Analyse
Erscheinungsdatum: 30. August 2023

Meseberg: Hat die Regierung ausgezankt?

Pressekonferenz nach der Kabinettsklausur der Bundesregierung Bundeskanzler Olaf Scholz SPD, Finanzminister Christian Lindner FDP und Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck Gruene verlassen die Pressekonferenz gemeinsam un gehen in Richtung Schloss nach der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg, Gransee, 30.08.2023 Gransee, Schloss Meseberg Brandenburg Deutschland *** Press conference after the cabinet meeting of the German government Chancellor Olaf Scholz SPD , Finance Minister Christian Lindner FDP and Economy and Climate Minister Robert Habeck Gruene leave the press conference together and walk towards the castle after the cabinet meeting at Meseberg Castle, Gransee, 30 08 2023 Gransee, Meseberg Castle Brandenburg Germany

Bild: Imago / Political Moments
Die Erwartungen vor der Klausurtagung auf Schloss Meseberg waren hoch. Das Treffen markierte das Ende der Sommerpause und einer ersten Legislaturhälfte, die mit viel Tatendrang startete und in ziellose Streitereien mündete. Am Ende verraten Mimik und Gestik dreier Spitzenpolitiker mehr als ihre Worte.

Pressescharen warten am Mittwochvormittag darauf, dass eine Flügeltür sich öffnet. Etwas später als angekündigt, strömt das versammelte Berliner Kabinett zum Gruppenbild vor Schloss Meseberg, mit Blick auf einen Park mit frisierten Büschen, bunten Beeten, weiter Sicht in die Natur.

Cem Özdemir telefoniert mit vorgehaltener Hand, Olaf Scholz marschiert selbstbewusst in die Mitte, ganz nach vorne. „Will niemand neben Olaf stehen?“, fragt Svenja Schulze. Christian Lindner und Robert Habeck rahmen ihren Kanzler dann, als wären sie Leibwächter. Demonstrativ, als passe nichts dazwischen. Ausdruckslos gehen Lindner und Lisa Paus aneinander vorbei.

Gut 24 Stunden ist es her, dass die Spitzen der Berliner Politik angerollt sind. Gut eine Stunde dauert die 70-Kilometer-Fahrt aus der Hauptstadt. Zum Sprechen sind sie gekommen, zum Verhandeln und Versöhnen. Sie bleiben über Nacht, Platz bietet das Gästehaus genug. Während Menschen in Berlin Nächte oft bis in zur Morgendämmerung ausdehnen, hatte das Gros auf Meseberg vor Mitternacht genug. Annalena Baerbock, Scholz, Habeck und Lindner sollen im Haupthaus genächtigt haben. Dessen Schlafzimmer sind nach Bundesländern benannt.

Das Kabinett widmet seine Klausur der Wirtschaft, mit der es inflationsgeplagt abwärts geht. In Wirklichkeit geht es um mehr. Nach einer ersten Legislaturhälfte, die mit viel demonstriertem Tatendrang startete und in noch mehr ziellose Zankereien mündete, drängt sich am Horizont über dem Schloss die Erwartung eines Neustarts auf. Für mehr Einigkeit in der zweiten Legislaturhälfte, weniger gegenseitigem Blockieren.

Ins Schloss darf die Presse nicht. Doch was hinter den gusseisernen Toren geschah, die das Bundeskabinett einrahmten, lässt sich teilweise rekonstruieren. Über künstliche Intelligenz und über digitale Themen habe man gesprochen, Gäste aus den Branchen dazu angehört. Ein Selfie eines Kabinettsmitglieds zeigt die versammelte Runde zwischen glänzenden Ornamenten an einer Tafel quer durch den Raum. Baerbock und Habeck sprechen und gestikulieren zueinander gelehnt, zuletzt kein selbstverständliches Bild. Lisa Paus Rücken an Rücken mit Boris Pistorius. Der Kanzler neben seinem Amtschef.

Nach Spareribs habe es am Abend aus dem Schloss gerochen, sagt eine Polizistin. Zumindest der Geruch des politischen Grillens, er habe Appetit gemacht. Der härteste Kern hält bis halb zwei morgens durch. Hubertus Heil gehört dazu. Wie viel Leergut sich angesammelt hat, will man sich niemand genau erinnern. Nur Pfand, das sei es eher nicht gewesen.

Die eine wirkliche Neuerung, Eckpunkte zur Entbürokratisierung Deutschlands, verkündet Marco Buschmann am nächsten Mittag nach dem Gruppenbild. Er und andere tröpfeln aus dem Gebäude, ehe das Abschluss-Wort verkündet ist. Lisa Paus huscht aus der Vordertür, ehe Lindner nochmal nach vorne tritt.

Zum Abschlussstatement erscheinen er, Habeck und Scholz vor der barocken Schloss-Kulisse. Der Kanzler redet viel und sagt doch wenig. Verspricht ein „großes Deutschlandtempo“, die Sommerpause sei „für die Regierung produktiv“ gewesen. Die Regierung hämmere viel, erzählt dann Lindner. Und Scholz ergänzt, sie wolle das mit Schalldämpfer tun.

Widersprechen wollen die drei einander vor der Presse nicht. Nur in Nuancen dringen verschiedene Einschätzungen durch. Als „sehr, sehr gute Tagung“ sieht Habeck den Treff auf Meseberg. Bei Lindner klingt das etwas weniger euphorisch: „Es war eine gute Klausurtagung hier in Meseberg.“ Mehr verraten Mimik und Gestik der Politiker. Habeck, mit braunem Teint und ohne Krawatte, balanciert mal von Fuß zu Fuß, grinst mal in die Menge, faltet seine Hände, wendet sich dann wieder zu den anderen. Fast etwas hippelig erscheint der Minister.

Daneben Lindner, zugeknöpft, in Krawatte. Statuenartig verharrt er am Pult, die Augen müde, beißt er sich auf die Lippen, knetet Finger, lässt den Blick immer mal auf das Pult nach unten wandern. Zum öffentlich bekannt gegebenen Ergebnis der Klausur passen die Gesten nicht; immerhin vertagte das Kabinett eine Entscheidung für den Industriestrompreis, den Lindner vehement ablehnt.

Ins Schloss entschwinden die drei nochmal zusammen. Danach trennen sich ihre Wege. Olaf Scholz verlässt das Schloss am lautesten. Ein Helikopter trägt den Bundeskanzler in die Luft. Veranstaltungstechniker räumen das Feld. Anwohner registrieren ungerührt, dass der Trubel ihrem Ort entweicht. „Interessiert uns nicht wirklich“, sagt eine Mesebergerin aus ihrer Einfahrt. „Die machen ja eh, was sie wollen.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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