Analyse
Erscheinungsdatum: 07. März 2023

„Niemand verbietet Werbung!“

Stefan Braun, Annette Bruhns
Die Kritik an seinem Vorhaben, Werbung für ungesunde Lebensmittel für Kinder zu begrenzen, ficht ihn nicht an, sagt Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im Interview. Der Grünen-Politiker verweist auf den Koalitionsvertrag, auf Unterstützung aus Wissenschaft und Bevölkerung – und darauf, dass auch Rauchverbot und Gurtpflicht einst heftig bekämpft wurden.

Table.Media: Herr Özdemir, mit Ihrem Werbeverbot für Kinder-Schleckereien haben Sie sich gerade viele Feinde gemacht, in der Werbe- und Lebensmittel-Industrie, aber auch in der eigenen Regierungskoalition. Viel Feind, viel Ehr?

Cem Özdemir: Das ist die eine Perspektive. Auf der anderen Seite befürworten 85 Prozent der Bevölkerung eine Werberegulierung, um unsere Kinder zu schützen. Es kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass Kinder das Wertvollste sind, das wir haben. Zudem weiß ich hinter dem Vorhaben Kinderärzte und Krankenkassen, den Verbraucherschutz, Elternvertretungen, Gesundheits- und Ernährungsverbände und viele mehr. Dieses breite gesellschaftliche Bündnis fordert schon lange einen besseren Schutz für unsere Kinder. Und um einen Angriff schon mal vorwegzunehmen: Weder wird Werbung per se verboten, noch werden irgendwelche Lebensmittel verboten.

Das bedeutet?

Wir arbeiten den Auftrag aus dem Koalitionsvertrag ab, das heißt, unsere geplante Regulierung betrifft Werbung für Produkte mit deutlich zu viel Zucker, Fett oder Salz. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Passen die Unternehmen zum Beispiel ihre Rezepturen an, können sie ihre Produkte ohne Einschränkungen bewerben.

„Gutes Essen ist auch eine Sache von Fairness”

Haben Sie mit dieser Wucht gerechnet? Gesundheitsexperten haben Sie ja auf Ihrer Seite.

Dass es auch kritische Stimmen geben würde, überrascht mich nicht. Einige Leute verdienen sehr gut und haben kein Interesse daran, sich umzustellen. Im letzten Jahr wurde mehr als eine Milliarde allein für Süßigkeiten-Werbung ausgegeben, das ist also ein sehr lukratives Geschäft. Gegen Geschäfte habe ich nichts, aber sie dürfen nicht auf Kosten der Gesundheit unserer Kinder gehen. Gut 15 Prozent unserer Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig. Viele davon bleiben es ein Leben lang. Das heißt, diese Kinder haben von Anfang an schlechtere Chancen im Leben. Gutes Essen ist auch eine Sache von Fairness. Es geht um besseren Schutz für Kinder und um Unterstützung für Eltern. Wenn jemand dieses Argument nicht überzeugt, der kann sich auch ganz nüchtern die Folgen für unsere Volkswirtschaft anschauen: Allein durch Adipositas entstehen in Deutschland gesamtgesellschaftliche Kosten in Höhe von 63 Milliarden. Pro Jahr!

Aber sind da nicht vor allem die Eltern in der Pflicht?

Allein kommen viele Eltern gegen diese Werbeflut nicht an, es sei denn, sie lassen ihre Kinder nicht mehr raus, schaffen den Fernseher ab und verbieten ihnen Handy und Computer. Kinder, die Medien nutzen, sehen täglich im Schnitt 15 Mal Werbung für Zuckerbomben und Co im Fernsehen und im Internet. Natürlich beeinflusst das ihr Essverhalten. Wie wir uns ernähren, wird in der Kindheit geprägt, und darum müssen wir hier ansetzen.

Sie wollen etwas verbieten – jetzt heißt es: Da ist sie wieder, die Verbotspartei. Geht Veränderung aus Ihrer Sicht am Ende nur so?

Diesen Unsinn höre ich vor allem von der Union. Deren oberstes Ziel war es in den letzten 16 Jahren, möglichst nichts zu tun – und das sehr erfolgreich. Schauen Sie sich doch mal an, vor welch enormen Herausforderungen unser Land heute steht. Da empfehle ich mit Blick auf die Klimakrise, auf die marode Infrastruktur oder das krasse Höfesterben der letzten Jahre etwas mehr Zurückhaltung. Mit denselben Argumenten hat man übrigens früher auch gegen Nichtraucherschutz oder den Sicherheitsgurt geredet, und da gab es die Grünen noch gar nicht. Heute klingen diese Debatten absurd. Genauso wird man in einigen Jahren darüber reden, wie es überhaupt jemals möglich war, bei unseren Kindern und zulasten ihrer Gesundheit für so ungesunde Lebensmittel zu werben.

„Da wurde sich ja nicht mal die Mühe gemacht, den tatsächlich vorliegenden Entwurf zu kommentieren.“

Sie haben Freund und Feind mit der Präsentation auch überrascht. Wäre es politisch nicht klüger gewesen, die Kritiker – vor allem die in der FDP – früher an Bord zu holen?

SPD, Grüne und FDP haben mich mit dem Koalitionsvertrag gemeinsam beauftragt, die Werbeflut für unausgewogenen Lebensmittel zu regulieren – und das machen wir jetzt zusammen. Die angesprochene Kritik seitens der Werbe- und Süßwarenindustrie ist nun wirklich alles andere als überraschend. Das ist vollkommen legitim und halte ich aus. Das einzige, was mich wirklich überrascht hat, waren die Uralt-Sprechzettel der Leute, die mehr Kinderschutz in der Werbung partout ablehnen. Da wurde sich ja nicht mal die Mühe gemacht, den tatsächlich vorliegenden Entwurf zu kommentieren. Besonders kurios ist, dass offenbar auch die CSU-Regierung in Bayern darauf reingefallen ist und felsenfest behauptet, wir würden Werbung für normale Milch verbieten. Das ist natürlich Quatsch. Ich gehe mal wohlwollend davon aus, dass das ihrer Aufregung im Wahlkampf geschuldet ist, erinnert mich aber eher an den Stil des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.

Sie kennen das Sprichwort: „Fresser werden nicht geboren, Fresser werden erzogen.“ Sind Sie der neue Erziehungsminister?

Ich kenne auch ein Sprichwort: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Wir brauchen also eine Ernährungsumgebung, in der Kinder gesund aufwachsen können. Kinder schützen und Eltern unterstützen, darum geht es.

Die Zeitungsverleger sprechen von einem Angriff auf die Pressefreiheit durch das Verbotsvorhaben, weil Medien sich durch Werbung finanzieren. Hatten Sie diese Folge bedacht?

Den Vorwurf finde ich inhaltlich und im Ton übertrieben. Nochmals: Niemand verbietet Werbung! Uns geht es um Werbung für viel zu süße, salzige und fettige Lebensmittel, die sich an Kinder richtet und deren Gesundheit riskiert. Da geht es also um Art, Inhalt, Gestaltung oder auch das Werbeumfeld. Natürlich können Unternehmen auch bei Kindern weiter werben, aber dann eben für ausgewogene Produkte. Manche Hersteller machen das übrigens schon längst und verweisen explizit darauf, dass etwa ihre Frühstückscerealien die wissenschaftlich basierten Nährwert-Kriterien der Weltgesundheitsorganisation einhalten, an denen wir uns orientieren.

Im Ernst: Hat Ihr Verbotsvorhaben, so gut gemeint es ist, überhaupt eine Chance? Wie wollen Sie den Konflikt mit Werbebranche und Süßwarenindustrie lösen?

Ich weiß ja nicht, mit wem Sie bisher darüber gesprochen haben. Ich freue ich mich über die riesige Unterstützung aus der Gesellschaft, gerade auch von so vielen Eltern. Auch die Verbraucherschutzministerinnen und -minister der Länder haben mich ja parteiübergreifend aufgefordert, hier aktiv zu werden. Und in der Koalition haben wir uns ja, wie bereits gesagt, auf diesen Auftrag geeinigt. Jetzt werden wir die Details diskutieren.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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