Analyse
Erscheinungsdatum: 14. September 2023

Jens Teutrine und Tilman Kuban: Pizza schwarz-gelb

Jens Teutrine (FDP) und Tilman Kuban (CDU)
Der eine regiert, der andere opponiert, trotzdem würden sie am liebsten gemeinsame Sache machen. Im Doppelinterview sprechen Jens Teutrine (FDP) und Tilman Kuban (CDU) über schwere Versäumnisse bei der Rente, große Ängste während der Pandemie und mögliche gemeinsame Ziele.

Die FDP ist in der Regierung, die Union in der Opposition. Wie intensiv sind Ihre Kontakte zueinander?

Tilman Kuban: Ich bin überzeugter Schwarz-Gelber. Als ich in Niedersachsen unter den Ministerpräsidenten Christian Wulff und David McAllister politisch sozialisiert wurde, habe ich das sehr schätzen gelernt und pflege deshalb auf Landes-, aber auch auf Bundesebene weiter gute Kontakte. Natürlich gibt es in manchen Fragen inhaltliche Unterschiede, aber die braucht es auch in einer Demokratie.

Jens Teutrine: Die Union regiert ja in vielen Ländern und trägt daher immer wieder auch wichtige Entscheidungen im Bundesrat mit. Ich bin 2009 FDP-Mitglied geworden, als auf Bundesebene die schwarz-gelbe Koalition entstand. Als wir gerade fertig waren mit den Verhandlungen, bin ich damals zum Deutschlandtag der JU. Und als wir 2013 aus dem Bundestag flogen, kam die JU zu unserem Bundeskongress – und hat den Kontakt aufrechterhalten. Inhaltlich sind Schnittmengen da, es gibt aber durchaus auch Unterschiede.

Gibt es einen regelmäßigen Austausch zwischen den jungen Abgeordneten in den Fraktionen?

Teutrine: Wir haben letztens einen gemeinsamen Abend verbracht. Es gibt auch ein paar andere Runden.

So etwas wie die Pizza-Connection zwischen CDU und Grünen damals?

Kuban: Sagen wir es mal so: Gerade in der jungen Generation gibt es ein sehr gutes Miteinander und viele persönliche, vertrauensvolle Drähte.

Wie nehmen Sie die Rolle in Ihrer Parteijugend wahr? Herr Kuban, Sie waren sehr präsent in der Öffentlichkeit, Ihr Nachfolger bisher weniger.

Kuban: Mein Nachfolger macht einen guten Job, und auch ich hätte mir ungebetene Ratschläge von Ehemaligen verbeten. Jeder sollte seine Zeit nutzen, um die Interessen der jungen Generation möglichst stark zu vertreten. Jens und ich hatten als Bundesvorsitzende durch die Pandemie eine besondere Zeit. Gerade auch junge Menschen haben sehr unter den Einschränkungen gelitten und wurden teilweise von der Politik vergessen. In der Parteiarbeit hatten wir viel zu digitalisieren, um Mitmachen zu ermöglichen. Das war eine ganz andere Zeit als heute.

Teutrine: Als ich Landes- und Bundesvorsitzender war, gab es verschiedenste Bewegungen, die ihre Bedürfnisse artikuliert haben. Es fing an mit Fridays for Future, dann gab es die Diskussion rund um die Uploadfilter. Und in der Pandemie empfanden dann viele junge Menschen starke Freiheitseingriffe und das Gefühl: Wir werden nicht gesehen, wenn wir bei der Gastro unsere Jobs verlieren, und beim Bafög passiert auch nichts.

Wie haben Sie reagiert?

Teutrine: Es gab einen offenen Brief von JU, Julis, Jusos und Grüner Jugend an die damalige Bildungsministerin Anja Karliczek und an Olaf Scholz. Das rechne ich der Jungen Union auch positiv an, dass sie von ihrer Ministerin Dinge eingefordert hat. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass sie auch bei den Freiheitseinschränkungen kritischer ist. Dann hätte man auch weniger staatliche Ausgabenpolitik gebraucht.

Kuban: Ich weiß nicht, wie oft du eine Faust in der Tasche machst, wenn du den FDP-Finanzminister eigentlich lieber öffentlich kritisieren würdest. In einer Demokratie hat jeder seine Aufgabe und da haben wir – mit Blick auf Regierung und Opposition – jetzt mal getauscht.

Als Bundestagsabgeordnete haben Sie jetzt auch eine andere Rolle als in der Zeit davor – wie ist das für Sie?

Teutrine: Ich tue mich schwer damit, Politik als Rollenspiel zu verstehen und zu sagen: Damals war ich der Juli und etwas wilder und jetzt im Bundestag interessiert mich mein Geschwätz von gestern nicht mehr. In den zwei Jahren habe ich neue Sichtweisen entwickelt – etwa, wieso Dinge manchmal länger dauern als wünschenswert. Als gewählter Abgeordneter sehe ich es aber noch immer als meine Aufgabe an, neben der Repräsentation der Gesamtbevölkerung in meinem Wahlkreis auch der jungen Generation eine Stimme zu geben.

Kuban : Und trotzdem lernt man dazu. Ich vertrete heute insbesondere die Menschen in meinem Wahlkreis und habe deshalb eine etwas andere Rolle als noch als Vorsitzender einer Jugendorganisation, in der man manchmal vielleicht forscher, frecher, lauter auftritt, und das ist auch gut so. Aber als Abgeordneter ist man eben für alle Menschen im Wahlkreis und in Deutschland da. Trotzdem werde ich mich nicht verbiegen und bin froh, durch mein abgeschlossenes Studium und Berufserfahrung unabhängig zu sein.

Sollten CDU und FDP nach der nächsten Wahl wieder zusammen regieren?

Teutrine: Ich sehe eine große Schnittmenge mit der Union und täglich das, was ich nicht mit der Ampel durchsetzen kann. Gleichzeitig glaube ich nicht an diese zwei Lager – hier das schwarz-gelbe, bürgerliche Lager, dort das andere. Wir haben da unsere Erfahrungen gemacht: Nach der schwarz-gelben Koalition sind wir 2013 aus dem Bundestag geflogen, in Schleswig-Holstein hat sich die CDU für die Grünen entschieden. Einige in der Union haben mehr Nähe zu den Grünen als zu uns, habe ich das Gefühl.

Kuban : Wir sehen momentan, dass diejenigen, die jeden Morgen aufstehen, ihre Kinder zur Kita bringen, arbeiten gehen und sich vielleicht sogar noch ehrenamtlich engagieren, zu wenig im politischen Fokus stehen. Die SPD konzentriert ihre Politik auf Transferleistungsempfänger, die Ideologie der Grünen muss man sich leisten können. Wir sind die einzigen, die diejenigen, die arbeiten gehen, wirklich im Blick haben. Deswegen glaube ich, dass wir eine Koalition für die Anpacker in diesem Land bilden sollten.

Die CDU erwägt derzeit, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, um die Mitte zu entlasten. Die FDP sagt: Machen wir nicht. Wie wollen Sie da zusammenkommen?

Teutrine : Es tut dem Land gut, wenn die Union schlagfertig ist und Frust auf die Regierung bei sich versammelt – statt dass die Leute andere Parteien als Alternative sehen. Gleichzeitig weiß ich noch nicht ganz, in welche Richtung die Union geht. Wenn die Richtung ist: weniger Steuern, Arbeitsanreize und sozialpolitische Reformen bei Themen wie der Rente mit 63, die den Haushalt besonders belasten – dann kann ich mir vorstellen, diese Projekte mit der Union anzugehen.

Welche andere Richtung fürchten Sie?

Teutrine : Der Regierende Bürgermeister von Berlin will die Schuldenbremse aussetzen. Einige philosophieren darüber, Steuern zu erhöhen. Und wenn ich mir die sozialpolitischen Papiere der CDA angucke und die Vertreter im Sozialausschuss, dann sehe ich Mehrbelastungen auch bei den Sozialversicherungssystemen. Da bin ich skeptisch. Friedrich Merz versucht sich momentan in Pendeldiplomatie, um alle mitzunehmen und zu umarmen. Das führt für mich zu einer Beliebigkeit und Opportunismus.

Kuban : Das ist der Unterschied zwischen einer Partei, die im einstelligen Prozentbereich unterwegs ist, und einer Partei, die den Anspruch hat, über 30 Prozent zu kommen: dass man natürlich mehr Perspektiven miteinbezieht. Dass dann unterschiedliche Sichtweisen in einer Volkspartei dabei sind, ist klar. Und trotzdem verspreche ich, dass mit der Union keine Steuermehrbelastung für den Einzelnen kommt. Aber eine Frage macht mir ernsthaft Sorgen: Wie schaffen wir es, dieses Land zusammenzuhalten? Wo wir so häufig unterschiedliche Lebensrealitäten in Ost und West und noch viel mehr zwischen Stadt und Land sehen. Da braucht es mehr Impulse für Zusammenhalt.

Herr Teutrine, Sie haben die Rente mit 63 erwähnt. Welche Rentenpolitik würden Sie bevorzugen?

Teutrine: Die Entscheidung, rein auf Umlage zu setzen, wurde vor zig Jahrzehnten getroffen. Der demografische Wandel macht uns jetzt aber einen Strich durch die Rechnung. Wenn man den Haushalt hier umgestalten will, braucht es Reformen: zum Beispiel die kapitalgedeckte Rente, die Friedrich Merz als Spekulation abtut. Man kann aber auch über andere Varianten reden.

Kuban: Die kapitalgedeckte Rente ist richtig, aber es ist ein Märchen, dass sie uns helfen wird, die Jahre der Babyboomer in der Rente zu finanzieren. Das weißt du genauso gut wie ich. Deswegen müssen wir uns da schon ehrlich machen: Wir haben da in den nächsten 25 bis 30 Jahren ein riesiges Problem. Ich bin sehr für die Aktienrente, aber zur Wahrheit gehört, dass es für die Herausforderung nur drei Stellschrauben gibt: Länger arbeiten, höhere Beiträge, weniger Leistung. Ein guter Kompromiss ist dann erreicht, wenn die Schmerzen gleichmäßig verteilt sind.

Und was wäre, wenn man wirklich alle an der Last beteiligen würde?

Kuban: Zugegeben, es gäbe noch eine vierte Stellschraube: mehr Bevölkerungsgruppen einzahlen lassen.Das würde dann bedeuten, dass Beamte wie Freiberufler, aber auch Politiker in die Rentenkasse einbezahlen. Grundsätzlich wehre ich mich nicht dagegen, aber bisher konnte mir niemand ein wirklich sauber durchgerechnetes Modell für die Umstellung vorlegen.

Abseits der Sozialpolitik: Was würden Sie beim aktuellen Haushalt noch anders machen?

Teutrine: Wir haben keine 51-Prozent-Mehrheit. Aber ich bin sicher, dass Christian Lindner und ich, wenn wir allein am Tisch säßen, einiges anders machen würden. Ich würde zum Beispiel kritisch hinterfragen, ob es jedes einzelne Förderprogramm, das es gibt, auch wirklich braucht.

Kuban: Zum Thema Förderprogramme mal ganz generell: Es regt mich extrem auf, welche ’Förderitis‘ in Deutschland ausgebrochen ist. Die Kommunen können kein Feuerwehrhaus, keine Sporthalle, keine Kita mehr bauen, ohne irgendwo eine Förderung zu beantragen. Es wäre besser, wenn wir das Geld ohne Auflagen den Kommunen geben würden. Dabei weiß man vor Ort schon selbst, ob es sinnvoller ist, die Sportanlage zu sanieren oder eine Schule zu bauen. Stattdessen werden aktenweise Ordner und Gutachten produziert und von einer Behörde zur nächsten gebracht. Das ist absoluter Wahnsinn!

Teutrine: Da bin ich ganz bei Tilman…

Kuban: … zumal wir doch Subsidiarität In Deutschland haben! Ich bin seit über 15 Jahren im Rat der Stadt Barsinghausen. Wenn wir da irgendwo einen Fehler machen, muss sich jeder am nächsten Tag beim Bäcker, im Supermarkt oder auf dem Sportplatz dafür rechtfertigen.

Teutrine : Bei mir winken Kommunalpolitiker auch schon ab, wenn ich denen Förderprogramme zeige – allein schon wegen der Kostenbeteiligung. Die sagen: Ist ja schön, dass ich hier ein Projekt bekommen kann, das ich gar nicht brauche und bei dem ich mich auch noch mit 10 bis 20 Prozent beteiligen soll. Und bei dem mir die laufenden Kosten, die ich bei der Bewirtschaftung habe, auch keiner trägt. Einige Kommunen haben sich auch verspekuliert in den letzten Jahren mit Projekten, die sich da manchmal angehäuft haben.

Kuban: Neuestes Beispiel sind die sogenannten „Zukunftsregionen“ aus Niedersachsen. Auf Wunsch des Landes mussten sich jeweils mehrere Landkreise zusammentun und eine fiktive „Zukunftsregion“ bilden, die dann aus einem sehr beliebigen Katalog von allen möglichen Themen irgendetwas rausgreifen und benennen sollten. Jede Region bekommt dafür Fördermittel. Erstmal werden aber Gutachter bezahlt, die sich ein Konzept für die Region ausdenken. Dann braucht es ein externes Regionalmanagement zum Verwalten der Projekte, das auch wieder von einem teuren Gutachterbüro übernommen wird. Durch diesen Wust an Bürokratie werden Förderprogramme häufig Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Gutachter und Planer. Damit ist ein satter Anteil des Geldes bereits weg, bevor das erste Projekt beantragt ist.

Die Mitglieder Ihrer Parteien sind mehrheitlich weiß und männlich. Soll das immer so bleiben?

Kuban: Ich habe mich als JU-Bundesvorsitzender immer darum gekümmert, neben den Männern auch möglichst viele junge Frauen zu empowern, damit sie am Ende bestmöglich gewappnet sind und sich ein Amt zutrauen. ,Aufstehen, kämpfen, kandidieren‘: mit diesem Motto und viel Teamwork ist es uns gelungen, acht junge Menschen, darunter fünf Frauen, in den CDU-Bundesvorstand zu bringen. Nur so werden wir eine Verjüngung hinbekommen.

Teutrine: Ich würde mir noch eine Perspektive wünschen: Bei allen politischen Jugendorganisationen gibt es eine Disbalance bei der Frage, was für Leute da unterwegs sind. Da geht es nicht nur ums Geschlecht, sondern zum Beispiel auch um das soziale Milieu und den Bildungsgrad. Wenn wir momentan zum Teil eine Entfremdung von und Frustration gegenüber etablierten Parteien sehen, dann hat das auch etwas damit zu tun. Dass es einen großen Teil der jungen Generation gibt, der sich von keiner Parteiorganisation abgeholt fühlt. Es würde sich lohnen, darüber zu reden, warum das so ist, und es zu ändern.

Wie lautet Ihre Antwort?

Teutrine: Jede Veränderung beginnt mit Selbstreflexion, beispielsweise indem man darüber nachdenkt, wann Politikersprech und Floskeln schaden, wieviel Angepasstheit an den Politikbetrieb nötig oder gefährlich ist, welche Formen des Engagements man wirklich will – und was die eigene Komfortzone bedeutet.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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