Analyse
Erscheinungsdatum: 12. Dezember 2024

Neues Bündnis in Erfurt: Was an diesem Experiment vorbildhaft werden kann

Was am Donnerstag in Thüringen passiert ist, ist das Ergebnis eines Experiments. Ist es auch ein Modell für die Zukunft?

Im ersten Wahlgang gewählt, mit allen Stimmen, die jenseits der AfD möglich waren – was am Donnerstag im thüringischen Landtag passiert ist, klingt nach Normalität und stabilen Mehrheiten. Doch das Wahlergebnis für Mario Voigt, dem neuen Ministerpräsidenten, ist alles andere als normal. Ob es stabil ist, muss sich erst zeigen. Und dass am Ende sogar die sieben Linken-Abgeordneten für die entscheidende Mehrheit sorgten, zeigt nur, wie sehr Thüringen in eine neue Zeit eintritt.

Die Ereignisse von Erfurt sind das Ergebnis eines Experiments, wie es die Republik so noch nicht gesehen hat. Mit Parteien, für die eine Zusammenarbeit bislang unmöglich schien. Und in einem Umfeld, das noch am Wahlabend nicht mit Stabilität, sondern mit der Gefahr der Unregierbarkeit verbunden wurde. Seit Donnerstag gibt es die Chance, dass man Thüringen nicht mehr mit Streit und Chaos, sondern mit Zusammenhalt und der Überwindung ideologischer Gräben verbindet.

Voigt, die BSW-Landeschefin Katja Wolf und ihr SPD-Kollege Georg Maier haben nicht darüber lamentiert, was fehlen könnte. Sie suchten nach dem, was sie für ihr Bundesland erreichen und vertreten möchten. Entgegen der üblich gewordenen Klage sprachen sie nicht über drohende Schmerzen, sondern über das, was das Land in Schulen, in ländlichen Regionen, im Ringen um Arbeitsplätze und beim Nahverkehr bräuchte. Und dazu haben sie sich durchgerungen, auch mit der Linken ein Verfahren der Konsultation zu beschließen, um sie erst für die Wahl des MPs und später für zentrale Beschlüsse mit einzubinden.

Das Ergebnis: Es gibt mehr Schnittmengen als es die Frontstellungen haben vermuten lassen. Mitten hinein in Ampelbruch und aufziehenden Bundestagswahlkampf schafften es diese drei, das nicht nur hinter verschlossenen Türen auszuhandeln, sondern es mit öffentlichen Auftritten auch vorzubereiten und zu begründen. Sie versteckten sich nicht, sondern vertraten ihren Ansatz transparent und unverstellt. Herausgekommen ist eine Brombeer-Koalition, die das Bemühen um Kooperation höher stellt als das, was alle drei weiter trennen wird. Insbesondere in der Außenpolitik, in der sehr unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen. Voigt, Wolf und Maier aber war die demokratische Handlungsfähigkeit gegen die Angriffe der AfD wichtiger. Das kann Vorbildcharakter bekommen.

Ob das Ganze funktionieren wird, ist offen. Auch Voigt und seine künftigen Partner machen sich, nach allem, was man hört, keine Illusionen. Niemand kann sagen, wie lange Sahra Wagenknecht das Ganze mitmacht, sollte ihr BSW wegen der Kooperationsbereitschaft in den Umfragen sinken. Bis jetzt allerdings hat sich Landeschefin Wolf mit ihrer pragmatischen Linie durchgesetzt.

Unsicherheiten und Kritik gibt es auch bei den Christdemokraten. Die Attacken kommen noch nicht aus der ersten Reihe, sondern eher von der Basis. Aber mit dem Chef des Sozialflügels, Dennis Radtke, gibt es lautstarke Vertreter einer rigiden Ablehnung. Radtke ließ sich am Donnerstag von der Welt mit den Worten zitieren: „Wer abwiegelt und erklärt, es gehe hier nur um eine Länderangelegenheit, hat den Staatsaufbau der Bundesrepublik nicht verstanden.“ Er wolle sich nicht vorstellen, dass im Bundestag „demnächst BSW-Landesminister Wladimir Putin huldigen“ könnten.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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