Analyse
Erscheinungsdatum: 18. Februar 2025

Koalitionsbildung: Vier mögliche Wahlausgänge und ihre Folgen 

Bei der Bundestagswahl könnten schon kleinste Verschiebungen zu den aktuellen Umfragen die Optionen für die Regierungsbildung beeinflussen. Ein Blick auf mehrere Szenarien.

Spricht man dieser Tage mit Wahlforschern, dann hört man vor allem eines: Alles ist offen. Niemand kann einschätzen, wie sich die letzten Duelle und die finalen Auftritte noch auswirken. Und niemand weiß zu sagen, wer sich unter den Wählerinnen und Wählern am Ende zu den Gewinnern gesellen möchte – und wer genau das Gegenteil tut, um einer kleineren Partei doch noch über die Fünf-Prozent-Hürde zu verhelfen.

Wenige Tage vor der Wahl gibt es deshalb nur zwei Gewissheiten. Erstens wird Friedrich Merz wohl derjenige sein, der eine Koalition zusammenschmieden muss. Und zweitens könnten am Sonntag schon kleinste Verschiebungen zu den aktuellen Umfragen seine Möglichkeiten für eine Regierungsbildung radikal verschieben. Deshalb werfen wir vorab einen Blick auf verschiedene Möglichkeiten und ihre Konsequenzen.

Szenario I: Merz kann zwischen SPD und Grünen wählen

Ohne dass es in der Union viele laut aussprechen, ist das so etwas wie das Traumszenario für die Christdemokraten. Wenn sowohl FDP als auch BSW an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, kann die Union voraussichtlich nach dem Vorbild von Hessen mit SPD und Grünen sondieren – und sich danach für einen Partner entscheiden. Gemessen am Versprechen, einen „echten Politikwechsel“ (Merz) durchzusetzen, wird auch das alles andere als einfach. Aber die Chance, dass er vor allem mit dem Duo Boris Pistorius und Lars Klingbeil eine verlässliche Grundlage finden könnte, scheint möglich. Das gilt für den Umgang mit der großen Weltkrise inklusive Ukraine genauso wie bei einer schärferen Migrationspolitik. Selbst eine Lösung des Streits um eine Reform der Schuldenbremse scheint nach dem Knall von München möglich. Die eigentliche Hürde sind nicht die beiden SPD-Politiker. Es wird die finale Entscheidung der SPD sein, ob auf einem Parteitag oder bei einer Mitgliederbefragung. Dass die Grünen eine echte Alternative sein könnten, gilt als unwahrscheinlich. Zu harsch hat die CSU das ausgeschlossen. In der CDU hat das viele geärgert; sie ahnen längst, dass Markus Söders Grünen-Bashing vor allem eine Konsequenz hat: Die SPD kann die Bedingungen hochschrauben.

Szenario II: Die FDP kommt rein – und wird sofort gebraucht

Diese Variante bereitet in der Union vielen schon jetzt große Bauchschmerzen. Es gibt zwar manchen, der aus alter Tradition leise Sympathie für die alte, klassische FDP hegt. Aber die Vorstellung, man müsse in dieser heiklen Phase mit der zuletzt wenig staatsmännischen Lindner-FDP ein Bündnis schließen, macht vielen Sorgen. Zum einen, weil die aktuelle FDP-Führung nicht als wirklich verlässlich erlebt worden ist; zum anderen, weil das Thema Schuldenbremse spätestens seit der MSC zentrale Bedeutung bekommen hat. Und hier fehlt vielen Mitgliedern der CDU-Führung die Fantasie, dass Lindner die neue Koalition mit einem fundamentalen Kurswechsel beginnen könnte, nachdem er die letzte Koalition genau an diesem Thema hat platzen lassen. Hinzu kommt: Keine Partei war nach dem Bruch mit der FDP so glücklich wie die SPD. Deshalb ist schwer vorstellbar, dass die SPD-Basis einem Bündnis unter Merz und dann auch noch mit der Lindner-FDP zustimmt.

Szenario III: Merz erreicht nur mit SPD und Grünen eine Mehrheit

Davor fürchten sich in der Union im Augenblick so gut wie alle. Zum einen, weil SPD und Grüne fast gleichstark wären wie CDU und CSU. Das hieße, dass das eigene Gewicht im Gesamtgefüge der Koalition immer kleiner würde – und damit der Anspruch eines Politikwechsels immer schwerer durchzusetzen wäre. Zum anderen, weil die Beteiligung der Grünen insbesondere in der CSU als nahezu ausgeschlossen gilt. Es würde Merz größtes Verhandlungsgeschick in den Gesprächen mit SPD und Grünen abverlangen, ein Ergebnis zu erzielen, das tatsächlich als Kurswechsel und Neuanfang verkauft werden könnte. Und das insbesondere in der Wirtschafts-, Klima- und Migrationspolitik. Nach den letzten Wochen im Wahlkampf ist das schwer vorstellbar. Zugleich weiß Merz genau, dass ihm das durchaus passieren kann. Aus diesem Grund hat er intern die Parole ausgegeben: Ab 18.01 Uhr am Sonntagabend fällt kein böses Wort mehr, nicht gegen die SPD, nicht gegen die Grünen.

Szenario IV: Die Union holt viel mehr Stimmen – und muss dafür einen Preis zahlen

Das klingt aus Sicht von Merz wie ein Traum nach den seit Monaten quasi eingefrorenen Umfragewerten. Trotzdem halten das in der engsten Führung der CDU nicht wenige aktuell für möglich. Zum einen, weil am Ende mehr Wähler beim erwartbaren Sieger sein wollen; zum anderen, weil weder die SPD noch die Grünen glaubhaft behaupten können, dass sie noch eine Chance auf die Kanzlerschaft haben. Merz ist so gesehen ein Kandidat ohne direkte Konkurrenz geworden. Auch das kann der Union noch Stimmen zuführen. Allerdings, und das könnte zum Haken werden: Wenn ein solcher Erfolg der Union auf Kosten der Sozialdemokraten eintreten sollte, wäre die SPD-Spitze nicht nur demoralisiert, sondern intern auch so geschwächt, dass ihr die Stärke fehlen könnte, in der eigenen Partei ein Bündnis mit dem wenig geliebten Merz durchzusetzen. So sehr sich die Union über einen solchen Erfolg im ersten Moment freuen würde, so kompliziert könnte er die Regierungsbildung danach machen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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