Analyse
Erscheinungsdatum: 26. Oktober 2023

Koalition in Bayern: Aiwangers Erfolg ist Söders Verdruss

dpatopbilder - 26.10.2023, Bayern, München: Hubert Aiwanger (l), Bundesvorsitzender der Freien Wähler, und Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern,  nehmen im bayerischen Landtag an der Unterzeichnung vom Koalitionsvertrag von CSU und den Freien Wählern teil. Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Natürlich hatten sie in der CSU von Markus Söder gehofft, den Partner und Rivalen von den Freien Wählern einigermaßen kleinhalten zu können. Jetzt aber, da die Koalition steht, bekommt Hubert Aiwanger zwar nicht die Landwirtschaft, aber die Oberhoheit über die Wölfe – und größeren Einfluss.

Nicht nur nach Wahlen, auch nach Koalitionsverhandlungen versuchen die Verlierer oft, das Ergebnis schönzureden. Und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist ein besonders versierter Schönredner. Und so hat der CSU-Chef das Resultat der Koalitionsverhandlungen mit den Freien Wählern in den höchsten Tönen gelobt. Der Koalitionsvertrag könne sich sehen lassen und sei „ein echt gutes Kursbuch“. In seiner gespielten Begeisterung ging er sogar noch weiter. „Da ist alles drin, was Bayern für die nächsten Jahre braucht“, jubilierte Söder.

In Wirklichkeit musste der Ministerpräsident mit seinen Worten eine Niederlage bemänteln. Denn der eigentliche Sieger im Koalitionspoker zwischen der CSU und den Freien Wähler ist Hubert Aiwanger, der Chef der Freien Wähler. Aiwanger konnte seine Forderung nach einem vierten Ministerium durchsetzen, die er schon am Tag nach der Wahl erhoben hatte. Zwar bekommt er nicht das Landwirtschaftsministerium, sondern nur das kleine Digitalministerium. Außerdem muss er auf einen Staatssekretär verzichten. Das aber fällt nicht ins Gewicht. Denn Staatssekretäre haben politisch keine große Bedeutung.

Interessanter und für Aiwanger am Ende wichtiger ist ein Detail, das bei Söders Pressekonferenz fast unterging – und ein Beleg dafür ist, dass es einen bemerkenswerten Kuhhandel gegeben hat. Aiwanger konnte sich mit seinem Wunsch durchsetzen, die Bereiche Jagd und Staatsforsten vom Landwirtschaftsministerium in sein Wirtschaftsministerium zu verlagern. Dafür wandert die Zuständigkeit für den Tourismus und das Hotel- und Gaststättengewerbe von Aiwanger ins Landwirtschaftsministerium, das weiterhin von der CSU geführt wird. Inhaltlich machen diese Verschiebungen keinen Sinn; das Jagdwesen und die staatlichen Wälder haben im Wirtschaftsministerium nichts verloren; zugleich sind und bleiben Tourismus, Gastronomie und Hotellerie kein Zweig der Landwirtschaft. Doch Aiwanger wollte vor allem die Jagd (und damit die Zuständigkeit über die auch in Bayern auf dem Land hochemotional diskutierte Frage, wie man mit dem Wolf umgeht). Und er bekam seinen Wunsch erfüllt.

Was das alles bedeutet? Ein kleiner Überblick.

Der Einfluss der Freien Wähler ist gestiegen, nicht nur durch das vierte Ministerium. Durchaus mit Neid wird in der CSU konzediert, dass Aiwangers Strategie, einen zusätzlichen Posten sofort nach der Wahl zu fordern, aufgegangen ist. „Wer gefesselt ist, hat keinen Bewegungsspielraum“, heißt es in der CSU über Söders Strategie, sich von vornherein auf die Freien Wähler als Koalitionspartner festzulegen. Erfahrene CSU-Politiker von ganz unterschiedlichen Parteiflügeln sehen das längst als Söders Kardinalfehler an. „Jetzt ist er Aiwanger ausgeliefert“, sagt einer der Kritiker.

Aiwanger kann aber nicht nur das Ministerium als Pluspunkt verbuchen, sondern auch den Minister. Denn mit dem bisherigen Parlamentarischen Geschäftsführer Fabian Mehring hat er sich einen ihm treu ergebenen Gefolgsmann an seine Seite geholt. Mehring hat im Wahlkampf während der Affäre um das antisemitische Flugblatt in den Bierzelten gerne den Einpeitscher gegeben, der die Version einer angeblich von langer Hand geplanten Schmutzkampagne gegen Aiwanger beschworen hat. Aiwanger habe jetzt im Kabinett eine doppelte Stimme, heißt es in der CSU.

Unmittelbar nach der Wahl hatte die CSU Aiwanger massiv attackiert. Aiwanger müsse schleunigst den Bierzeltmodus verlassen, hieß es. Die Freien Wählern wurden für die kommenden Wahlen gar zum Hauptgegner erklärt. Nach den Koalitionsverhandlungen klang das bei Söder schon deutlich sanfter. Die Koalition mit den Freien Wählern sei zwar „keine Liebesheirat“, sagte Söder, es sei aber in den Koalitionsgesprächen neues Vertrauen aufgebaut worden. Wie lange das trägt, kann allerdings niemand beantworten. Söder und Aiwanger gelten beide als Solospieler, die vor allem ihr eigenes Wohl im Auge haben. Wo öffentlich Vertrauen beschworen wird, herrscht tatsächlich tiefes Misstrauen. Der nächste Wahlkampf könnte deshalb schnell zur nächsten Belastungsprobe werden.

Die CSU sieht der Europawahl im nächsten Jahr denn auch mit Bangen entgegen. Die Abstimmung über die künftige Zusammensetzung des EU-Parlaments war schon oft eine Wahl, bei der auch treue CSU-Anhänger gerne einmal einen Denkzettel verteilt haben. Aiwanger dagegen wirkt bestens vorbereitet. Er tritt mit der bayerischen Landesbäuerin Christine Singer als Spitzenkandidatin an und dürfte darauf hoffen, mit Kritik an der notorisch unbeliebten EU-Agrarpolitik Stimmung auf dem Land zu machen. Ein gutes Ergebnis bei der Europawahl könnte die Vorlage für Aiwangers eigentliches Ziel sein: 2025 mit den Freien Wählern den Sprung in den Bundestag zu schaffen und Teil einer neuen Bundesregierung zu werden. „Der Siegeszug der Freien Wähler könnte sich bis zur Bundestagswahl fortsetzen“, fürchten Skeptiker in der CSU.

Und so stellt sich die Frage, ob Söder vorher die Reißleine zieht und die Koalition in Bayern platzen lässt. Dann könnte er die Freien Wähler im Bundestagswahlkampf wieder ohne Rücksicht attackieren und gleichzeitig eine vorsichtige Wiederannäherung an die Grünen einleiten. So sehr das am Tag eins des neuen Bündnisses Spekulation ist, so sehr dürfte diese ab jetzt im Hintergrund immer mitschwingen. Die Zusammenarbeit zwischen Söder und Aiwanger kann und dürfte das zusätzlich belasten.

Die größte Sorge der CSU gilt ihrer eigenen Schwäche. Sie hat seit der Wahl 2013, als es Horst Seehofer gelungen war, die absolute Mehrheit der Mandate zurückzugewinnen, zehn Prozentpunkte verloren. Eine Aufarbeitung des schlechten Ergebnisses bei der Bundestagswahl 2021 hat es nie gegeben, stattdessen hat man die Schuld auf den Kanzlerkandidaten Armin Laschet geschoben, der eben der Falsche gewesen sei. Dabei sehen nachdenklichere CSU-Politiker schon lange die inhaltlichen Defizite der Partei. In wesentlichen politischen Fragen sei unklar, wofür die CSU eigentlich stehe, es fehle ein positiv besetztes inhaltliches Profil, mahnen Kritiker. Stattdessen gebe es nur die immer gleichen Attacken auf die Ampel.

Söder werden solche Überlegungen zwar übermittelt, aber er hat darauf bisher nicht reagiert. Um einen Strategiewechsel zu erzwingen, bräuchte es profilierte Personen, die sich trauen, Söder die Stirn zu bieten. Doch die sind weit und breit nicht zu sehen. Söder hat die Partei derart stark auf sich zugeschnitten, wie es selbst Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber nicht vermocht haben. Neben Söders Intimfeind Manfred Weber üben nur Altvordere wie Theo Waigel oder Erwin Huber in Vorstandssitzungen immer mal wieder Kritik. Der dritte ehemalige Parteichef Edmund Stoiber ist dagegen voll auf Söder-Linie. Und der vierte Ex-CSU-Chef, Horst Seehofer, seinem Nachfolger Söder in inniger Abneigung verbunden, schweigt eisern, Gremiensitzungen meidet er. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gilt für viele als Totalausfall und als Statthalter von Söders Gnaden. Auch der populären Landtagspräsidentin Ilse Aigner oder dem EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber traut keiner eine Rebellion gegen Söder zu. Deshalb ist es sehr wahrscheinlich, dass trotz all der Unsicherheit erstmal alles bleibt, wie es ist.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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