Neulich war der Bundeslandwirtschaftsminister da. Weil er aus anderen Gründen gerade viel durch Baden-Württemberg reist. Vor allem aber, weil er sich die Innovation am Stadtrand von Freiburg mal selbst anschauen wollte, und weil es ein Vorzeigeprojekt ist. Denn am Rande des Kaiserstuhls baut ein sonnenbewegter Winzer nicht nur Wein an – über seinen Reben hat er auch eine Photovoltaik-Anlage installiert. Eine Win-Win-Situation: Die Weintrauben sind vor Hagel, zu viel Feuchte und Sonnenbrand geschützt, und obendrein gewinnt der Winzer mit seiner Anlage Strom. Cem Özdemir ist beeindruckt. Deutschland komme zu langsam voran beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, sagt er. Aber hier sehe man „den Weg in die Zukunft“.
Nicht weit von Freiburg entfernt, im südbadischen Nussbach, hatte ein paar Tage zuvor Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD vorbeigeschaut. Auch er wollte eine Agri-PV-Anlage besichtigen. Auch er staunte über die Äpfel und Birnen, die da unter den Solarmodulen so viel besser aussahen als die ungeschützten Früchte nebenan.
Die Reisenden aus Berlin sind einem Trend auf der Spur. Und vermutlich hat Landwirtschaftsminister Özdemir mit seinem „Weg in die Zukunft“ recht. Denn Äpfel und Beeren, Hopfen und Birnen, Weintrauben und Kirschen mit Solarmodulen quasi zu überdachen und vor Extremwetter zu schützen, erweist sich in immer mehr Regionen als hilfreich. Zwischen 30 und 50 Anlagen soll es in Deutschland inzwischen geben, genau weiß es niemand.
Lange hatte sich das Bundeswirtschaftsministerium gesträubt, die Sache zu fördern. Aber seitdem Robert Habeck mit dem Solarpaket I einen rechtlichen Rahmen geschaffen hat, ist die Sache auch für Landwirte interessant geworden. Vor allem bei Sonderkulturen. Und vor allem dort, wo sie, wie etwa in Baden-Württemberg, zusätzlich staatliche Hilfen erfahren. Und wo ihnen, wie in gleich mehreren Pilotanlagen landwirtschaftliche Ratgeber und Energieexperten zur Seite stehen, wie etwa vom Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE).
Noch ist es eine junge Wissenschaft, und noch fehlen lange Erfahrungsreihen, um die vorläufigen Erkenntnisse als gesichert auszuweisen. Sie fehlen in der Landwirtschaft, und sie fehlen, was die Optimierung der PV-Anlagen angeht. Was ist die ideale Höhe der Module, wie sieht der optimale Einstrahlwinkel aus, sind starre oder nachgeführte Module besser, wo liegt der Kompromiss zwischen maximaler Energieausbeute und hohem Ernteertrag? Die Feuchte und die Sonnenstunden, die Bodenqualität und die Frostnächte, der Anstellwinkel der Module und die passende Obstkultur – Dutzende von Variablen gehen in die Aufzeichnungen der Wissenschaftler ein.
Inzwischen zeichnet sich aber ab: Agri-PV ist ein globaler Wachstumsmarkt, und mutmaßlich einer mit großem Potenzial. Weltweit sind Wissenschaftler auf dem Weg, dem Klimawandel zu trotzen, dafür in kleinerem oder größerem Maßstab Erkenntnisse zu gewinnen, die Ernten zu optimieren, nebenbei Energie zu produzieren – und daraus Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Von einer „absoluten Win-Win-Situation“ spricht auch Systemingenieur und Biologe Oliver Hörnle, bei dem am Freiburger ISE die Fäden zusammenlaufen. 60 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen umfasst die Forschungsgruppe, es ist die größte weltweit. Sie betreuen auch die Anlagen in Freiburg und Nussbach. Das Wissen der Freiburger ist gefragt, in 55 Ländern rollen sie inzwischen ihre Projekte aus, in Indien genauso wie in Lateinamerika, in den USA oder Südafrika. „Der Markt wird kommen“, sagt Hörnle. Allein in den USA rechne man in den nächsten zehn Jahren mit rund zehn Milliarden Dollar Umsatz rund um die Agri-PV-Betriebe.
Dass sich die Anlagen gerade im süddeutschen Raum häufen, ist kein Zufall. Wegen des Klimawandels setzt die Blüte Wochen früher ein als noch vor wenigen Jahren, was wiederum die Gefahr von Frostschäden erhöht, Hagelschlag ist in den Sommermonaten zur Dauerbedrohung geworden, und auch Sonnenbrand und Starkregen haben sich für eine Reihe von Kulturen zur ernsthaften Gefahr entwickelt. Umso mehr suchen die Landwirte und Obstbauern nach Optionen, um ihre Pflanzungen zu schützen.
Ortstermin in Kressbronn am Bodensee, wo der Apfelbauer Hubert Bernhard auf 4.000 Quadratmetern Äpfel züchtet, teilüberdacht von einer PV-Anlage. Unterstützt wird das Projekt von der Landesregierung in Stuttgart, die nicht nur die aufgeständerte PV-Anlage über den Bäumchen zur Hälfte finanziert hat, sondern auch die Beratung für die Apfelzucht und die Sonnentechnik. .
Bernhard berichtet von seinen Erfahrungen. Dass er gleich im ersten Jahr eine prima Apfelernte hatte, deutlich mehr als auf einer Referenzfläche ohne PV-Module: gleiche Böden, gleiche Sorte, gleiche Bedingungen, nur eben ohne Module. Er berichtet, dass er keine Hageleinschläge mehr hat, dass er weniger Feuchteschäden verzeichnet, weil die Module den Regen abhalten und für eine bessere Durchlüftung sorgen, dass er seine Apfelbäumen Sonnenbrand erspart, weil auch in Kressbronn im Sommer 35 Grad und mehr keine Seltenheit mehr sind, was seinen Äpfeln gar nicht gut bekommt. Und dass er auch weniger Frostschäden verbucht, weil es bei klarem Himmel unter seinen Modulen zwischen einem halben und bis zu zwei Grad wärmer ist – was ein entscheidender Unterschied sein kann zwischen Super-Ertrag und Totalausfall.
Nicht zu vergessen der Energieaspekt. Natürlich gelingt nicht immer die optimale Südausrichtung der Module. Dafür liefern sie pro Flächeneinheit bis zu zehn Prozent höhere Stromerträge, weil sie besser durchlüftet sind als vergleichbare Dachanlagen, unter denen sich die Hitze staut, was wiederum den Ertrag mindert.
Zwei Hürden allerdings bleiben: Noch sind die Genehmigungsbehörden, Baubehörden, Landratsämter und Regierungspräsidien überaus zurückhaltend mit Zulassungen. Zudem erweisen sich die regionalen Energieversorger und Netzbetreiber flächendeckend als Bremser. Mal fehlt der Einspeisepunkt, mal angeblich eine einzelne Leitung, mal die Netzkapazität. Und nie sind die Einspeisetarife für die Produzenten zufriedenstellend. Auch dass die Landwirte ihren PV-Strom direkt vermarkten und an potenzielle Kunden, zumeist Unternehmen, verkaufen, ist nicht im Sinn der Stromunternehmen. „Die Energieversorger sind die großen Verhinderer, die wollen das nicht", stöhnt ein erfahrener Projektierer. Ein anderer ist noch zorniger: „Das ist eine Mafia."
Noch ist es zu früh für eine belastbare Bilanz. Aber die Zahl der Missernten und die Schadensfolgen sind unter den Modulen auffallend geringer, es gibt weniger Frost- und Hagel-, Feuchte- und Sonnenschäden – „und ich spare 20 bis 30 Prozent der Einsatzkosten“, sagt Bernhard. Keine Schutzfolie mehr, die er alle paar Jahre ersetzen muss, keine Netze mehr, weniger Dünger, 40 Prozent weniger Wasser, 70 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel und deutlich weniger Sprit, um mit dem Trecker durch die Spaliere zu fahren. Und auch kein Mikroplastik mehr in den Früchten, das sich anreichert und in vielen Sonderkulturen mit Folie bereits nachweisbar ist. Wenn er normalerweise für den Hektar Apfelbäume 15.000€ an Betriebskosten einkalkulieren muss, kommt er bei seiner Pilotanlage nun mit 11.000€ aus.
Es war allerdings ein langer Weg für Bernhard. Landwirte kennen sich aus mit Fruchtfolgen und Düngereinsatz, mit Bodenfeuchten, Vegetationsperioden und den Auswirkungen des Klimawandels. Was sie nicht kennen: Wie man eine PV-Anlage plant, auf Mängelbeseitigung achtet, mit sperrigen Bauämtern um Genehmigungen verhandelt, wie man sich von den regionalen Energieversorgern nicht über den Tisch ziehen lässt, bei Banken günstige Kredite herausholt und beim Stromabnehmer bessere Tarife. Wären die Helfer vom Fraunhofer Institut nicht immer wieder assistierend zur Seite gestanden – Bernhard hätte wohl kapituliert.
Am Bodensee hat sich die Sache herumgesprochen. Und Bernhard teilt sein Wissen gern. Zu Informationsveranstaltungen kommen schon mal bis zu 350 Neugierige. „60 Kollegen habe ich in der Region“, sagt Bernhard, „die sind hochgradig interessiert“.
Wissenschaftler Hörnle kommt gerade aus Namibia zurück, wo er gleich mehrere Projekte betreut. In Indien hilft Fraunhofer ISE beim Aufbau eines Agri-PV-Kompetenzzentrums, die Amerikaner planen eine Forschungsanlage auf einer Fläche von 100 Hektar, „mit 20 unterschiedlichen Systemansätzen“, wie Hörnle berichtet. Die italienische Regierung, die gegen die Trockenheit in der fruchtbaren Po-Ebene ankämpft, unterstützt Agri-PV-Anlagen mit einer Milliardensumme und treibt auch die Forschung intensiv voran.
Der Markt beginnt also zu brummen. In der Hauptstadt verfolgt man die Entwicklung mit Neugier, mehr aber auch nicht. „Die Technologie wurde in Freiburg entwickelt, jetzt beginnt der Wettlauf um die Märkte“, sagt Hörnle. „Jetzt werden die Patente für die nächsten 15 Jahre vergeben.“ Das Paradox: Weltweit wird gefördert und investiert, nur in Deutschland will das Forschungsministerium von Bettina Stark-Watzinger unter dem verordneten Spardruck die Mittel um 30 Prozent kürzen. Immerhin haben Heil in Nussbach und Özdemir in Freiburg versprochen, mit der Kollegin noch einmal darüber zu sprechen.
Hinzu kommen weitere typisch Berliner, typisch deutsche Hürden. Vor allem die Forschungslandschaft bleibt ein Problem: Ein Thema, eine Projektstruktur, aber drei Ministerien, die mitmischen. „Das Wirtschaftsministerium darf nur die Energiekomponente fördern“, berichtet Hörnle. Das Forschungsministerium wiederum unterstützt die Studie, wie sich der Pestizideinsatz unter den Modulen verändert. Das Landwirtschaftsministerium schließlich interessiert sich für die Optimierung der Ernteerträge. Jedes Ressort will auf dem Laufenden gehalten werden, am liebsten mit mehreren Zwischenberichten im Jahr. „Wir verbringen inzwischen mehr Zeit mit Anträgen und Zwischenberichten als mit der eigentlichen Forschung“, stöhnt Hörnle.
Ein bisschen ist es verständlich, denn noch ist der Wissensbedarf enorm. Noch befinden sich die Erkenntnisse, je nach Sonderkultur, regionalem Klima und Böden genauso in einem Frühstadium wie die solare Komponente. Denn nicht alle Anbaukulturen sind gleichermaßen für Agri-PV geeignet. So könnte gut sein, dass es etwa beim Wein wegen hoher Installationskosten und vielfacher Hanglagen bei einigen Versuchsprojekten bleibt. Doch es zeichnet sich ab, dass Agri-PV nicht nur Erträge steigert, sondern alsbald zum Standard für Sonderkulturen gehört. Der Klimawandel macht’s möglich. „Es wird in zehn Jahren in manchen Regionen keinen Anbau ohne Agri-PV mehr geben“, prophezeit Hörnle.
Weshalb es so aussieht, also ob das Rennen um Wissen, Forschungsergebnisse und Wertschöpfungstiefe gerade erst begonnen hat. „Wir sind so weit vorne“, sagt Hörnle nicht ohne Stolz. Noch gehöre Deutschland zusammen mit den USA, Frankreich und Italien zu den führenden Nationen.
Nur, die Gefahr, diesen Vorsprung zu verspielen, ist gerade groß.