Mit dem Medizinforschungsgesetz will die Regierung die Lage des Standorts Deutschland für die Pharmaforschung verbessern. Es sieht viele Neuerungen vor, die aus Sicht des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV) und anderer Gesundheitsakteure durchaus begrüßenswert sind, etwa einen besseren Zugang zu Gesundheitsdaten für die Forschung sowie die Beschleunigung von Studien. Doch mit dem Zugeständnis an die Hersteller, die mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ausgehandelten Rabatte künftig geheimzuhalten, ist die Regierung der Industrie sehr weit entgegenkommen – zu weit aus Sicht der Kostenträger.
Privatpatienten, die ihre Medikamente selbst bezahlen, sollen sich die Rabatte künftig selbst vom Hersteller zurückholen. Das sieht der Referentenentwurf für das Gesetz vor, den das Haus von Karl Lauterbach gemeinsam mit dem Umwelt- und Verbraucherschutzministerium vorgelegt hat. „Der Gesetzentwurf zwingt Patienten dazu, hochsensible Gesundheitsdaten gegenüber Pharmaunternehmen zu offenbaren“, kritisiert Stefan Reker, Geschäftsführer PKV, gegenüber Table.Media. Die Vertraulichkeit von Pharma-Preisen dürfe nicht auf Kosten der Vertraulichkeit von Patientendaten gehen. Im geltenden Recht dürften die Konzerne nicht die gesundheitlichen Verhältnisse einzelner Patienten kennen; als Gewerbebetriebe unterliegen sie nicht der Schweigepflicht.
Am Dienstag läuft die Frist für die Stellungnahmen der Kassen und Verbände zum geplanten Gesetz ab. „Die Einführung vertraulicher Erstattungsbeiträge stärkt (...) nicht den Standort Deutschland“, heißt es in der Stellungnahme des PKV, die Table.Media exklusiv vorliegt. Die Maßnahme liefere „keinen Beitrag für eine effiziente und nachhaltige Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln und führt zu Mehrausgaben.“
Mit diesem harschen Urteil sind sich die privaten mit den gesetzlichen AOK-Versicherungen einig. Die Neuregelung führt aus Sicht der AOK zu beispielloser Bürokratie sowie zu „erheblichen Liquiditätsverschiebungen“ – quasi zinslose Kredite für Pharmahersteller, wie es heißt. Es sei aber „schleierhaft“, warum der Arzneimittel-Absatzmarkt Deutschland durch vertrauliche Rabatte attraktiver würde, wie in der Gesetzesbegründung behauptet. Angesichts der „international einzigartigen frühzeitigen und breiten Verfügbarkeit neuer Arzneimittel“, der freien Preisfestsetzung durch den Hersteller zum Markteinstieg sowie einer „fortgesetzt hohen Ausgabendynamik im Markt patentgeschützter Arzneimittel", heißt es in der Stellungnahme der AOK zum geplanten Gesetz, „ist diese Fördermaßnahme der Pharmaindustrie auf Kosten der Beitragszahlenden weder notwendig noch sachgerecht“.
Die geplante Geheimregelung diene ausschließlich dem Interesse der Pharmakonzern e an Preisvorteilen, sagt auch Reker vom PKV. „Die bürokratische und finanzielle Last tragen dabei ausgerechnet die Versicherten, die sich kostenbewusst verhalten.“ Denn während es bei gesetzlich Versicherten stets ihre Kassen wären, die sich die Geheimrabatte vom Hersteller erstatten lassen müssten, sollen diejenigen Privatversicherten, die ihre Medikamente selbst zahlen, sich dies Geld selbst zurückholen.
Das Gesetz würde eine geradezu irrwitzige Bürokratie einführen, findet Reker: „Wer als Selbstzahler vermeiden will, dass er mehr zahlt, als das Medikament wirklich kostet, muss sich mit dem Kassenzettel der Apotheke an den GKV-Spitzenverband wenden und den verhandelten, aber geheimen Erstattungsbetrag erfragen.“ Mit dieser Auskunft soll der Patient dann das zu viel gezahlte Geld selbst beim Hersteller eintreiben. Dabei wisse der Patient nicht einmal, ob sich der ganze Aufwand am Ende lohnt. Denn auch die Apotheken sollen keine Information darüber haben, ob es für das betreffende Medikament einen geheimen Erstattungsbetrag gibt.
Erschwerend kommen dabei zwei Dinge hinzu: Erstens rechnen laut PKV diese bis zu sechs Millionen Selbstzahler zeitlich verzögert ihre Arzneimittel-Quittungen mit den Kassen ab – etwa nur dann, wenn ihre Gesamtkosten am Ende des Jahres eine gewisse Schwelle überschritten haben. Grund sind Tarife, die diese Versicherten dafür belohnen, wenn sie sich Medikamente gar nicht erstatten können. Ein solches kostenbewusstes Verhalten würde also künftig bestraft.
Zweitens ist da die große Gruppe der privatversicherten „Beihilfeberechtigten“, in der Regel Beamte. Sie müssen Medikamente mit ihrem Dienstherren abrechnen, um Unterstützung zu erhalten. Doch wenn sie bestimmte Erkrankungen nicht offenbaren möchten, etwa weil sie Nachteile bei einer späteren Verbeamtung auf Lebenszeit befürchten müssen, rechnen manche Betroffenen sie nicht ab. Diese „vulnerable Gruppe“ wäre laut PKV doppelt benachteiligt. Denn ihnen würden als Selbstzahler demnächst auch noch etwaige Rabatte entgehen, die eigentlich die öffentliche Hand für sie eintreiben würde – und das bei vielleicht besonders teuren Medikamenten gegen Krebs oder seltene Erkrankungen.
„Das alles ist leider kein Witz" , sagt Reker. „Dieses Bürokratiemonster würde alle Bekenntnisse der Koalition zur Entbürokratisierung Lügen strafen." Denn nicht nur die Beihilfe des Staats, auch die Krankenhäuser und sogar die Justizvollzugsanstalten, die für Häftlinge Medikamente besorgen, müssen künftig die Geheimrabatte erfragen und sich nachträglich vom Hersteller erstatten lassen, sollte das Gesetz wie vorgesehen in Kraft treten.
Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) teilt indes die Sorgen der Krankenversicherer nicht. „Die Vertraulichkeit wird so oder so nur ein Ergänzungsinstrument in der Erstattungswelt der Zukunft sein“, schreibt der VfA auf Anfrage. Es gehe um mehr Flexibilität für Einzelfälle, nicht um ein neues Abwicklungsverfahren für die ganze Republik: „ Hier bauschen die Krankenkassen die Umsetzungsprobleme wohl derzeit etwas auf.“
Überbordende Bürokratie sei aber tatsächlich ein Thema, fügt VfA-Politiksprecher Jochen Stemmler hinzu. Er sieht in den sogenannten Kombirabatten, die das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bringen soll, „ein Bürokratiemonster und zwar für alle Beteiligten.“ Dieses Gesetz wurde im Herbst 2022 erlassen, um die stark steigenden Arzneimittelkosten zu dämpfen. Die Kombirabatte sollen es den Kassen erlauben, einen Abschlag in Höhe von 20 Prozent zu verlangen, wenn mehrere patentgeschützte Arzneimittel kombiniert genutzt werden.
Allerdings sind die Ausführungsbestimmungen für das Gesetz so kompliziert, dass dieser Abschlag in der Praxis noch immer nicht erhoben wird, wie die Bundesregierung in einer Evaluation für den Bundestag Anfang des Jahres feststellte. Das Bundesgesundheitsministerium muss hier nacharbeiten.
Die Privatkrankenversicherungen teilen indes nicht die Angst des VfA vor neuer Kombirabatte-Bürokratie. Im Gegenteil: Sie halten es für ein Unding, dass ihre Versicherungen dem Gesetz zufolge nicht berechtigt sein sollen, die Rabatte überhaupt zu erheben.
Doch letztlich scheint der Verweis auf diese Baustelle wie ein Ablenkungsmanöver. Denn hier geht es um 185 Millionen Euro im Jahr, die die Kassen einsparen können sollen – Peanuts im Vergleich zu den 52,9 Milliarden Euro, die sie 2022 für Arzneimittel ausgeben mussten. Dieser Rekordwert ist auch ein Grund, weshalb das Bundeskabinett versprochen hatte, dass die neue Pharmastrategie dem Gesundheitswesen keine zusätzlichen Kosten aufbürden solle. Reker sieht diese Zusage durch das Medizinforschungsgesetz konterkariert. „Was jetzt auf dem Tisch liegt", sagt er, „entspricht nicht dem, was auf Spitzenebene zugesagt wurde.“