Der Sonntagsstammtisch im Bayerischen Fernsehen ist normalerweise kein Ort des politischen Streites, es geht um gepflegte Gespräche in gediegener Atmosphäre. Bei Bier und Brez'n sitzen dort zwei Gäste an einem Wirtshaustisch, moderiert von Hans Werner Kilz, früher Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, begleitet von zwei Co-Moderatoren. Vergangenen Sonntag waren das die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch und der ehemalige Skifahrer Christian Neureuther. Aber ein nettes Gespräch entwickelte sich eher nicht. Denn einer der Gäste war Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler und stellvertretender Ministerpräsident in Bayern.
Je länger die Sendung dauerte, desto mehr verhedderte sich Aiwanger in Widersprüche und suchte Ausflüchte. Manchmal redete er auch einfach nur Stuss. Zum Beispiel, als er behauptete, dass überall wegen überbordender Bürokratie die Wirtshäuser dicht machten und damit der politische Dialog am Stammtisch unterbunden werden solle. Oder als er die Forderung, doch mehr Zeit an seinem Schreibtisch im Ministerium zu verbringen, anstatt auf jeder Bauerndemo zu erscheinen, mit den Worten zurückwies, seine Kritiker wollten ihn „im Büro einsperren und mich vom Volk wegsperren“. „Jetzt kommen uns gleich die Tränen“, entgegnete ihm Kilz.
Aiwanger hatte eines seiner üblichen Wochenenden hinter sich. Er war wieder nicht auf einer der Demonstrationen gegen den Rechtsextremismus: Die hält er für linksextremistisch unterwandert. Sondern auf einer Mini-Kundgebung in Regensburg, auf der Mittelständler gegen die Politik der Ampel-Regierung protestierten.
Mit Ampel-Bashing am rechten Rand nach Stimmen fischen, in den sozialen Medien mit Begriffen hantieren, die genauso gut von der AfD stammen könnten – mit dieser Strategie rückt Aiwanger seine ganze Partei nach rechts. Und löst damit wachsenden Unmut aus. Einer, der schon länger zu Aiwangers Kritikern gehört, ist der Landesvorsitzende der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz, Stephan Wefelscheid. Er spricht aus, was viele in der Partei denken, nicht nur in Rheinland-Pfalz. „Wir sind ganz klar eine Partei der Mitte, die sowohl offen ist für eine Zusammenarbeit mit der SPD wie mit der CDU und die auch mit den Grünen redet.“ Wenn Aiwanger über die Grünen redet, hört sich das eher so an, als stünde der Weltuntergang unmittelbar bevor.
Auch in seiner bayerischen Heimatregion formiert sich der Widerstand gegen Aiwangers Rechtskurs. Sowohl an der Parteibasis als auch in der Führungsebene gebe es Leute, die sich wirklich Sorgen machten, heißt es dort. Rainer Schneider, stellvertretender Präsident des Bezirkstages von Oberbayern, einer bayerischen Kommunalkammer, sagt: „Wir müssen Tendenzen des Abgleitens unbedingt vermeiden und dafür sorgen, dass die Mitte wieder mehr Gewicht bekommt“.
Ein Abgleiten, das bei den Freien Wählern für helles Entsetzen gesorgt hat, kam vergangene Woche durch einen Bericht des Rechercheportals Endstation Rechts ans Licht. Es ging darin um eine Kundgebung in Plauen von „Land schafft Verbindung Sachsen“. Das ist eine bäuerliche Interessenvereinigung, die sich 2019 aus Protest gegen Agrarbeschlüsse der damaligen Bundesregierung gebildet hat. Mittlerweile hat sie sich aufgespalten, der Dachverband heißt jetzt „Landwirtschaft verbindet Deutschland“. Ihr Sprecher ist Anthony Robert Lee, der auf Platz acht der Europaliste der Freien Wähler kandidiert. An der Kundgebung nahmen auch Leute mit Verbindungen zur rechtsextremen Szene teil. Versammlungsredner Lee soll dem Bericht von Endstation Rechts zufolge nicht nur davon gesprochen haben, für ihn sei die „Lügenpresse“ eine „Lückenpresse“. Sondern er soll auch zu einem Blogger gesagt haben, man habe inzwischen so viel Power zusammen, dass, so zitiert ihn das Portal, „wir gar nicht gewalttätig werden müssen. Passive Gewalt, wenn Sie so wollen“.
Aiwanger, offenbar völlig immun gegen solche Entgleisungen, inszeniert sich stattdessen weiterhin als Opfer, das es niemandem recht machen kann. „Sobald ich einen Satz sage, wird es gegen mich verwendet“, klagte er beim BR-Sonntagsstammtisch. „Der Mann hegt keinerlei Zweifel an sich“, urteilte die Politikwissenschaftlerin Münch, die Aiwanger in der Sendung heftig Kontra gegeben hatte, anschließend gegenüber Table.Media.
Die wachsende Unruhe in der eigenen Partei, die sich schon bald öffentlichkeitswirksam entladen könnte, ist nicht Aiwangers einziges Problem. Sein Koalitionspartner CSU ist dazu übergangen, Aiwanger systematisch wegen seiner unzureichenden Leistungen als Minister zu attackieren. „Söder bringt seine Geschütze in Stellung“, heißt es aus der FW-Landtagsfraktion. Zuletzt ging es um einen Windpark in Südostbayern, der auf dem Gebiet eines staatlichen Forstes errichtet werden soll. Eine der forstnahen Gemeinden hat sich in einem Bürgerentscheid gegen das Projekt ausgesprochen, weitere könnten folgen. Aiwanger, als Wirtschaftsminister auch für die Energiepolitik Bayerns verantwortlich, sieht keine Schuld bei sich. In das Projekt sei er nicht eingebunden gewesen, er sei ja erst seit kurzem auch für den Staatsforst zuständig. Das Nein der Bürger habe an der Planung gelegen, da sei der „Herr Ministerpräsident“ zuständig gewesen und die Agrarministerin von der CSU, Michaela Kaniber. Die gehört zu den heftigsten Aiwanger-Gegnern im Kabinett und lästert in Hintergrundgesprächen besonders kräftig über ihn.
Söders Zermürbungstaktik gegen Aiwanger könnte rasch in offene Attacken übergehen, wenn der FW-Bundesparteitag tatsächlich daran scheitern sollte, ein Kooperationsverbot mit der AfD zu beschließen. Das würde bei den Freien Wählern ein Erdbeben auslösen. In der Partei werde es dann „zu einer Zerreißprobe“ kommen, prophezeit einer aus der Führung. Das Erdbeben könnte aber auch die bayerische Regierungskoalition erfassen. Söder grenzt sich in nahezu jeder Rede scharf von der AfD ab und säße dann plötzlich in einer Regierung mit Leuten, die das nicht fertigbringen.
Einen offenen Koalitionsbruch kann Söder nicht riskieren, dafür hat er sich alle Auswege selber verbaut. Aber er könnte möglicherweise wagen, was sich viele in der CSU sehnlichst wünschen: Aiwanger allein zu entlassen. Vor ein paar Monaten hätte das noch automatisch das Ende seiner Koalition bedeutet. Das hat sich geändert. Was in einem solchen Fall passiere, hänge ganz von der Art und Weise eines Aiwanger-Rauswurfs ab und von den Signalen, die Söder an die Vernünftigen bei den Freien Wählern sende, kann man aus deren Reihen hören. Ganz offenbar braut sich in Bayern gerade eine Menge zusammen.