Es geht dabei um die Kapazität der LNG-Terminals in Deutschlands Nachbarländern. Insgesamt verfügen Polen, Niederlande, Belgien und Frankreich über acht Terminals für den Import von Flüssiggas. Diese spielten durch ihre geographische Nähe „zwar für die Versorgung Deutschlands heute schon eine wichtige Rolle“, schrieb das von Robert Habeck geführte Ministerium in einem Papier, das Mitte Dezember zur der Einweihung des ersten deutschen LNG-Terminals an die Medien verschickt wurde. „Diese stellen zusammen aber zusammen eine Regasifizierungskapazität von nur ca. 40 Mrd. m³ im Jahr dar – bei einem Gasbedarf von ca. 95 Mrd. m³ pro Jahr allein für Deutschland“, heißt es darin weiter.
Doch diese Angabe ist nicht korrekt. Wie eine Auswertung der täglichen Zahlen der europäischen Gasnetz-Betreiber (AGSI) durch Berlin.Table ergibt, haben die Terminals in den genannten Nachbarländern im Jahr 2022 fast 70 Milliarden Kubikmeter eingespeist. Auch das entspricht aber noch nicht der Maximalkapazität; diese beträgt 96 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, wenn man die Betreiber-Angaben aufsummiert und sogar 99 Milliarden Kubikmeter, wenn man den realen Tageshöchstwert jedes Terminals auf das Gesamtjahr hochrechnet.

Eine schlüssige Erklärung für die falsche Angabe liefert das Ministerium auf Anfrage nicht. Denkbar ist, dass man sich bei der angegebenen Zahl von 40 Milliarden Kubikmetern an den Werten der Vorjahre orientiert hat: 2020 wurden an den LNG-Terminals der Nachbarländer 38 Milliarden Kubikmeter Gas eingespeist, 2021 waren es 33 Milliarden Kubikmeter.
Schon länger halten Experten die Planung der deutschen LNG-Terminals für überdimensioniert. Die mutmaßlich falsche Berechnung hat dabei offensichtlich eine wichtige Rolle gespielt. Robert Habeck hatte vor der Einweihung des ersten Terminals in den Tagesthemen behauptet, ohne eigene Anlandepunkte drohe in Deutschland in diesem Winter eine „Gasmangellage“. Auch in der Begründung für das im Mai verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz (hier als pdf) heißt es: „Die Kapazität der bisher vorhandenen, für Deutschland nur teilweise nutzbaren europäischen LNG-Terminals kann – selbst bei einhundert prozentiger Auslastung – den Ausfall der russischen Lieferungen für Europa nur zu einem geringen Teil decken.“
Importe sind stark gestiegen
Das stimmt offenkundig nicht. Tatsächlich können die in den Nachbarländern vorhandenen Terminals den Ausfall der russischen Erdgas-Lieferungen über Nord Stream 2, die 2021 bei etwa 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr lagen, bei voller Auslastung nicht nur zu einem geringen Teil decken, sondern fast vollständig. Das zeigt sowohl der Vergleich der tatsächlichen Kapazität mit den Lieferungen der Vorjahre als auch die Realität der vergangenen Monate: Dass es in Deutschland (und seinen Nachbarländern) trotz der seit Anfang September vollständig gestoppten Gas-Lieferungen über Nord Stream 2 nicht zu einer Mangellage gekommen ist, sondern die Speicher vielmehr so gut gefüllt waren wie nie zuvor, liegt – neben dem Verbrauchsrückgang um etwa 15 Prozent – vor allem an zusätzlichen Gas-Lieferungen über die LNG-Terminals in den Nachbarländern.
Das geht ohne größere Probleme. Nur Polen benötigt das an seinem Terminal angelandete Flüssiggas komplett selbst, um die entfallenden Lieferungen aus Russland zu kompensieren. Die Niederlande und Belgien haben dagegen ihre Gasexporte nach Deutschland nach dem Stopp der Lieferungen aus Russland stark ausgeweitet; Frankreich, das zuvor stets russisches Gas aus Deutschland bezogen hat, liefert seit September nun seinerseits LNG-Gas nach Deutschland – teilweise über die Schweiz. Und selbst im Dezember 2022, dem Monat mit den bisher höchsten LNG-Einspeisungen, waren die Terminals in den Nachbarländern nur zu 86 Prozent ausgelastet.