Analyse
Erscheinungsdatum: 14. Dezember 2022

Mitwirkung statt Protest: Ceta-Kompromiss überzeugt auch manche früheren Kritiker

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Während vor einigen Jahren noch hunderttausende gegen das Freihandelsabkommen Ceta auf die Straße gingen, gab es gegen die Ratifizierung jetzt wenig Protest. Wie hat das Wirtschaftsministerium es geschafft, dass nicht nur die Grünen plötzlich mit dem lange bekämpften Abkommen leben können, sondern sogar manche der Aktivisten?

Die Bilder könnten unterschiedlicher kaum sein: Am 10. Oktober 2015 demonstrierten im Berliner Regierungsvierten rund 250.000 Menschen gegen die beiden EU-Freihandelsabkommen TTIP (mit den USA) und Ceta (mit Kanada) – die größte Demonstration, die Berlin seit vielen Jahren erlebt hat. Als Ceta gut sieben Jahr später am 1. Dezember 2022 im Bundestag ratifiziert wurde, versammelten sich vor dem Bundestag genau 26 Protestierende – gerade genug, um aus Buchstaben-Schildern die Botschaft „Keine Sonderklagerechte für Konzerne“ zu formen.

Und während 2015 der damalige Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter noch lautstark davor gewarnt hatte, durch Ceta würden „hart erkämpfte Umweltstandards geschleift“ und die „Daseinsvorsorge gefährdet“, stimmte die Grünen-Fraktion dem Abkommen jetzt fast geschlossen zu. Und in dieser Woche wird auch der Bundesrat grünes Licht für Ceta geben – auch mit den Stimmen der Bundesländer, in denen die Grünen mitregieren.

Dass es der Partei gelungen ist, das Abkommen, das einst Massen auf die Straße brachte und das Land polarisierte, dermaßen geräuschlos zu verabschieden, ist auf den ersten Blick erstaunlich. Schließlich hat sich am Text des Abkommens nichts mehr geändert, seit die Grünen sich im letzten Bundestagswahlprogramm gegen die Ceta-Ratifizierung aussprachen. Entsprechend höhnisch reagierte die Opposition von rechts und links im Bundestag auf den Positionswechsel.

Doch auch Grüne, die zum traditionell freihandelskritischen linken Flügel zählen, zeigen sich nicht nur in offiziellen Statements, sondern auch in Hintergrundgesprächen zufrieden mit dem Ergebnis. Denn im Gegenzug für die Ceta-Zustimmung, die angesichts des Drucks von SPD, FDP und Wirtschaft ohnehin unvermeidlich schien (und auf die Robert Habeck und Katharina Dröge die Partei schon im Frühjahr in einem Gastbeitrag in der taz vorbereitet hatten), bekommen sie mehr, als viele erwartet haben:

Während die ersten beiden Punkte bei bisherigen Ceta-Kritikern auf Zustimmung stoßen, gibt es an der Wirksamkeit der Interpretationserklärung Zweifel. Diese sei „rechtlich nichts wert“ befand der frühere Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger im Bundestag – übrigens in seltener Einigkeit mit Unions-Fraktionsvize Julia Klöckner, die die Erklärung als „Beruhigungspille für die Grünen“ bezeichnete. Auch Peter Fuchs von der handelspolitischen NGO Powershift bezweifelt, dass durch die Interpretationserklärung Klagen gegen neue Gesetze verhindert werden.

Franziska Brantner, parlamentarische Staatssekretärin der Grünen im Bundeswirtschaftsministerium, sieht das anders. Die Erklärung sei sehr wohl „rechtlich bindend für die Schiedsgerichte“ sagt sie – und stützt sich auf einen Kronzeugen, den viele Kritiker gut kennen : Markus Krajewski, heute als Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg tätig, war von 2004 bis 2011 Vorstandsvorsitzender von Weed, einer weiteren handelspolitischen NGO, die zu den Initiatoren der Anti-Ceta-Proteste gehörte. Und er war es nach Infomationen des Berlin.Table auch, de r im Auftrag des Wirtschaftsministeriums den Entwurf für die Interpretationserklärung mitverfasst hat.

Die Kritik seiner ehemaligen Mistreiter daran weist Krajewski entschieden zurück. „Wer behauptet, dass die Erklärung unverbindlich sei, hat die besondere Rolle des Gemischten Ausschusses nicht verstanden“, sagte er dem Berlin.Table. Wenn dieses im Rahmen von Ceta eingerichtete Gremium die Erklärung wie vorgesehen verabschiede, sei diese „nicht nur als bloße unverbindliche Auslegungshilfe zu berücksichtigen, sondern als verbindlich zu beachten “, sagt er. Zwar könnten Unternehmen weiterhin gegen staatliche Entscheidungen vor dem Ceta-Schiedsgericht klagen, aber die Erfolgsaussichten seien gering, sagt Krajewski: „Ich gehe davon aus, dass missbräuchliche Klagen schneller und klarer abgewiesen werden können.“

Ein eher positives Fazit zieht auch Felix Kolb, der einst das globalisierungskritische Netzwerk Attac in Deutschland mit aufgebaut hat und heute Geschäftsführer der Kampagnenorganisation Campact ist. Sie gehörte zu den Haupt-Organisatoren der Großdemonstration im Jahr 2016. „Unsere Proteste gegen Ceta waren weder umsonst noch erfolglos“, meint Kolb. „Sie haben das Abkommen wiederholt weniger gefährlich gemacht.“

Dass die Grünen diesen Erfolg nicht stärker herausstellen, dürfte daran liegen, dass er noch nicht gesichert ist. Anders als ursprünglich geplant, ist die Interpretationserklärung vom Ceta-Ausschuss nicht vorab verabschiedet worden, bevor der Bundestag das Abkommen ratifizierte. Nach Informationen aus Regierungskreisen lag das daran, dass die Entscheidung über den Ausstieg aus der Energiecharta nicht länger aufgeschoben werden konnte und die FDP einen festen Termin für die Ceta-Ratifizierung im Bundestag zur Vorbedingung für den Ausstieg gemacht hatte.

Um nicht gänzlich mit leeren Händen dazustehen, hat das Wirtschaftsministerium immerhin erreicht, dass die kanadische Wirtschaftsministerin Chrystia Freeland am Tag vor der Bundestagsabstimmung noch einen Tweet absetzte, in dem sie ihre Unterstützung für einen „schnellen Abschluss der Verhandlungen“ über die gemeinsame Erklärung bekundete.

Ob die Erklärung tatsächlich ohne größere Veränderungen verabschiedet wird, ist aber noch offen. Ein Druckmittel hat Deutschland nach der Ratifizierung jedenfalls nicht mehr.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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