Analyse
Erscheinungsdatum: 16. März 2023

Präsidentin des Statistischen Bundesamts: „Unsere Mitarbeiter werden persönlich angegriffen“

Okan Bellikli, Malte Kreutzfeldt
Ruth Brand ist seit Januar nicht nur Präsidentin des Statistischen Bundesamts, sondern auch Bundeswahlleiterin. Im Interview spricht sie über Attacken in den sozialen Netzwerken und die geplante Wiederholung der Bundestagswahl in Teilen Berlins.

Frau Brand, Ihr Haus produziert fast 400 Statistiken über Deutschland. Haben Sie eine Lieblingsstatistik?

Ruth Brand: Jede unserer Statistiken ist in ihrem Bereich etwas Tolles. Auch Daten, die auf den ersten Blick nicht so spannend erscheinen, sind für Planungszwecke zum Beispiel oft sehr wichtig.

Wenn man im Internet nach Statistiken sucht, landet man als Erstes oft nicht beim Statistischen Bundesamt, sondern bei privaten Anbietern – die oft kostenpflichtig sind. Oder bei Dashboards, die von Medien zusammengestellt werden. Was machen die besser als Ihre Behörde?

Private Anbieter stecken oft viel Arbeit in einzelne Themen und sind da dann auch sehr präsent, um ihre Produkte zu verkaufen. Wir dagegen decken alle Themenfelder ab und sind dabei meist auf amtliche Daten beschränkt. Zudem investieren kommerzielle Anbieter viel Geld in ihre Seiten und in Suchmaschinen-Optimierung. Wir tun das zwar auch, aber können da als staatliche Behörde nicht unendlich viel Geld reinstecken.

Das heißt, Sie brauchen mehr Haushaltsmittel?

Wenn es neue Aufgaben gibt, müssen die natürlich mit entsprechenden Mitteln hinterlegt sein, Aber wir kennen ja alle die aktuelle Haushaltslage.

Müssten Sie nicht auch die Präsenz in den sozialen Netzwerken ausbauen? Da ist das Amt zwar vertreten, greift aber eher selten aktiv in Debatten ein, etwa mit Faktenchecks oder der Richtigstellung falscher Zahlen.

Als neutrale und unabhängige Behörde halten wir uns in politischen Diskussionen natürlich grundsätzlich zurück. Wir versuchen aber durchaus, korrigierend einzugreifen, wenn es offensichtliche Fake News auf Basis unserer Daten gibt oder wenn unsere Statistiken fehlinterpretiert werden. Aber wir erleben leider auch, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann persönlich angegriffen werden. Und das gefällt mir gar nicht.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Wir sind eingeschritten, als unsere Zahlen zur Übersterblichkeit falsch verwendet wurden. Da gab es dann auch Beleidigungen gegen einzelne Personen.

Gibt es aus dem politischen Raum manchmal Druck, Statistiken in einer bestimmten Weise zu erstellen, die ins jeweilige Narrativ passt? Oder möglicherweise unbequeme Daten lieber nicht zu erheben?

Nein, da kann ich zum Glück sagen, dass so etwas in Deutschland noch nicht vorgekommen ist. Und wenn es solche Versuche gäbe, würde ich aktiv dagegen vorgehen. Unsere Unabhängigkeit ist essentiell für die Funktion von Statistiken in einer wissensbasierten Demokratie. Aber wie gesagt: Wir können unsere Arbeit sehr unabhängig machen.

Aber zumindest gibt es ja in der Regierung den Wunsch, dass insgesamt mehr Daten digital erfasst und allen zur Verfügung gestellt werden sollen. Sind Sie darauf eingestellt?

Es fallen heute zum Beispiel durch Internet und Mobilfunk immer mehr digitale Daten an, andere entfallen dafür. Das heißt, wir müssen uns als amtliche Statistik immer wieder der aktuellen Datenlandschaft anpassen. Aber das ist nicht immer so einfach, denn das Erfassen von Daten gilt oft als unnötige Bürokratie. Dabei wird gerne vergessen, dass wir solche Daten für eine wissensbasierte, informierte Demokratie brauchen. Die Erfassung, Erhebung und Auswertung von Daten werden bei uns immer mehr digitalisiert. Das gilt auch für die Veröffentlichung: Gedruckte Publikationen gibt es bei uns gar nicht mehr.

Auch für die Sozialpolitik liefert das Statistische Bundesamt wichtige Daten. So dient die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) als Berechnungsgrundlage für die Regelsätze des künftigen Bürgergelds. Doch diese Daten sind durchaus umstritten. Wie könnte man sie verbessern?

Bei einer freiwilligen Erhebung wie der EVS ist eine Kritik immer, dass wir Menschen, die von Armut bedroht sind, unterproportional erreichen und damit auch nicht repräsentativ abbilden. Wir arbeiten aber ständig daran, auch in diesen Gruppen hinreichend viele Haushalte zu gewinnen: Wir haben mehr Werbung gemacht, diesmal auch über Influencer. Das Mitmachen ist außerdem leichter geworden, weil wir die Erhebung über Smartphones möglich gemacht haben. Und nicht zuletzt gibt es ja auch Geldprämien fürs Mitmachen. Man sollte auch nicht vergessen, dass das Stichprobenverfahren so angelegt ist, dass aus allen Gruppen eine bestimmte Anzahl an Teilnehmenden in die Stichprobe kommt. Ich denke, dass wir die gesellschaftlichen Verhältnisse dadurch insgesamt sehr gut abbilden.

Bei manchen Statistiken, etwa zu Bonitätschecks von Wohnungssuchenden, kooperieren Sie mit der Schufa. Warum arbeitet eine staatliche Behörde mit einem Unternehmen zusammen, das seit vielen Jahren wegen Intransparenz in der Kritik steht?

Zunächst möchte ich klarstellen: Wir nutzen die Daten der Schufa nicht für amtliche Statistiken. Es gibt ja zum Beispiel keine amtliche Statistik zur Bonität von Wohnungssuchenden. Das sind Daten, die bei der Schufa anfallen und die zum Beispiel zeigen, wie viele Menschen gerade auf Wohnungssuche sind. Das ist aber keine amtliche Statistik, sondern eine Ergänzung unseres Datenangebots. Wir haben seit 2018 regelmäßigen Austausch mit der Schufa und profitieren sehr davon. Wir nutzen zum Beispiel Daten zu Kreditvergaben in der Wirtschaft und Auskünfte zu Onlinetransaktionen, weil das Vorgänge sind, bei denen die Schufa über zuverlässige Daten verfügt. Wir schauen im Vorfeld aber immer deren Qualität und Aussagekraft an. Für uns ist das eine sinnhafte Ergänzung der amtlichen Daten.

Eine der bekanntesten Statistiken ist die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) monatlich veröffentlichte Arbeitslosenzahl, Sie dagegen erheben jeden Monat eine Erwerbslosenzahl. Führt das nicht zu Verwirrung?

Es ist ein komplexes Thema. Je nachdem, in welchem Kontext diskutiert wird, werden andere Zahlen benötigt. Wenn es zum Beispiel um die Finanzierung der Sozialversicherungen oder um Sozialleistungen geht, sind die Daten der BA zu registrierten Arbeitslosen und Arbeitssuchenden wichtig. Wenn es um Themen wie Unterbeschäftigung – die nicht von einer Registrierung abhängt – geht, sind eher unsere Zahlen gefragt, die aus der Arbeitskräfteerhebung bei den privaten Haushalten stammen.

Allein für „Unterbeschäftigung“ gibt es verschiedene Definitionen. Bei der BA werden darüber rund eine Million Menschen, die etwa kurzfristig erkannt sind oder an bestimmten Maßnahmen teilnehmen, aus der Arbeitslosenstatistik herausgerechnet. Bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist es noch mal was anderes. Geht das alles nicht einfacher und einheitlicher?

Ich befürchte, das wird schwer, weil diese internationalen Organisationen häufig andere Abgrenzungen haben. Wenn Sie weltweit Dinge vergleichen wollen, ist zum Beispiel 15 ein Alter, in dem in vielen Ländern der Welt das Erwerbsleben beginnt. Unterschiede gibt es auch bei der Frage, wann es endet. Es wird bei all den Definitionen schnell schwierig und deswegen muss man immer genau überlegen, wo man statistisch gerade unterwegs ist. Bei der Unterbeschäftigung gibt es darüber hinaus aber auch deutliche inhaltliche Unterschiede. Anders als bei der BA bezieht sie sich im ILO-Konzept auf Erwerbstätige, die sich mehr Arbeitsstunden wünschen.

Sie sind auch Bundeswahlleiterin. Deutschland hat durch die Wiederholungswahl in Berlin für Aufsehen gesorgt. War das nicht eine große internationale Blamage?

Mein Vorgänger hat Einspruch gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl in sechs Berliner Wahlkreisen eingelegt. Ich finde seine Entscheidung richtig, weil es Aufgabe des Bundeswahlleiters bzw. der Bundeswahlleiterin ist, für ordnungsgemäß ablaufende Wahlen zu sorgen. Für die Zukunft möchte ich es so ausdrücken: Wir sollten aus den Fehlern lernen und gemeinsam mit den Landeswahlleiterinnen und Landeswahlleitern bestmöglich die nächsten Wahlen vorbereiten und dafür sorgen, dass sie ordnungsgemäß durchgeführt werden.

Was wären denn konkrete Lehren, die Sie daraus ziehen würden?

Das werde ich zunächst mal mit den Mitgliedern des Bundeswahlausschusses besprechen und dann gemeinsam überlegen, wie wir als Nächstes die Europawahl 2024 vorbereiten.

Beim Bundesverfassungsgericht liegt aktuell noch eine Beschwerde zur teilweisen Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin. Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung und wann würde dann gewählt?

Das Bundesverfassungsgericht wird sich mit Sicherheit die Zeit nehmen, die es braucht, um das zu prüfen. Wenn dann ein Urteil gefällt ist, muss die Wahl in den betroffenen Wahlbezirken innerhalb von 60 Tagen wiederholt werden. In dem Zusammenhang gibt es auch noch eine Sonderregelung. Wenn solch ein Urteil erst sechs Monate vor der nächsten Bundestagswahl erfolgt, dann wird die Wahl nicht wiederholt.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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