Das Verbleiben von Maximilian Krah an der Listenspitze der AfD für die Europawahl hat am Mittwoch auch eine andere Liste verlängert, die nach gut elf Jahren Parteigeschichte prall gefüllt ist: Die der Grenzüberschreitungen, der schweren Tabus, die weitgehend folgenlos bleiben. Parteimitglieder, auch hochrangige, haben geradezu ausgereizt, was alles geht, ohne rausgeworfen zu werden – Krah besonders. Vorwürfe der Korrumpierbarkeit, verbale Entgleisungen, Alleingänge, nun noch ein Mitarbeiter, der aus Krahs Brüsseler Abgeordnetenbüro Spionage für China betrieben haben soll.
Am Tag nach der Festnahme von Jian G. hat die AfD-Spitze Krah nach Berlin beordert, um ihn am Mittwochvormittag zu sprechen. Ergebnis der „gemeinsamen Beratung“: „Um den Wahlkampf sowie das Ansehen der Partei nicht zu belasten, entschied er am bevorstehenden Wahlkampfauftakt in Donaueschingen nicht teilzunehmen“, so das Statement von Tino Chrupalla und Alice Weidel. Mehr nicht. Krah bleibt.
Das Erstaunen über die Folgenlosigkeit ist insofern nachvollziehbar, als es in der Geschichte der Bundesrepublik schon Kanzler gab, die wegen Spionagevorwürfen ihrer Mitarbeiter zurücktgetreten sind. Vergleichen lassen sich politische Persönlichkeiten wie Willy Brandt mit einem Maximilian Krah aber erstens ohnehin schwer – Krah verfügt erst gar nicht über ein rechtschaffenes oder zumindest halbwegs intaktes Image, das der Skandal zerstören könnte. Außerdem würde es nicht ins Muster der AfD passen, ihren prominenten Spitzenkandidaten 46 Tage vor der Europawahl aus dem Rennen zu nehmen. Nicht nur wäre der Aufwand denkbar hoch, die Wahlliste ist schließlich längst abgenommen.
Auch das Image der Partei würde möglicherweise schwerer unter einem Rückzug, einer Quasi-Bestätigung des Skandals leiden, als unter dem Festhalten am Kandidaten Krah, so schwer sein Ballast auch wiegen mag. Der rechtsextreme Vordenker der Szene, Götz Kubitschek, setzt die Parteispitze regelmäßig und so auch am Dienstag wieder unter Druck, sich bloß nicht schwach zu zeigen oder gar Versäumnisse und Fehler einzuräumen. Nachdem Weidel im Januar ihren Referenten Roland Hartwig für dessen Teilnahme am Treffen in der Villa Adlon bei Potsdam entlassen hatte, folgte Kubitscheks Kritik prompt. In der Causa Krah forderte Kubitschek unbedingte Standhaftigkeit. Und Kubitschek spricht, selbst wenn er aufgrund der Unvereinbarkeitsliste kein Parteimitglied werden konnte, für relevante und große Teile der Partei. Für ihn gibt es keinen Skandal um Krah, sondern nur das hasserfüllte Establishment, das mit allen Mitteln gegen die AfD und ganz besonders Björn Höcke und Krah vorgehe.
Noch dazu wäre es mit Krah nicht getan. Nicht nur gegen den Erstplatzierten auf der Europa-Liste halten die Vorwürfe an, sondern auch gegen den Bundestagsabgeordneten Petr Bystron auf Platz zwei, der unter anderem Geld von Russland für entsprechende politische Positionierung genommen haben soll. Aus Parteikreisen hat Table.Briefings erfahren, dass man bei Bystron und in seinem Umfeld noch mehr Skandale befürchtet als bei Krah. Manche von ihnen könnten in den Wochen vor der Wahl am 9. Juni noch aufblitzen. Wirklich entledigen könnte sich die AfD ihrer beiden Erstplatzierten für Europa gegen deren Widerstand aber nicht.
In der Fraktion spalten sich die Meinungen in der Causa Krah. Für die „blaue Blase“, wie ein Parteimitglied es gegenüber Table.Briefings formulierte, gilt die Unschuldsvermutung, sie wähnten noch vor jeglicher Äußerung Krahs am Dienstag „böse Anschuldigungen“ gegen „den armen Max“. In parteiinternen Chats kursieren Verschwörungserzählungen, wonach die Festnahme eine Reaktion auf das Podcast-Gespräch sei, das Krah der Plattform Jung und Naiv gegeben hat. „Wer wirklich wissen will, wer ich bin und was ich politisch erreichen will, der schaut mein Marathon Interview (…) das schon über 700.000 Aufrufe hat!“, twitterte Krah auch am Mittwoch wieder. Was allerdings auch die Russland-Freunde stört, ist allmählich die Sorge um das Europa-Wahlergebnis, das Schaden nehmen könnte.
Fraktionsmitglieder, die Krah weniger nahe stehen, zeigen sich von der Festnahme seines Mitarbeiters nicht überrascht. Schon früher habe sich Krah in Debatten für China verwand t, Anträge etwa gegen den Huawei-Konzern verhindert; seine Sympathien für die Autokratie seien bekannt. Außerdem sei auch bekannt, dass der „Schampus-Maxe“ aus Sachsen über die Verhältnisse lebe, die sich mit gewöhnlichen Abgeordneten-Bezügen finanzieren lassen. Nicht nur seine acht Kinder kosten Geld; Krah zeigt sich auch gern mit Rolex oder in Maßgeschneidertem mit seinen Initialen. Dem Vernehmen nach ist Krah verschuldet, auch bei Kollegen aus der Partei. Dass Geld aus anderen Quellen als den öffentlich bekannten fließen könnte, munkelt man schon lange. Krah bestreitet das beharrlich.
Zu den fraktionsinternen Kritikern gehören am Tag nach Bekanntwerden der Festnahme etwa Jürgen Braun aus Baden-Württemberg oder Rainer Kraft und Norbert Kleinwächter aus Bayern; Letzterer wäre selbst gern Spitzenkandidat für Europa geworden. Zu Krahs Verteidigern gehört der äußerst Russland-freundliche Matthias Moosdorf, wie Krah einer der besonders akademischen und elitären Sachsen in der Partei.
Auch anderen Fraktionsmitgliedern werden es allmählich zu viele „Zufälle“ um Krah und Bystron. Sie forderten schon in der Fraktionssitzung am Dienstag eidesstattliche Versicherungen der beiden. Hannes Gnauck, Vorsitzender der Jungen Alternative und Bundestagsabgeordneter aus Brandenburg, kritisierte während der Sitzung mit Blick auf Krah: Die AfD werbe mit Politik für das Volk – das sei angesichts der Schlagzeilen allmählich nicht mehr glaubwürdig. Seit Jahren werfe die AfD anderen Parteien vor, die USA nähmen bei ihnen Einfluss; das lasse sich allmählich nicht mehr aufrechterhalten, bei den regelmäßigen belastbaren Vorwürfen gegen Spitzenleute aus eigenen Reihen, sich von Russland oder China beeinflussen zu lassen.
Manche sind frustriert, die meisten Fraktionsmitglieder sehen es allerdings pragmatisch: Die bereits angenommene Liste sei kaum noch zu ändern. Strategie soll nun eher sein, Krah aus dem Spiel zu nehmen und im Hintergrund zu belassen. Keine Videos mehr und keine Plakate. Deshalb auch kein Auftritt beim Wahlkampfauftakt in Donaueschingen. Ob der AfDler mit dem wohl breitesten Auftritt auf TikTok, Youtube und anderen Plattformen das mitmacht, ist noch unklar. Dass Krah für die AfD zum Problem geworden ist, empfinden inzwischen die meisten Abgeordneten.
Auf die Tagesordnung der Fraktionssitzung am Dienstag hatte Alice Weidel das Thema spontan gesetzt; für Weidel, die vielen Abgeordneten zuletzt eher durch ihre Passivität oder Abwesenheit aufgefallen ist, keine Selbstverständlichkeit. Allerdings half es ihr gewissermaßen: dadurch, dass die Fraktion außergewöhnlich lang über Krah debattierte, kam ein anderes Thema nur kurz vor – die Debatte über die Kritik von Dirk Spaniel, der Weidel und andere aus dem Landesverband Baden-Württemberg erst kürzlich offen attackiert hatte. Nach einem gescheiterten Schlichtungsverfahren sollte es am Dienstag eigentlich länger darum gehen. Als etwa der Abgeordnete Gereon Bollmann kritische Worte fand, hatte Weidel den Sitzungssaal gerade verlassen. Danach beerdigte man das Thema schnell, trotz längerer Redner-Liste.
Angenehm war auch die Debatte über Krah nicht für die Parteispitze. Abgeordnete kritisierten, sie fühlten sich nicht ausreichend informiert. Mangelhaft informiert zeigte sich auch Weidel: Von der Befragung durch das FBI etwa habe sie nicht von Krah erfahren, sondern aus der Presse. Aus der Presse will auch Krah erst erfahren haben, dass sein Angestellter in Dresden festgenommen wurde. Dabei sollen die Anwürfe in Brüssel schon länger „Stadtgespräch“ gewesen sein - und die AfD seit fünf Jahren beschäftigen. Krah soll am Dienstag den Anwalt seines suspendierten Assistenten um Entbindung der Schweigepflicht gebeten haben.
Der Wunschkandidat der Parteispitze für die Europawahl war Krah nie. Er gilt als eins der größten Egos in der Partei; nicht unbedingt leicht kontrollierbar, sehr von sich selbst überzeugt, mit eigener Agenda. Manchen gilt der Jurist mit elitärer Studiengeschichte als arrogant und abgehoben, gerade im Vergleich zu Chrupalla, der nicht müde wird, seine Handwerker-Herkunft zu betonen. Allerdings fehlte es an ähnlich prominenten Alternativen für die Listenspitze. Von hoher Funktionsebene lautete es, gefragt nach Krah, schon häufiger: „Die Europawahl geht auch vorbei.“ Das scheint auch jetzt Hoffnung der AfD zu sein.