Der Bundesverteidigungsminister hatte die Schlagzeilen deutscher Blätter im Hinterkopf, als er am vergangenen Donnerstag in Mali eintraf. „Schikanen gegen die Bundeswehr in Mali“ oder „Mali setzt voll auf den Kreml“. Schlagzeilen, die das Bild eines Putschistenregimes skizzieren, das vom Westen nichts mehr wissen will und sich Vladimir Putin unterworfen hat. Das den Minusma-Truppen, den 12.000 Männern und Frauen unter dem Mandat der Vereinten Nationen, die das Land stabilisieren sollen, vor allem mit Schikanen begegnet. Das froh ist, sich erst des französischen Kontingents und dann auch der Deutschen entledigt zu haben.
Die Eindrücke, die Boris Pistorius und BMZ-Kollegin Svenja Schulze mit nach Hause genommen haben, waren dann doch ein bisschen differenzierter. Erst bat Staatspräsident Assimi Goïta – was ursprünglich nicht geplant war – um ein Gespräch mit den beiden, und offensichtlich ließ der Oberst wenig Zweifel daran, dass er die Zusammenarbeit mit den Deutschen gerne fortsetzen würde. „Er hat das Signal verstanden, dass wir zu zweit gekommen sind“, berichtete Pistorius später. Und: „Freude über unseren Abzug habe ich in keinem der Gespräche vernommen.“
Aber erst einmal bleibt es dabei: Die deutschen Soldaten werden Mali und insbesondere den Standort Gao in den nächsten zwölf Monaten verlassen. Sie werden ihr Material in rund 1.500 Seecontainern nach Niamey im Niger schaffen und von dort aus nach Hause fliegen. Kein westliches Land wird dann Minusma noch unterstützen. Wie es überhaupt mit dem Mandat weiter geht, ist offen.
Auch die Entwicklungszusammenarbeit in Mali wird zurückgefahren. Nicht eingestellt, aber doch spürbar reduziert. Ein Zeichen gegen die Kreml-freundlichen Generäle will auch Ministerin Svenja Schulze setzen. Tapfer sagt sie aber auch, überzeugt von der Sinnhaftigkeit ziviler Hilfe: „Wir werden bleiben.“
Klar ist: Die malische Regierung hat es den Deutschen nicht leicht gemacht. Sie hat Überflüge verboten, Anträge unbearbeitet liegen gelassen, sie hat seit vergangenem Herbst Drohnenflüge untersagt. Und ohne Luftüberwachung sind die deutschen Soldaten – wie andere auch – für Terrorgruppen ein leichtes Ziel. Denn man muss wissen: Die Minusma-Mission ist eine der gefährlichsten in der UN-Geschichte. Weit über 200 Blauhelme sind seit ihrem Beginn 2013 ums Leben gekommen.
Nicht nur deshalb ist das Unternehmen Minusma alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Stabilisieren konnte es Mali nicht. Im Gegenteil, der Terror der Dschihadisten und Kriminellen dehnte sich immer weiter aus. Demokratie und Wahlen sind den Menschen in Mali wichtig, vielleicht auch ihren Regenten – noch wichtiger ist ihnen aber Sicherheit. Und ein Ende von Mord, Plünderung und Vertreibung. Und deshalb könnten sich auch die versprochenen Wahlen noch hinziehen.
Warum aber die Zusammenarbeit mit den Russen? Weil Minusma versagt habe, heißt es bei der malischen Regierung. Auch dass als Leiter der Einheit erst ein Mann aus dem Tschad, später dann aus Mauretanien ernannt wurde, hat die Mission und die Einheimischen nicht wirklich zusammen gebracht. Außerdem habe niemand die Waffen und Unterstützung liefern wollen, die es im Kampf gegen die Terroristen und Banden brauche. Auch und vor allem die Europäer nicht. Deshalb die Hinwendung zu Moskau. Wo ohnehin einige der Generäle ihre Ausbildung durchlaufen haben. Wer ums Überleben kämpfe, greife nach jedem Strohhalm, ließen die Obristen ihre deutschen Gäste wissen.
Dass die Russen massive Menschenrechtsverletzungen begehen, dass sie mit aufwendigen Desinformationskampagnen die Stimmung im Land befeuern, gegen die Franzosen, teilweise auch gegen deutsche Einrichtungen – die Gastgeber ließen es unkommentiert.
Zwei weitere Erkenntnisse nahm Pistorius mit nach Hause: Die Franzosen sind ob ihrer angeblichen Arroganz, der vermeintlich rücksichtslosen Verfolgung eigener Interessen und ihres selbstherrlichen Auftretens in Westafrika geradezu verhasst – und in Mali ganz besonders. Zwar sind die französischen Einheiten aus Gao abgezogen, aber im Minusma-Stab sitzen ihre Offiziere immer noch. Bei den Einheimischen kommt das nicht gut an. Lange haben die Deutschen versucht, sich trotz nicht immer kongruenter Interessen einigermaßen mit Frankreich abzustimmen. In Westafrika ist das derzeit eher kontraproduktiv.
Dort, wo die Franzosen Jahrzehnte lang den Ton angaben, sind sie derart in die Defensive geraten, dass Emmanuel Macron nun mit Verve versucht gegenzusteuern. Im Juni lädt er in Paris zu einem Frankreich-China-Afrika-Gipfel. Vordergründig soll es um Klimafragen gehen. In Wahrheit ist es der fast schon verzweifelte Versuch, verlorenen Boden wieder gutzumachen.
Zugleich ist das Image von Bundeswehr und deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Mali immer noch positiv. Mehr noch: Goïta und seine Mitstreiter würden die Deutschen mit ihren Soldaten und Entwicklungsprojekten am liebsten im Land behalten. Unabhängig von Franzosen und Minusma. Das transportierten die Gastgeber durchaus glaubwürdig. Und möglicherweise dürfen als Geste des guten Willens auch die Drohnen in Kürze wieder aufsteigen.
Offensichtlich wurde aber, und das nicht zum ersten Mal: Auch die Attitüde der Deutschen gegenüber den Ländern des Südens ist ausbaufähig. Politischer Druck bringt gar nichts. Der erhobene Zeigefinger, und das gilt auch für eine betont werteorientierte Außenpolitik, kommt nicht gut an. Und es hilft auch nicht weiter, wie geschehen, die malischen Gastgeber streng zu befragen, warum sie im UN-Sicherheitsrat Vladimir Putin unterstützt haben.
Das betrifft auch die Bundeswehr. Dass die deutschen Überwachungsdrohnen in Gao nicht mehr fliegen durften und es kaum noch Überflugrechte gab, hatte viel mit der Überforderung der malischen Administration zu tun, mitunter offenbar aber auch mit kulturellen Unterschieden. Oder anders: Mit der bisweilen wenig angepassten Kommunikation auf Minusma-Seite. Deutsche Soldaten waren daran offenbar nicht immer unbeteiligt.
Die Länder des Globalen Südens mögen noch so arm sein, noch so unfähig, ihre Bevölkerung zu ernähren oder zu schützen, noch so unzulänglich in ihren Strukturen: Die nationale Souveränität ist ihnen unverhandelbar geworden. In Brasilien genauso wie in Indien – oder in Mali.
Boris Pistorius sprach zum ersten Mal seit Amtsbeginn in Afrika als Verteidigungsminister vor. Und so war der Besuch in Niamey und Bamako vor allem eine Lernerfahrung: Die nationale Souveränität ist den Ländern des Südens ein hohes Gut. Und entweder es gelingt den Ländern des Nordens, dieses neue Selbstbewusstsein in ihre Überlegungen und Entscheidungen einzubeziehen – oder sie verlieren den Zugang.
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