzen, warum diese beiden trotz der Krisen nicht zueinander finden. Nicht unwahrscheinlich ist, dass sich das Staatsoberhaupt längst Sorgen über die Sprachlosigkeit der beiden macht.

Scholz lässt überdies die Chance fahren, Merz ins Vertrauen zu ziehen und auf diese Weise auch an seine demokratische Verantwortung fürs Ganze zu appellieren. Mit dem sehr wahrscheinlichen Zusatzeffekt, den Oppositionsführer im Gesprächsfall in seiner Wortwahl zu mäßigen. Andere Kanzler vor ihm haben das durchaus getan: Helmut Schmidt mit Helmut Kohl im deutschen Herbst; oder Angela Merkel mit Frank-Walter Steinmeier in der Euro-Schuldenkrise. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass Merz im öffentlichen Streit um Taurus trotzdem zu einem anderen Schluss käme. Aber der Vorwurf, Scholz binde nicht ein und arbeite mit Halbwahrheiten, dürfte ihm und seiner Fraktion ungleich schwerer über die Lippen kommen.

Allerdings geht es längst nicht mehr um die beiden Männer alleine. Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Richterbund und viele andere appellieren an Regierung und Opposition, die großen Probleme gemeinsam anzugehen, statt in alte Rituale zwischen Regierung und Opposition zu verharren. In einem Wahljahr wie diesem müsse die Demokratie Lösungen bieten statt ihren Gegnern Belege für ihre vermeintliche oder tatsächliche Unfähigkeit zu liefern. Hört man sich in Wirtschaftskreisen um, dann ist die Kritik am Kanzler dabei eindeutig lauter als am generell nicht allzu beliebten Merz.

Und so bleibt am Ende vor allem ein Gedanke: dass sich beide längst auf den Kampf gegeneinander einstellen. Über Merz hieß es das im Grunde früh; bei Scholz konnte man daran eine Weile noch seine Zweifel haben. Inzwischen aber lassen sich mehrere Dinge beobachten. Zum einen ist die Taurus-Debatte für Scholz eine Frage von Klarheit und Kanzler-Machtwort geworden. Er hat klargemacht, dass er es nicht machen wird. Dabei klingt er zwar noch nicht wie einst Gerhard Schröder bei seiner Rede von Goslar, auf der er sein Nein zum Irakkrieg ins Mikrofon brüllte. Aber Scholz weiß seine Genossen und eine Mehrheit im Land bei der Taurus-Frage hinter sich – und hat klar kalkuliert, dass er genau diese Zuspitzungen und Abgrenzungen gegenüber Merz braucht, wenn er wieder gewählt werden will.

Außerdem ist in den Strategieüberlegungen der SPD-Spitze längst klar, dass gefühlt alle Sozialdemokraten Friedrich Merz für den aus ihrer Sicht bestmöglichen, weil am ehesten bezwingbaren Gegner halten. Innerlich haben sich Scholz und seine Genossen auf Merz als Gegner und also nicht als Partner eingeschossen. „Risiken muss Deutschland eingehen. Auf Abenteuer aber darf es sich nicht einlassen.“ Diese beiden Sätze kann man derzeit unter alten und erfahrenen Sozialdemokraten häufiger hören. Es war der Satz, mit dem Schröder sein Nein zum Irakkrieg begründete. Tatsächlich stammte der aber nicht aus der Feder des Kanzlers. Richard von Weizsäcker hatte ihn geprägt, in vertraulicher Runde mit dem damaligen Kanzler. Als die seinerzeitige Oppositionsführerin Angela Merkel sich öffentlich strikt auf die Seite der USA gestellt hatte, lud Schröder andere ins Kanzleramt ein, um sich mit ihnen zu beratschlagen. Nicht ausgeschlossen, dass auch Scholz noch auf so eine Idee kommt.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
Teilen
Kopiert!