Analyse
Erscheinungsdatum: 02. September 2024

Regierungsoptionen im Osten: Die CDU erwacht in einer Welt mit BSW und Linken  

Sie sind ziemlich ko von einem anstrengenden Wahlkampf, der Sachse Michael Kretschmer vorneweg. Und doch muss die CDU jetzt etwas schaffen, das undenkbar schien: Eine Brücke zu BSW und Linken, mindestens in zwei Ländern.

Dass es nach den Wahlen in Sachsen und Thüringen schwer werden könnte, haben sie in der CDU früh geahnt. Aber dass es so kompliziert wird – das hätten Friedrich Merz und Co gerne vermieden. Mit einem Schlag stehen Michael Kretschmer in Sachsen, Mario Voigt in Thüringen und irgendwie auch alle Christdemokraten sonst wo in Deutschland vor der Frage, wie man das nun macht als „letztes Bollwerk der politischen Mitte“. So hat es Merz ausgedrückt und damit die Verantwortung hervorgehoben, mit der die Union nun versuchen muss, mit heikelsten politischen Gegnern zu kooperieren, um eine AfD-Regierung zu verhindern.

Dabei ist die erste Entscheidung offenbar schon gefallen: Es geht bis auf weiteres nicht mehr ums Ob, sondern nur noch ums Wie bei der Suche nach einer Zusammenarbeit mit dem BSW und gegebenenfalls mit der Linken. Parteichef Merz erklärte zwar, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die Linke stehe und gelte. Und dass er die Blackbox – „oder sagen sie Redbox“ – namens BSW bis heute überhaupt nicht einschätzen könne. Zugleich aber verband er diese Hinweise mit dem Zusatz, ab jetzt müssten über all das seine Kollegen in Dresden und Erfurt entscheiden.

Merz’ Botschaft: Was Kretschmer und Voigt machen (müssen), bleibt ihnen überlassen. Im Bund aber werde er an der grundsätzlichen Linie festhalten. Das klingt fast nach einer neuen Brandmauer – dieses Mal nicht zur AfD, sondern zu den heiklen Kompromissen, die Kretschmer und Voigt bevorstehen. In der vertraulichen Präsidiumssitzung hatten die beiden CDU-Landeschefs am Vormittag eindringlich darum gebeten, ihnen freie Hand zu lassen und die bundespolitischen Themen aus den Debatten herauszuhalten. Merz hatte das Festhalten der CDU am Unvereinbarkeitsbeschluss mit Linken und AfD bekräftigt, aber eine mögliche Koalition mit dem BSW in Thüringen und in Sachsen nicht besonders kritisiert. In Thüringen könnte bei der Wahl des Ministerpräsidenten im dritten Wahlgang eine einfache Mehrheit reichen, hieß es im CDU-Vorstand. Und wer weiß, ob nicht Linke noch zur BSW überträten. Die Option auf zwei Ministerpräsidenten der CDU will sich keiner in der CDU-Führung nehmen lassen.

Voigt und Kretschmer unterstützen sich demonstrativ in ihrem Ziel, in Demut „ eine stabile Regierung fürs Land “ zu erreichen. Kretschmer betonte zwar, man sei „noch meilenweit“ von allem entfernt. Aber obwohl er anders als Voigt nicht gezwungen ist, über die Linke nachzudenken, ist es Kretschmer, der den Umgang mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss schon einmal ziemlich klar definiert. Der Beschluss beziehe sich „auf Regierungsbeteiligungen und strukturelle Kooperationen“, so Kretschmer. Was so viel heißt wie: Alles, was drunter liegt, könnte möglich werden. Also auch eine tolerierte Minderheitsregierung, wie sie die Linke in Erfurt Voigt bereits angeboten hat.

Und doch ahnen alle, wie schwer und politisch heikel die nächsten Monate werden. Das konnte man Merz beim öffentlichen Auftritt ansehen – und das konnten die Teilnehmer auch in den internen Sitzungen spüren. Plötzlich mit BSW und Linken? Zahlreiche Teilnehmer berichteten anschließend, wie groß ihre Bauchschmerzen seien – im Wissen um die tiefe Abneigung gegenüber Wagenknecht und den Linken, die in weiten Teilen der Partei vorherrscht. Und im Zwang, der in Merz’ Äußerung über das letzte Bollwerk steckt und den ein Teilnehmer hinterher so beschrieb: „Wenn wir keine Regierung hinbekommen, schaffts niemand mehr.“ Hinschmeißen, zuschauen, feige sein – das lasse die Lage nicht mehr zu.

Einen Vorteil aber wollen beide nutzen: Sie haben Zeit. Auch darüber wurde im Präsidium gesprochen. Zwar wird es in beiden Ländern schon in wenigen Wochen die Konstituierung des neuen Landtags geben. Aber danach bleiben in Sachsen noch vier Monate Zeit bis zur Wahl des neuen MPs. Und in Thüringen kann der aktuelle MPs sogar jahrelang regieren, solange es keinen neuen gibt. Kretschmer und Voigt sind fest entschlossen, dieses Polster an Zeit zu nutzen. Nach dem Motto: Nichts überstürzen. Zumal die Chance, dass auch im Bund schneller Wahlen kommen, seit Sonntagabend nicht kleiner geworden ist.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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