Den Schweden reicht es mit den Wölfen. Schon gut vor einem Jahr, als die Population mehr als 400 Exemplare erreicht hatte und die Zahl Schafrisse mehr als 300, beschloss das schwedische Parlament: Die Zahl der Wölfe wird halbiert.
Die 10,4 Millionen Schweden leben auf 447.435 Quadratkilometer, die 83 Millionen Bürger hierzulande auf 357.600 Quadratkilometern. Die genaue Anzahl der Wölfe in Deutschland ist unbekannt, Schätzungen liegen zwischen 1500 und 2300 Tieren. 4366 Schafe, Ziegen und andere Nutztiere wurden 2022 gerissen oder verletzt; die Ausgleichszahlungen an die geschädigten Tierhalter kosteten die Bundesländer laut t-online seit Mitte 2022 rund 667.000 Euro.
Deutschland hat ein Wolfsproblem. Die Ampelregierung versprach deshalb schon im Koalitionsvertrag: „Unser Ziel ist es, das Zusammenleben von Weidetieren, Menschen und Wolf so gut zu gestalten, dass trotz noch steigender Wolfspopulation möglichst wenige Konflikte auftreten.“ Man wolle den Bundesländern „europarechtskonform ein regional differenziertes Bestandsmanagement“ ermöglichen.
Die Legislaturperiode ist halb vorbei, und das Versprechen noch nicht eingelöst. Weder hat die federführende Umweltministerin Steffi Lemke einen Managementplan vorgelegt, noch die auf Betreiben der FDP eingerichtete Arbeitsgruppe Wolf eine Lösung gefunden. Anfang Juli wurde diese Koalitions-AG ergebnislos aufgelöst. Die teilnehmende FDP-MdB Ulrike Harzer sprach enttäuscht davon, der Prozess sei immer wieder „bewusst verzögert" worden.
Am Dienstag nun hat ihre Fraktion ein „Rechtsgutachten zu den Möglichkeiten der Einführung des Bestandsmanagements für den Wolf“ vorgelegt. Autor ist der Jenaer Verfassungswissenschaftler Michael Brenner. Er hat die europarechtlichen Vorgaben genau studiert und kommt auf 42 Seiten zum Ergebnis: Die Nationalstaaten dürfen mehr regeln, als Deutschland es derzeit tut. So sei es den Mitgliedsstaaten erlaubt, einen „gesellschaftlich akzeptierten Bestand“ als Zielgröße zu definieren. Das Wolfsmanagement selbst könnte sowohl im Naturschutzrecht als auch im Jagdrecht verankert werden.
An eine derartige Zielgröße seien allerdings Auflagen geknüpft: Sie darf einen „günstigen Erhaltungszustand“ für Wölfe nicht unterschreiten, weder regional noch überregional. Bei der Entnahme von Wölfen darf deren Sozialstruktur nicht gefährdet werden; es dürften also „nicht alle Leitwölfe“ getötet werden, wie Brenner betont. Abschüsse könnten immer nur punktuell mit Vorgaben erlaubt werden – etwa, dass andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Zudem sollte es einen Bestandspflegeplan gegeben, der jährlich überprüft wird.
Voraussetzung sei, dass zunächst der Ist-Zustand der Wolfspopulation sowohl regional wie auch grenzüberschreitend erhoben wird. Tatsächlich sind die Zahlen der Länder und des Bundes dazu ungenau, weil hierzulande Wölfe vorwiegend in Rudeln gezählt werden, deren Größe variieren kann. Als Ziel könne dann ein „Akzeptanz- und Entnahmekorridor“ formuliert werden, wobei die Expertise von Wildtierbiologen gefragt sei. Als Vorbild nennt Brenner das Rotwildmanagement im baden-württembergischen Naturpark Schönbuch.
Die FDP will auf Basis des Gutachtens nun einen Gesetzesvorschlag machen, kündigte Fraktionsvize Carina Konrad an – falls die Umweltministerin von den Grünen nicht schneller sei. Für Konrad ist das, was die Weidetiere durch die Angriffe der Wölfe durchmachen müssen „Tierquälerei“, sie spricht von einem „elendigen Verrecken“ – das auch deren Haltern erheblich zusetze. Lemke ihrerseits hat erst jüngst dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil Vorschläge für den September versprochen, um Wolfsabschüsse praktikabler zu machen. Weil forderte bei dem Treffen mit Verweis auf den Koalitionsvertrag das angekündigte „regional differenzierte Bestandsmanagement“ an. In Weils Bundesland leben mehr Wölfe als in Schweden: 500.
Just nach dem Treffen zwischen Weil und Lemke kam es in Niedersachsen zu einer großen Wolfs-Attacke: In der Nacht zum Sonntag wurde bei einem mutmaßlichen Angriff durch ein ganzes Rudel 55 Schafe getötet oder tödlich verletzt. Die Hälfte der gesamten Schafsherde – und das, obwohl diese von einem wolfsabweisenden Schutzzaun umgeben war.
Nun nimmt erstmals auch ein Grüner die Bundesregierung in Sachen Wolf in die Pflicht. Christian Meyer, der niedersächsische Umweltminister, beklagte am Dienstag gegenüber dem NDR, es könne nicht sein, dass man wochenlang abwarten müsse, um einen „Problemwolf“ mithilfe von DNA-Proben zu identifizieren. Angesichts des Desasters vom Wochenende verlangte Meyer schnelle, unbürokratisch erteilbare Abschussgenehmigungen – und zwar durchaus auch mal gleich für mehrere Wölfe.
In Bayern preschte Ministerpräsident Markus Söder bereits im April vor. Sobald ein Wolf ein Nutztier getötet habe, ist es seitdem laut bayerischer Wolfsverordnung möglich, den Übeltäter abzuschießen – auch ohne vorherige DNA-Identifikation. Der BUND Naturschutz hat gegen die Verordnung Klage erhoben. Und auch Schwedens radikaler Weg, warnt der Jurist Brenner, sei womöglich europarechtlich nicht konform.
Brenner empfahl, die EU-Kommission zu drängen, den Schutzstatus des Wolfs zu ändern. Eine solche Lockerung hatte eine Mehrheit im EU-Parlament bereits Ende November 2022 eingefordert. Die deutsche Umweltministerin erteilte freilich im Februar diesem Plan eine Absage – mit Hinweis auf die weltweite Krise der biologischen Vielfalt.