Nina Warken ist an diesem Morgen gefragt. Ihr Dienstwagen steht nur knapp 20 Meter vom Ausgang der Leipziger Nikolaikirche entfernt. Dennoch braucht sie lange, bis sie einsteigen kann. Viele Ärzte wollen ihre Anliegen noch schnell persönlich loswerden oder direkt einen persönlichen Gesprächstermin vereinbaren. Warken hört zu, lächelt und nickt sehr viel. Mehr kann sie derzeit nicht tun. Mehr braucht es aber auch noch nicht.
Gerade hat Warken ein Grußwort zur Eröffnung des Deutschen Ärztetags gehalten. Der Auftritt zum Beginn des viertägigen Ärztetreffens gehört zu den Pflicht-, aber nicht unbedingt den Lieblingsterminen von Bundesgesundheitsministern. Denn die Ärzteschaft ist mächtig, lautstark und mitunter unbequem. Gegen ihren Willen sind Reformen kaum zu machen.
Seit drei Wochen ist Warken Bundesministerin für Gesundheit. Viele Namen waren zuvor für das Amt gehandelt worden, doch der von Warken fehlte in allen Listen. Der Anruf von Friedrich Merz mit dem Vorschlag, die Leitung des schwierigen Hauses zu übernehmen, hat sie selbst überrascht.
Dem neuen Kanzler fiel Warken in der vergangenen Legislatur als Parlamentarische Geschäftsführerin auf. Integer, verhandlungsstark, entscheidungsfreudig – diese Eigenschaften sagt man ihr in Parteikreisen nach. So hat sie sich in den letzten Jahren akribisch hochgearbeitet. Nur hat das außer Parteiinsidern kaum jemand mitbekommen. 2023 berief der baden-württembergische CDU-Landeschef Manuel Hagel Warken zusätzlich zur Generalsekretärin. Eigentlich sollte sie den Wahlkampf managen, an dessen Ende Hagel Ministerpräsident werden will.
Das wird Warken zwar nicht mehr machen, stattdessen griff sie aber nach einem anderen Parteiamt: Seit dem vergangenen Wochenende ist sie Vorsitzende der Frauen Union. In einer Kampfabstimmung setzte sie sich gegen die nordrhein-westfälische Bauministerin Ina Scharrenbach durch. Warken ist damit auch ständiges Mitglied im CDU-Bundesvorstand. Spätestens jetzt wissen sie in der Partei, dass Warken nicht nur pflicht-, sondern auch machtbewusst ist.
Der inhaltliche Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit lag bislang in der Innen- und Rechtspolitik. Berührungspunkte mit der Gesundheitspolitik finden sich in ihrer Vita nicht – außer, dass sie Mitglied im Begleitgremium des Bundestags zur Corona-Pandemie war, in dem bewusst auch fachfremde Politiker vertreten sein sollten. Verzweifelt suchten Fachverbände und Journalisten daher nach Reden und Interviews, in denen Warken schon einmal irgendetwas zur Gesundheitspolitik gesagt hat. Das Einzige, was sie fanden: Dass sie sich während der Pandemie für eine Impfpflicht einsetzte.
Umso genauer hört die Branche jetzt hin, wenn Warken sich öffentlich äußert. In ihrer ersten Regierungserklärung las sie die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag vor, der in der Gesundheitsbranche auf überwiegend positive Resonanz stieß. Ihre Ankündigung, als Erstes ein Gesetz zum Verbot von Lachgas als Partydroge durchs Kabinett bringen zu wollen, überraschte schon eher. Die Maßnahme ist weitestgehend unstrittig, gehört jedoch nicht zu den drängendsten Problemen im Gesundheitswesen.
Die liegen vor allem bei den Kranken- und Pflegekassen, die sich in einer existenzbedrohenden Krise befinden. Als eine ihrer ersten Amtshandlungen suchte Warken daher das Gespräch mit Finanzminister Lars Klingbeil. Gemeinsam verständigten sie sich darauf, 800 Millionen Euro Steuergeld in den Gesundheitsfonds zu schütten, um die Krankenkassen vor dem Kollaps zu bewahren. Das allerdings ist nur eine kurzfristige Überlebenshilfe. Warken hat das erkannt und zugegeben, dass man mit weiteren Reformen nicht bis 2027 warten kann. Dann soll die noch zu gründende Expertenkommission ihre Ergebnisse vorlegen.
Warken muss schon früher Lösungen finden. Unklar ist noch, wer sie dabei beraten und unterstützen soll. Denn anders als viele ihrer Kabinettskollegen lässt sich die neue Ministerin mit wichtigen Personalentscheidungen Zeit. Die beamteten Staatssekretäre Thomas Steffen und Antje Draheim sind drei Wochen nach dem Ministerwechsel ebenso noch im Amt wie sämtliche Abteilungsleiter. Gerüchteweise soll SPD-Frau Draheim das Haus verlassen müssen und Steffen ins Wirtschaftsministerium wechseln. Als Nachfolgerin kursiert im Haus der Name Sonja Optendrek, die Spahn 2018 als Leiterin des Leitungsstabs ins BMG geholt hatte und die aktuell Staatssekretärin im hessischen Gesundheitsministerium ist. Bestätigt ist davon bislang allerdings nichts. Auch Hanno Kautz, der bereits Jens Spahn und Karl Lauterbach als Sprecher diente, übernahm Warken in ihr Team.
Kautz arrangierte in den ersten Wochen bereits zahlreiche Interviewtermine. Öffentliche Auftritte vor Fachpublikum gab es von Warken bis Dienstag allerdings nicht. Einladungen von Krankenkassen oder Apothekern, die in diesen Wochen ihre Sommerfeste feiern und sich über ein Grußwort der neuen Ministerin gefreut hätten, lehnte sie erst einmal ab. Der Auftritt beim Ärztetag war somit eine Premiere.
Warken überraschte dabei nicht, aber überzeugte trotzdem. Sie bekräftigt die Vorhaben, die ambulante Versorgung zu einem Primärarztsystem umbauen und die lange auf dem Tisch liegenden Vorschläge zum Abbau von Dokumentationspflichten schnell umsetzen zu wollen. Vor allem aber gibt sie den Ärzten mehrmals das Versprechen, sie einzubinden, ihnen zuzuhören.
Das klingt selbstverständlich, ist es nach dreieinhalb Jahren unter Karl Lauterbach allerdings nicht. Der SPD-Politiker hat sich während seiner Amtszeit den Ruf erarbeitet, sich selbst sein bester Ratgeber zu sein. Die Krankenhausreform und die elektronische Patientenakte hat er zwar durchgebracht, mit seinen Alleingängen jedoch viel Vertrauen in der Branche verspielt. Warken kommt das zugute. Wenn die Stimmung am Tiefpunkt ist, kann es nur bergauf gehen.
Mit ihrer Rede stellt sie daher zumindest die Weichen, um die Stimmung wieder zu drehen. „In Zukunft wollen wir mehr kommunizieren und informieren, als das in den vergangenen Jahren der Fall war“, sagt sie. „Gute Kommunikation“, „auf Augenhöhe“, „gemeinsam“ – das sind die Worte, die sich als roter Faden durch ihre Rede ziehen. Es ist das, was die Ärzte aktuell hören wollen. Warken gibt ihnen zumindest die Hoffnung, dass es besser wird. Für den ersten Auftritt reicht das. Doch jetzt muss sie liefern.