„Die größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“ : Mit diesen Worten kündigte Hubertus Heil Ende 2022 die Einführung des Bürgergelds an. Ein Jahr später klang Heil etwas verhaltener: Von einer der „grundlegendsten Sozialreformen seit 20 Jahren“ sprach der Bundesarbeitsminister Mitte Dezember. Auch wenn es für eine abschließende Bewertung zu früh sei, gebe die Leistung allen die Gewissheit, dass sie sich „auch in schwierigen Zeiten auf den Sozialstaat verlassen können und die Unterstützung bekommen, um sich aus eigener Kraft wieder aufzurichten“. Dass nicht nur Sozialverbände das bezweifeln, hat auch mit dem Bundeshaushalt zu tun.
Dabei hatte die Bürgergeld-Reform – trotz grundsätzlicher Kritik – unter organisatorischen Gesichtspunkten gut begonnen: Zum 1. Januar 2023 stieg der Regelsatz, zum 1. Juli trat die zweite Stufe in Kraft: Wer eine Weiterbildung mit Abschluss anfängt, kann monatlich 150 Euro hinzuverdienen. Wer sich anderweitig qualifiziert, sollte einen „Bürgergeld-Bonus“ von 75 Euro pro Monat erhalten und wer umfassendere Betreuung benötigt, ein sogenanntes Coaching. All diese Angebote kosten aber Geld, und da fing das Problem kurz danach an.
Im Zuge der Haushaltsplanung richtete Christian Lindner aus, dass gespart werden müsse. Für das BMAS hieß das: 500 Millionen Euro weniger im Jahr 2024 und noch mal ein Minus von 900 Millionen ab dem Jahr darauf. Das BMAS kündigte daraufhin an, die Zuständigkeit für Unter-25-Jährige von den steuerfinanzierten Jobcentern von 2025 an auf die Agenturen für Arbeit zu übertragen. Diese werden aus den Beitragsmitteln der Arbeitslosenversicherung bezahlt, die Maßnahme sollte die gewünschten 900 Millionen Euro jährlich bringen. Heil nahm ein Video auf, um Jobcenter-Beschäftigten diese tiefgreifende strukturelle Änderung näherzubringen. Veröffentlicht wurde es auf der vor allem von ihnen benutzten Seite der Servicestelle SGB II – das Zweite Sozialgesetzbuch regelt den Rahmen für das Bürgergeld
Kritiker sprachen von einem „Taschenspielertrick“, der flächendeckend und parteiübergreifend für Unmut sorgte: Die vielerorts eingespielte Zusammenarbeit zwischen Jobcentern und weiteren Einrichtungen wie Jugendberufsagenturen oder psychosozialen Beratungsstellen stand aus Sicht von Ländern, Kommunen und Fachleuten auf dem Spiel. Sie fürchteten das Ende ihres Ansatzes einer ganzheitlichen Betreuung und wurden laut. So laut, dass Heil den Plan nach zwei Monaten zurücknahm – obwohl eine vielköpfige „Taskforce“ in seinem Ministerium bereits an der Umsetzung arbeitete. Das bei der Servicestelle SGB II hochgeladene Video verschwand ebenfalls.
Stattdessen gab es eine neue Idee mit alten Elementen: Eine Übertragung von Zuständigkeiten auf die Arbeitsagenturen sollte bleiben und dadurch weiterhin eine knappe Milliarde Euro im Jahr bringen. Nur statt für eine bestimmte Altersgruppe sollte die Änderung gleich für zwei ganze Themenbereiche gelten: Reha und Fortbildung. Auch diese Option war nicht über jede Kritik erhaben, wurde insgesamt aber mit deutlich mehr Wohlwollen empfangen und schaffte es schließlich auch ins Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024.
Andere Punkte dagegen fielen der Einigung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Opfer: Der Bürgergeld-Bonus wird etwa gestrichen, zudem soll ein "Jobturbo" Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt integrieren. Mehr Geld bringen soll außerdem die Verschärfung von Sanktionen für „Totalverweigerer“. Auch wenn das Thema einen Nerv in der öffentlichen Debatte trifft, gibt es Hürden wie die Vorgabe aus Karlsruhe, dass nicht mehr als 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt werden dürfen.
Vieles ist ohnehin noch offen, bis der Haushalt tatsächlich feststeht, darunter das endgültige Budget für die Jobcenter. Manche von ihnen stoppten wegen der Unsicherheit schon in den vergangenen Monaten geplante Projekte oder teilten mit, sie auslaufen zu lassen. Ob sich daran etwas ändert, wird sich erst 2024 zeigen.