Man muss lange suchen, um in der FDP Menschen zu finden, die an einen Erfolg ihrer Partei bei den drei Landtageswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg glauben. Zumindest unter westdeutschen Politikern. Dass die Liberalen es schaffen, in die Landtage von Potsdam und Dresden einzuziehen, denen sie derzeit ohnehin nicht angehören, glaubt kaum jemand. Und in Thüringen weiß man nicht, ob man sich über den Wiedereinzug des Landesverbands von Thomas Kemmerich überhaupt freuen sollte.
Auch in Umfragen sieht es schlecht aus. Im am Freitag veröffentlichten ZDF-Politbarometer für Sachsen und Thüringen wird die Partei nicht mehr einzeln ausgewiesen. Doch vor Ort sind die Wahlkämpfer überraschend optimistisch. Die Landesverbände haben sich in den vergangenen Jahren teils komplett neu aufgestellt – und kämpfen mit höchst unterschiedlichen Kandidaten und Strategien für den Erfolg.
In Sachsen spielt die Vergangenheit noch immer eine große Rolle. Und das in doppelter Hinsicht. In den Köpfen Vieler ist der Verband noch immer eng mit den Namen Holger Zastrow verbunden, der Anfang des Jahres aus Frust über die Ampel-Regierung aus der Partei ausgetreten ist und nun mit eigenen Listen in sächsischen Städten Kommunalpolitik macht. Zastrow führte den Landesverband im Alleingang, lag mit vielen in der Bundespartei über Kreuz. Doch dieses Kapitel wollen sie nun hinter sich lassen.
Landeschefin Anita Maaß und Spitzenkandidat Robert Malorny haben den Verband wieder näher an die Bundespartei herangeführt. Während Zastrow die Kampagne 2019 noch komplett selbst gestaltet hatte, ist nun die Agentur „Heimat“ im Boot, die das Branding der Partei seit Beginn der Lindner-Ära verantwortet.
Eine typische FDP-Kampagne ist es dennoch nicht. Auf das im Markenbild mittlerweile sehr präsente Magenta haben sie komplett verzichtet. „Wir wollten wieder zurück zu den Ursprüngen der FDP“, sagt Malorny zu Table.Briefings.
Das passt auch zu einem Motiv, das in seinen Reden und Veröffentlichungen eine große Rolle spielt: Der Freiheitskampf von 1989/90. Der werde bei dieser Wahl weitergekämpft, lautet seine Botschaft. In seiner Rede auf dem Bundesparteitag sagte Malorny, bei der Wahl werde sich entscheiden, ob dieser Freiheitskampf „fortgeschrieben oder aber umgeschrieben oder gar ausradiert wird“. Wer die FDP wähle, stimme auch für ein „traditionsbewusstes“ Sachsen, erklärte er in seiner Bewerbungsrede auf dem Landesparteitag. Für einen Liberalen sind das ungewöhnliche Töne.
Malornys Problem: In Sachsen kennt ihn kaum jemand. Bislang war er lediglich ehrenamtlicher Kommunalpolitiker im Dresdner Stadtrat. Um auf sich aufmerksam zu machen, holt er sich prominente Unterstützung aus der Bundespolitik. Alle Minister seien bereits da gewesen, erzählt er stolz. Das hätte es unter Zastrow nicht gegeben.
Am Donnerstag kam Christian Lindner vorbei. Sie haben zum Bürgerdialog in ein Hotel in Zwickau geladen. Rund 80 Teilnehmer sind gekommen. Doch ausgerechnet wegen des Gastes hat Malorny es schwer. Fünf Minuten begrüßt er die Gäste, stellt sich vor, rattert die wichtigsten Stichpunkte seines Wahlprogramms herunter. Dann bittet er Lindner auf die Bühne. Der übernimmt gleich auch die Moderation, erklärt die Spielregeln, nimmt die Fragesteller selbst dran und antwortet ihnen. Malorny steht dahinter und schaut zu. Einmal fragt er vorsichtig „Christian, darf ich?“ Ansonsten bleibt es eine Lindner-Show.
Am Ende der 90 Minuten bittet Malorny die Zuschauer noch kurz um ihre Stimme am 1. September. Ein Parteivorsitzender, der von seinem Spitzenkandidaten überzeugt ist, würde eine solche Veranstaltung wohl nutzen, um dem Publikum selbst zu erklären, weshalb sie diesem Mann unbedingt ihre Stimme geben sollten. Lindner tut das jedoch nicht.
Anders ist das in Brandenburg. Mit dem 29-Jährigen Zyon Braun haben die Liberalen einen jungen Spitzenkandidaten, den Lindner schätzt. Der Parteichef hält engen Kontakt zu ihm und machte ihn im April zum Geschäftsführer des neu gegründeten FDP-Wirtschaftskreises. So kann sich Braun, der 2021 auch den Vorsitz des brandenburgischen Landesverbandes von Linda Teuteberg übernommen hat, auch hauptberuflich der Partei widmen. Zwölf Wahlkampfauftritte absolviert Linder in Brandenburg – in Sachsen sind es nur acht.
Doch Braun hat ein ähnliches Bekanntheitsdefizit wie Malorny. Trotz einer peppigen Kampagne bleiben die FDP in Umfragen bislang unter der Drei-Prozent-Marke. Der rbb will Braun zum „Kandidatencheck“ daher gar nicht erst einladen.
Dagegen wehrt er sich. „Wenn das Ziel der Wahlarena ein offener Austausch von Positionen ist, wäre ein Fehlen der Freien Demokraten ein Skandal“, sagt er Table.Briefings. „Mit der Entscheidung, eine weltoffene und liberale Partei der Mitte, welche sogar Teil der Bundesregierung ist, nicht einzuladen, sollen Wahlergebnisse vorweggenommen werden.“ Das verzerre den Wahlkampf und benachteilige die FDP einseitig. Braun kündigt an: „Wir werden diese willkürliche Schikane des rbb nicht akzeptieren.“ Ein Brief, in dem er auf das Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts zu einer Wahlsendung des WDR verweist, ist am Freitag in der rbb-Intendanz eingegangen.
Mit diesen Problemen hat Thomas Kemmerich nicht zu kämpfen. Der FDP-Spitzenkandidat ist nach Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und AfD-Frontmann Björn Höcke der prominenteste Landespolitiker, seitdem er sich 2019 mutmaßlich mit Stimmen der AfD und CDU zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten hatte wählen lassen. „Natürlich hat das meine Bekanntheit nach oben geschraubt“, sagt er zu Table.Briefings. Den vor seinen Füßen liegenden Blumenstrauß nach der Wahl hätten die Thüringer noch bildlich vor Augen.
In der Partei hat Kemmerich sich und seinen Landesverband damit allerdings isoliert. Aus dem Hans-Dietrich-Genscher-Haus gibt es keinerlei Unterstützung, weder finanziell noch strategisch. Zu Lindner hat Kemmerich keinen Kontakt.
Bereuen will er den Schritt von damals trotzdem nicht: „Ich würde jederzeit wieder für ein Amt im Landtag kandidieren und die Wahl auch annehmen.“ Zudem hat sich das Abkapseln von der Bundespartei bislang nicht negativ ausgewirkt. Sein Wahlkampfbudget liege etwa bei einer halben Million Euro. 2019 habe er dieselbe Summe gehabt, allerdings mit 350.000 Euro Zuschüssen aus Berlin. Jetzt habe er alles über Spendengelder eingeworben.
Doch sein wohl größer Pluspunkt ist, dass er für Menschen wählbar ist, die von der FDP in der Ampel enttäuscht sind. Er werde im Wahlkampf oft gefragt, ob sie Lindner ärgern könnten, wenn sie Kemmerich wählen, berichtet er. „Die Leute wissen, dass ich meinen eigenen Kopf habe.“
Offen unterstützt wird Kemmerich aus der Bundespolitik nur von Wolfgang Kubicki. Und das reiche auch aus, sagt Kemmerich. Außerdem sei er in der Partei gar nicht so isoliert, wie es aussehe: „Ein großer Teil der Basis tickt anders als die in Berlin.“ Bei einer Kundgebung zum Auftakt in die heiße Wahlkampfphase am Samstag in Jena sieht er sich darin bestätigt. Mitglieder aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen sind angereist, um ihn im Wahlkampf zu unterstützen. „Wir sind die echten Liberalen“, ruft der Schlussredner in die Menge.
Zuvor hatte Kemmerich sein Wahlprogramm umrissen: Mehr Gestaltungsfreiraum für Schulleiter, mehr Digitalisierung in den Schulen, weniger Vorschriften für Unternehmen, gemeinnützige Arbeit für erwerbsfähige Bürgergeld-Empfänger.
Inhaltlich ist Kemmerich von der Bundespartei gar nicht weit entfernt. Die FDP-Forderungen sind überall dieselben. Kandidaten und Kampagnen unterscheiden sich allerdings deutlich. Doch momentan sieht es so aus, als stünde am Ende für alle dasselbe Ergebnis: die außerparlamentarische Opposition.