Berlin.Table: Herr Minhoff, Diabetes ist eine Volkskrankheit; Adipositas kostet uns gesamtgesellschaftlich 63 Milliarden Euro im Jahr. Wozu brauchen wir als Gesellschaft Werbung für ungesunde Lebensmittel?
Christoph Minhoff: Sie unterstellen, dass Werbung verantwortlich sei für Übergewicht oder Adipositas. Keine Studie kann einen solchen Zusammenhang belegen. Das ist auch nicht weiter verwunderlich: Adipositas ist eine chronische, multikausale Erkrankung.
Studien deuten durchaus auf einen Zusammenhang zwischen Adipositas und dem übermäßigen Genuss ungesunder Lebensmittel. Nochmal: Wozu brauchen wir Werbung für Ungesundes?
Sie haben als Bürgerin dieses Landes ein Recht darauf, über Produkte und Produktinnovationen informiert zu werden. Es gibt ja keine staatliche Stelle, die Sie darüber aufklärt.
Und Innovation gibt es nur bei Süßwaren? Die Hälfte der Fernsehwerbung für Nahrungsmittel wirbt für Schleckereien.
Weil die Auseinandersetzung um die Marktanteile hier besonders scharf ist …
… oder weil man über Süßes besonders gut auf Marken prägt?
Geprägt sind die Kinder von vornherein auf Süßes, weil Süß anzeigt: Das ist nicht giftig. Das ändern Sie nicht dadurch, dass Sie den Kindern verbieten, Werbung für Fruchtjoghurt zu sehen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung kennt keine gesunden und ungesunden Lebensmittel, sondern nur Empfehlungen von dem einen mehr oder weniger zu essen. Entscheidend ist eine ausgewogene Ernährung.
Die WHO hat Grenzwerte für Zucker, Salz und Fette definiert. Wenn die überschritten werden, dürfte ein Lebensmittel als ungesund gelten – oder?
Wissen Sie, wer die Grenzwerte festgelegt hat? Wir wissen es nicht. Das ist völlig intransparent. Deshalb werden die WHO-Grenzwerte auch von keinem Land als Referenz herangezogen. Nicht mal beim Nutri-Score!
Was schlägt denn Ihre Industrie für Grenzwerte vor?
Ich schlage vor, zur Sachlage zurückzukehren. Gestern hat die Rundfunkkommission der Länder per Beschluss festgehalten, dass das Bundesernährungsministerium für Werbung in Medien nicht zuständig sei. Cem Özdemir solle dementsprechend erstmal mit den Ländern reden. Im Beschluss steht auch, dass es bereits Regulierung gibt. Werbung für Kinder ist auf Länder-, Bundes- wie auf europäischer Ebene bestens reguliert. Ich bin nahe dran, dies als Schlusswort zu verwenden.
Fahren Sie ruhig fort.
Dem Minister geht es offenbar gar nicht um die Werbung, sondern um die Produkte, die er am liebsten verbieten würde! Ich sage Ihnen mal, was nicht mehr möglich sein wird, wenn dieses Gesetz käme: Eine Fußballeuropameisterschaft wird es im deutschen Fernsehen nicht mehr geben. Weil das Sponsoring einer solchen nicht beworben werden darf. Es wird auch kein Schokocroissant mehr in der Auslage eines Bäckerladens geben, wenn der Bäcker nicht mehr als 100 Meter von einer Schule entfernt ist. Niemand wird auf Social Media sagen dürfen, hey, ich war gestern im Kino und habe Popcorn gegessen und Cola getrunken. Ein derartig totales generelles Verbot von Kommunikation für Lebensmittel hat vordemokratische Züge.
Zielen Sie auf das Argument der Zeitungsverleger, dass das Werbeverbotsvorhaben für Kinder die Pressefreiheit bedrohe?
Es geht nicht um Pressefreiheit, sondern um Medienvielfalt. Und Medienvielfalt hängt davon ab, ob der Journalismus finanziert wird, das ist so. Wir leben hier in einer freien Gesellschaft, in einer sozialen Marktwirtschaft, und da ist es elementar, dass ich für mein legales Produkt werben darf.
Letzte Frage: Was kann Ihre Industrie dafür tun, dass Kinder sich gesünder ernähren?
Da passiert gerade sehr viel, es gibt mehr Angebote an Fisch- oder Fleisch-Ersatzprodukten; das Bio- und Nachhaltigkeitssortiment wächst beständig. Unser Ziel ist, dass Menschen sich mit „convenience food” ausgewogen ernähren können.