Analyse
Erscheinungsdatum: 03. März 2024

Kirchliches Arbeitsrecht: Rufe nach grundlegender Reform

Das Arbeitsrecht gilt nicht uneingeschränkt für alle in Deutschland – die Kirchen dürfen ihr eigenes System haben. Das sorgt schon lange für Kritik; deshalb prüft die Ampel-Koalition jetzt Änderungen.

Fast zwei Millionen Menschen in Deutschland arbeiten bei den Kirchen. Das Grundgesetz gewährt ihnen unter Bezugnahme auf die Weimarer Reichsverfassung von 1919 ein Selbstbestimmungsrecht – „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Weil es wegen Diskriminierungsvorwürfen immer wieder für Kritik sorgt, will die Ampel eine Angleichung an staatliche Vorgaben prüfen. Und zwar gemeinsam mit den Kirchen, so steht es im Koalitionsvertrag. Ausgenommen bleiben sollen verkündungsnahe Tätigkeiten wie das Amt des Pfarrers.

Ende Januar ist ein vom Arbeitsministerium angestoßener Dialogprozess zu Ende gegangen, an dem Kirchen, Gewerkschaften und Koalitionsvertreter teilnahmen. Jetzt preschen die Grünen vor: Diskriminierungen wegen der Weltanschauung, einem Kirchenaustritt oder der sexuellen Orientierung dürfe es nicht mehr geben, sagte Frank Bsirske zu Table.Media. Die rund eineinhalb Millionen Menschen, die bei Caritas und Diakonie beschäftigt sind, würden bisher „als Arbeitnehmer*innen zweiter Klasse“ behandelt.

Zuvor hatten sich bereits mehrere Parteigremien zu Wort gemeldet. Das Netzwerk Gewerkschaftsgrün sowie die Bundesarbeitsgemeinschaften Säkulare Grüne und Arbeit, Soziales, Gesundheit fordern die Bundestagsfraktion der Grünen zum schnellen Handeln auf. Man erwarte, dass sie in der Koalition „mit Nachdruck“ für eine Regelung zur Beseitigung der Diskriminierungen eintritt, heißt es in einer Stellungnahme von Januar.

Über das Thema verhandelt derzeit auch der Europäische Gerichtshof (EuGH). Die Caritas hatte einer in der Schwangerschaftsberatung tätigen Sozialpädagogin gekündigt, weil sie während ihrer Elternzeit aus der Kirche austrat. Die Frau klagte dagegen und bekam in den unteren Instanzen Recht. Ihr Arbeitgeber rief dann das Bundesarbeitsgericht an; dieses hat sich Anfang Februar nun an den EuGH gewandt, um die Frage klären zu lassen. Je nach Ausgang obliegt es den Kirchen selbst, ihre Regelungen anzupassen, so das Bundesarbeitsministerium.

Anders sieht es bei einem Verfahren aus, das seit mehreren Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Ob und inwieweit es eine gesetzliche Änderung in Sachen Kirchenrecht geben muss, hängt „entscheidend vom Ausgang dieses Verfahrens ab“, teilt das BMAS mit. Es geht um die Frage, ob die Diakonie einer Bewerberin die Einladung zum Vorstellungsgespräch verweigern durfte, weil sie konfessionslos ist. Und das, obwohl sie zuvor in die engere Auswahl kam. Hier hatte die Frau juristisch zunächst ebenfalls Erfolg, der Arbeitgeber konterte mit einer Verfassungsbeschwerde. Seit 2019 liegt der Fall in Karlsruhe.

Auch die SPD hat es nicht eilig. Laut Martin Rosemann, Sprecher für Arbeit und Soziales, wollen die Sozialdemokraten zunächst innerhalb der Ampel den bisherigen Dialog auswerten. Ziel sei, den Prozess fortzuführen. Besonders im Blick hat die SPD dabei das Thema betriebliche Mitbestimmung. Denn für die Religionsgemeinschaften gilt das Betriebsverfassungsgesetz, das etwa die Rechte von Betriebsräten regelt, nicht. Kirchliche Beschäftigte haben also nicht grundsätzlich die gleichen Mitspracherechte wie in privaten Unternehmen Tätige.

Genauso wenig gilt für sie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Ein Paragraf erlaubt ausdrücklich die „unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung“. Demnach ist es den Kirchen gestattet, von ihren Mitarbeitenden ein „loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses“ zu verlangen. Das kann beispielsweise zu einer Kündigung von Personen führen, die sich in ihrer Freizeit kritisch über die Institution äußern.

Aus Sicht von Verdi verstößt das gegen Europarecht. Die Gewerkschaft war Teil des BMAS-Dialogprozesses. Am Dienstag will sie dem Ministerium im Rahmen einer Protestaktion eine Petition übergeben. Mehr als 36.000 Menschen fordern darin von Hubertus Heil und den Koalitionsfraktionen „Schluss mit Diskriminierung wegen privater Entscheidungen“ und „Volle Mitbestimmung auch für Kirchenbeschäftigte“.

Die FDP sieht weniger den Staat in der Pflicht, vielmehr die Kirchen selbst. „Der Gesetzgeber ist hier nur eingeschränkt handlungsfähig“, sagt Sandra Bubendorfer-Licht, religionspolitische Sprecherin der Fraktion. Sie verweist darauf, dass die katholische Kirche bereits eine Liberalisierung beschlossen habe.

Tatsächlich verabschiedete die Vollversammlung des Verbands der Diözesen 2022 eine neue „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“. Darin heißt es, dass von einer Kündigung bei Kirchenaustritt abgesehen werden kann, „wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen“. Außerdem bleibe „der Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere Beziehungsleben und Intimsphäre“, rechtlichen Bewertungen entzogen. Das heißt, Homosexualität oder die Wiederheirat nach Scheidung dürfen kein Kündigungsgrund mehr sein.

„Diesen Beschluss müssen sämtliche deutschen Bistümer nun aber auch mit Leben füllen“, sagt Bubendorfer-Licht. Gleichzeitig steht in der Grundordnung, dass Streiks nicht zulässig sind und kirchliche Dienstgeber keine Tarifverträge mit Gewerkschaften abschließen. In der evangelischen Kirche wiederum gilt seit Jahresbeginn 2024 ein neues Gesetz über Mitarbeitervertretungen. Demnach müssen Einrichtungen ab 500 Beschäftigten die Mitarbeiter durch eine Vertretung an den Aufgaben des Aufsichtsorgans der Einrichtung beteiligen, „sofern ein solches gebildet ist“.

Was weitere Veränderungen angeht, gibt sich Diakonie-Vorstandsmitglied Jörg Kruttschnitt vorsichtig gesprächsbereit: Man prüfe Angleichungen, „sie dürfen aber für unsere Beschäftigten nicht zu Verschlechterungen führen “. Die betriebliche Mitbestimmung werde im evangelischen Arbeitsrecht in größerem Ausmaß umgesetzt als im staatlichen, die eigenen Tarifverhandlungen würden zu Vergütungen im überdurchschnittlichen Bereich führen.

Ähnlich äußert sich Susanne Pauser aus dem Caritas-Vorstand. In vielen Bereichen biete man bessere Löhne. Es gebe zudem flächendeckend attraktive Zusatzleistungen und eine betriebliche Altersversorgung – „anders als in vielen privaten Einrichtungen“. Derzeit laufen ihr zufolge interne Gespräche mit dem Ziel, die Verfahren der betrieblichen Beteiligung zu reformieren. Darüber hinaus seien Gespräche über die unternehmerische Mitbestimmung in Planung.

In einem Bereich ist das katholische Arbeitsrecht sogar weiter als das staatliche: bei der Befristung von Verträgen. Anfang des Jahres entschied der Vermittlungsausschuss der Zentralen Arbeitsrechtlichen Kommission (ZAK), dass Kettenbefristungen ab Juni nur bis zu einer Höchstdauer von sechs Jahren zulässig sind. Die Vereinbarung einer sachgrundlosen Befristung wurde sogar für grundsätzlich unzulässig erklärt. Im Bundestag wird das Thema immer wieder debattiert, zuletzt Ende Februar. Bisher ohne Erfolg.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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